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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Richard Roch und die Reichsbank

In der lateinischen Begründung des Ehrendoktordiploms der Universität
Heidelberg findet sich eine Stelle, die sein Wesen und seine Tätigkeit in besonders
treffender Weise kennzeichnet: "Lemperque cloctrinam eum U8U leliLiwr
conjunxit" (Er hat es immer aufs glücklichste verstanden, die Theorie mit der
Praxis zu verbinden). In der Tat: als ein Meister der Theorie, hat er ohne
jemals eigentlicher Forscher zu sein, stets dahin gestrebt, daß sich die Theorie
nicht allzu weit von den praktischen Bedürfnissen und von dem praktisch Erreich¬
baren entferne, und, mitten in der Praxis stehend, hat er diese vertieft und
gehoben durch Untersuchung und Aufdeckung ihrer theoretischen Grundlagen,
ohne deren genaueste Kenntnis der Praktiker niemals belehrend oder reformierend
auftreten sollte. Der über die Theorie sich erhaben dünkende Praktiker ist eine
ebenso unerquickliche Erscheinung wie der einseitige Theoretiker, der in
ungetrübtem Doktrinarismus die Bedürfnisse und harten Notwendigkeiten des
praktischen Lebens nicht kennt und deshalb unterschätzt. Koch lehrte, schrieb
und forderte nichts, was er nicht vorher in bezug auf seine praktische Durch¬
führbarkeit genau geprüft, und er setzte nichts in die Praxis um, was er nicht
zuvor auf Grund seines großen Wissens bis in alle Einzelheiten theoretisch
durchdacht hatte. Darin besieht denn auch das Geheimnis seiner Erfolge sowohl
in der Theorie als in der Verwertung seiner Neformgedanken im Betriebe der
Reichsbank, deren für die praktische Handhabung bestimmten Formulare er in
richtiger Würdigung ihrer Bedeutung fast durchweg selbst entworfen und dann
in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hat.

Aber nicht allein das, was er leistet, macht den Menschen, sondern auch,
und zwar in erster Linie, das, was er ist.

Richard Koch ist schlicht und bescheiden geblieben trotz aller Ehrungen, die
ihm zuteil geworden, trotz aller Erfolge, die er völlig aus eigener Kraft
errungen hatte. Wohlwollend, gütig und freundlich war er gegenüber den Mit¬
arbeitern und den Untergebenen, gegenüber allen, bei denen er Streben und
Ernst voraussetzte, stets bemüht, den Strebenden, den er vom Streber
mit fast unfehlbarer Sicherheit zu unterscheiden wußte, mit Rat und Tat zu
unterstützen.

Nichts Menschliches war ihm fremd, nicht die Kunst, nicht die Musik, die
er selbst von Jugend auf pflegte, nicht die Literatur, die er in weiten Gebieten
beherrschte, anch nicht der Menschen Freude und der Menschen Leid. Er liebte
die Geselligkeit, hatte von früher Jugend an häufig bei Trios als Klavier¬
spieler und bei Dilettantenaufführungen öfters als Regisseur oder Verfasser von
Prologen gern mitgewirkt.

Als Richter, als Vcrwaltmigsbeamter, als Praktiker, Schriftsteller und
Regierungsvertreter hatte er Leben und Menschen von den verschiedensten Seiten,
in den Höhen und in den Niederungen, kennen gelernt, war viel und schroff und
ungerecht angefeindet worden; aber er, der seinen Goethe kannte wie seine
Bibel, hatte doch auch unsympathischen und gehässigen Menschen gegenüber die


Richard Roch und die Reichsbank

In der lateinischen Begründung des Ehrendoktordiploms der Universität
Heidelberg findet sich eine Stelle, die sein Wesen und seine Tätigkeit in besonders
treffender Weise kennzeichnet: „Lemperque cloctrinam eum U8U leliLiwr
conjunxit" (Er hat es immer aufs glücklichste verstanden, die Theorie mit der
Praxis zu verbinden). In der Tat: als ein Meister der Theorie, hat er ohne
jemals eigentlicher Forscher zu sein, stets dahin gestrebt, daß sich die Theorie
nicht allzu weit von den praktischen Bedürfnissen und von dem praktisch Erreich¬
baren entferne, und, mitten in der Praxis stehend, hat er diese vertieft und
gehoben durch Untersuchung und Aufdeckung ihrer theoretischen Grundlagen,
ohne deren genaueste Kenntnis der Praktiker niemals belehrend oder reformierend
auftreten sollte. Der über die Theorie sich erhaben dünkende Praktiker ist eine
ebenso unerquickliche Erscheinung wie der einseitige Theoretiker, der in
ungetrübtem Doktrinarismus die Bedürfnisse und harten Notwendigkeiten des
praktischen Lebens nicht kennt und deshalb unterschätzt. Koch lehrte, schrieb
und forderte nichts, was er nicht vorher in bezug auf seine praktische Durch¬
führbarkeit genau geprüft, und er setzte nichts in die Praxis um, was er nicht
zuvor auf Grund seines großen Wissens bis in alle Einzelheiten theoretisch
durchdacht hatte. Darin besieht denn auch das Geheimnis seiner Erfolge sowohl
in der Theorie als in der Verwertung seiner Neformgedanken im Betriebe der
Reichsbank, deren für die praktische Handhabung bestimmten Formulare er in
richtiger Würdigung ihrer Bedeutung fast durchweg selbst entworfen und dann
in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hat.

Aber nicht allein das, was er leistet, macht den Menschen, sondern auch,
und zwar in erster Linie, das, was er ist.

Richard Koch ist schlicht und bescheiden geblieben trotz aller Ehrungen, die
ihm zuteil geworden, trotz aller Erfolge, die er völlig aus eigener Kraft
errungen hatte. Wohlwollend, gütig und freundlich war er gegenüber den Mit¬
arbeitern und den Untergebenen, gegenüber allen, bei denen er Streben und
Ernst voraussetzte, stets bemüht, den Strebenden, den er vom Streber
mit fast unfehlbarer Sicherheit zu unterscheiden wußte, mit Rat und Tat zu
unterstützen.

Nichts Menschliches war ihm fremd, nicht die Kunst, nicht die Musik, die
er selbst von Jugend auf pflegte, nicht die Literatur, die er in weiten Gebieten
beherrschte, anch nicht der Menschen Freude und der Menschen Leid. Er liebte
die Geselligkeit, hatte von früher Jugend an häufig bei Trios als Klavier¬
spieler und bei Dilettantenaufführungen öfters als Regisseur oder Verfasser von
Prologen gern mitgewirkt.

Als Richter, als Vcrwaltmigsbeamter, als Praktiker, Schriftsteller und
Regierungsvertreter hatte er Leben und Menschen von den verschiedensten Seiten,
in den Höhen und in den Niederungen, kennen gelernt, war viel und schroff und
ungerecht angefeindet worden; aber er, der seinen Goethe kannte wie seine
Bibel, hatte doch auch unsympathischen und gehässigen Menschen gegenüber die


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[0033] Richard Roch und die Reichsbank In der lateinischen Begründung des Ehrendoktordiploms der Universität Heidelberg findet sich eine Stelle, die sein Wesen und seine Tätigkeit in besonders treffender Weise kennzeichnet: „Lemperque cloctrinam eum U8U leliLiwr conjunxit" (Er hat es immer aufs glücklichste verstanden, die Theorie mit der Praxis zu verbinden). In der Tat: als ein Meister der Theorie, hat er ohne jemals eigentlicher Forscher zu sein, stets dahin gestrebt, daß sich die Theorie nicht allzu weit von den praