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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die !viederkunft Naundorffs

Aber gleichzeitig haben französische Forscher wichtige neue Beiträge zu der
Frage geliefert, so daß es wohl weiteren Kreisen erwünscht ist, eine Übersicht
über die von mir gewonnenen Ergebnisse wie über die weiterführenden Gesichts¬
punkte zu geben, die in den neuesten Äußerungen der Gegner wie der Anhänger
Naundorffs hervorgetreten sind.

Zwischen der Darstellung der französischen Memoiren Naundorffs und seiner
Anhänger einerseits und den deutschen Nachrichten über ihn klafft von alters her
ein unüberbrückbarer Widerspruch. Der rätselhafte Fremdling, der im Mai 1833
in Paris eintraf und trotz seiner höchst unvollkommenen Kenntnis der französischen
Sprache alte Diener der Bourbonen durch die vou ihnen beobachtete Ähnlichkeit
mit Ludwig den: Sechzehnten und durch auffallende Erinnerungen an des
Dauphins Jugendzeit für sich gewann, der durch eine im ganzen würdige Lebens¬
haltung und geschickte Benutzung der politischen und religiösen Stimmungen in
Frankreich Gläubige um sich Scharte, hat die einmal ergriffene Rolle des ver¬
kannten und verfolgten Königssohns so folgerichtig bis zur letzten Lebensstunde
durchgeführt, daß viele Hunderte in Frankreich und den Nachbarländern noch
heute auf seine Echtheit schwören und ihn als edlen Märtyrer skrupelloser bonr-
bonischer Hauspolitik preisen. Dein stehen Tatsachen aus Naundorffs früheren:
Aufenthalt in Preußen gegenüber, die auf seine Persönlichkeit ein höchst bedenk¬
liches Licht werfen. Der Uhrmacher ist in Brandenburg 1825 wegen Falsch¬
münzerei zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden, nachdem er schon vorher
wegen Brandstiftung angeklagt, aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen
worden war. Über den Münzfälschungsprozeß liegen nun so ausführliche, bisher
wenig benutzte Akten vor, daß sich von hier aus eine genaue Anschauung von
dem Charakter Naundorffs gewinnen und ein Rückschluß auf das Geheimnis
seines späteren Lebens ziehen läßt. Nach der Ansicht der Naundorffisten ist
freilich Nanndorff damals aus politischen Rücksichten auf die Bourbonen unschuldig
verurteilt worden' es ist durch die preußische Regierung ein Justizmord an ihm
begangen worden. In Wahrheit liegt die Sache folgendermaßen: Gegen Naundorff
hatten sich die Indizienbeweise, daß er falsche Taler hergestellt habe, derartig
gehäuft, daß er unter Umständen daraufhin von Geschworenen heute verurteilt
worden wäre. Nach den damaligen Bestimmungen konnte der Angeklagte zu
einer ordentlichen Strafe nur verurteilt werden, wenn entweder ein vollständiger
Beweis oder ein Geständnis vorlag. War beides nicht der Fall, so konnte
auf hinreichende Verdachtsgründe und auf den Gesamteindruck der Persönlichkeit
des Angeklagten hin eine sogenannte außerordentliche Strafe zuerkannt werden.
Dies ist hier geschehen. Die Indizien waren zunächst belastend genug. Naun¬
dorff war in Geldnot, er hatte vorher nachweislich falsches Geld zu kaufe"
gesucht und wurde nun von einem anderen wegen Ausgabe falscher Münzen
Verhafteten, der mit ihm in täglichem engsten Verkehr gestanden hatte, der
Falschmünzerei beschuldigt. Gleich darauf stellte es sich heraus, daß er wirklich
auch gleichzeitig 15 falsche Taler in eine öffentliche Kasse gezahlt hatte. Das Vor-


Grenzboton II 1911 ^
Die !viederkunft Naundorffs

Aber gleichzeitig haben französische Forscher wichtige neue Beiträge zu der
Frage geliefert, so daß es wohl weiteren Kreisen erwünscht ist, eine Übersicht
über die von mir gewonnenen Ergebnisse wie über die weiterführenden Gesichts¬
punkte zu geben, die in den neuesten Äußerungen der Gegner wie der Anhänger
Naundorffs hervorgetreten sind.

Zwischen der Darstellung der französischen Memoiren Naundorffs und seiner
Anhänger einerseits und den deutschen Nachrichten über ihn klafft von alters her
ein unüberbrückbarer Widerspruch. Der rätselhafte Fremdling, der im Mai 1833
in Paris eintraf und trotz seiner höchst unvollkommenen Kenntnis der französischen
Sprache alte Diener der Bourbonen durch die vou ihnen beobachtete Ähnlichkeit
mit Ludwig den: Sechzehnten und durch auffallende Erinnerungen an des
Dauphins Jugendzeit für sich gewann, der durch eine im ganzen würdige Lebens¬
haltung und geschickte Benutzung der politischen und religiösen Stimmungen in
Frankreich Gläubige um sich Scharte, hat die einmal ergriffene Rolle des ver¬
kannten und verfolgten Königssohns so folgerichtig bis zur letzten Lebensstunde
durchgeführt, daß viele Hunderte in Frankreich und den Nachbarländern noch
heute auf seine Echtheit schwören und ihn als edlen Märtyrer skrupelloser bonr-
bonischer Hauspolitik preisen. Dein stehen Tatsachen aus Naundorffs früheren:
Aufenthalt in Preußen gegenüber, die auf seine Persönlichkeit ein höchst bedenk¬
liches Licht werfen. Der Uhrmacher ist in Brandenburg 1825 wegen Falsch¬
münzerei zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden, nachdem er schon vorher
wegen Brandstiftung angeklagt, aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen
worden war. Über den Münzfälschungsprozeß liegen nun so ausführliche, bisher
wenig benutzte Akten vor, daß sich von hier aus eine genaue Anschauung von
dem Charakter Naundorffs gewinnen und ein Rückschluß auf das Geheimnis
seines späteren Lebens ziehen läßt. Nach der Ansicht der Naundorffisten ist
freilich Nanndorff damals aus politischen Rücksichten auf die Bourbonen unschuldig
verurteilt worden' es ist durch die preußische Regierung ein Justizmord an ihm
begangen worden. In Wahrheit liegt die Sache folgendermaßen: Gegen Naundorff
hatten sich die Indizienbeweise, daß er falsche Taler hergestellt habe, derartig
gehäuft, daß er unter Umständen daraufhin von Geschworenen heute verurteilt
worden wäre. Nach den damaligen Bestimmungen konnte der Angeklagte zu
einer ordentlichen Strafe nur verurteilt werden, wenn entweder ein vollständiger
Beweis oder ein Geständnis vorlag. War beides nicht der Fall, so konnte
auf hinreichende Verdachtsgründe und auf den Gesamteindruck der Persönlichkeit
des Angeklagten hin eine sogenannte außerordentliche Strafe zuerkannt werden.
Dies ist hier geschehen. Die Indizien waren zunächst belastend genug. Naun¬
dorff war in Geldnot, er hatte vorher nachweislich falsches Geld zu kaufe«
gesucht und wurde nun von einem anderen wegen Ausgabe falscher Münzen
Verhafteten, der mit ihm in täglichem engsten Verkehr gestanden hatte, der
Falschmünzerei beschuldigt. Gleich darauf stellte es sich heraus, daß er wirklich
auch gleichzeitig 15 falsche Taler in eine öffentliche Kasse gezahlt hatte. Das Vor-


Grenzboton II 1911 ^
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[0357] Die !viederkunft Naundorffs Aber gleichzeitig haben französische Forscher wichtige neue Beiträge zu der Frage geliefert, so daß es wohl weiteren Kreisen erwünscht ist, eine Übersicht über die von mir gewonnenen Ergebnisse wie über die weiterführenden Gesichts¬ punkte zu geben, die in den neuesten Äußerungen der Gegner wie der Anhänger Naundorffs hervorgetreten sind. Zwischen der Darstellung der französischen Memoiren Naundorffs und seiner Anhänger einerseits und den deutschen Nachrichten über ihn klafft von alters her ein unüberbrückbarer Widerspruch. Der rätselhafte Fremdling, der im Mai 1833 in Paris eintraf und trotz seiner höchst unvollkommenen Kenntnis der französischen Sprache alte Diener der Bourbonen durch die vou ihnen beobachtete Ähnlichkeit mit Ludwig den: Sechzehnten und durch auffallende Erinnerungen an des Dauphins Jugendzeit für sich gewann, der durch eine im ganzen würdige Lebens¬ haltung und geschickte Benutzung der politischen und religiösen Stimmungen in Frankreich Gläubige um sich Scharte, hat die einmal ergriffene Rolle des ver¬ kannten und verfolgten Königssohns so folgerichtig bis zur letzten Lebensstunde durchgeführt, daß viele Hunderte in Frankreich und den Nachbarländern noch heute auf seine Echtheit schwören und ihn als edlen Märtyrer skrupelloser bonr- bonischer Hauspolitik preisen. Dein stehen Tatsachen aus Naundorffs früheren: Aufenthalt in Preußen gegenüber, die auf seine Persönlichkeit ein höchst bedenk¬ liches Licht werfen. Der Uhrmacher ist in Brandenburg 1825 wegen Falsch¬ münzerei zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden, nachdem er schon vorher wegen Brandstiftung angeklagt, aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen worden war. Über den Münzfälschungsprozeß liegen nun so ausführliche, bisher wenig benutzte Akten vor, daß sich von hier aus eine genaue Anschauung von dem Charakter Naundorffs gewinnen und ein Rückschluß auf das Geheimnis seines späteren Lebens ziehen läßt. Nach der Ansicht der Naundorffisten ist freilich Nanndorff damals aus politischen Rücksichten auf die Bourbonen unschuldig verurteilt worden' es ist durch die preußische Regierung ein Justizmord an ihm begangen worden. In Wahrheit liegt die Sache folgendermaßen: Gegen Naundorff hatten sich die Indizienbeweise, daß er falsche Taler hergestellt habe, derartig gehäuft, daß er unter Umständen daraufhin von Geschworenen heute verurteilt worden wäre. Nach den damaligen Bestimmungen konnte der Angeklagte zu einer ordentlichen Strafe nur verurteilt werden, wenn entweder ein vollständiger Beweis oder ein Geständnis vorlag. War beides nicht der Fall, so konnte auf hinreichende Verdachtsgründe und auf den Gesamteindruck der Persönlichkeit des Angeklagten hin eine sogenannte außerordentliche Strafe zuerkannt werden. Dies ist hier geschehen. Die Indizien waren zunächst belastend genug. Naun¬ dorff war in Geldnot, er hatte vorher nachweislich falsches Geld zu kaufe« gesucht und wurde nun von einem anderen wegen Ausgabe falscher Münzen Verhafteten, der mit ihm in täglichem engsten Verkehr gestanden hatte, der Falschmünzerei beschuldigt. Gleich darauf stellte es sich heraus, daß er wirklich auch gleichzeitig 15 falsche Taler in eine öffentliche Kasse gezahlt hatte. Das Vor- Grenzboton II 1911 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/357>, abgerufen am 22.07.2024.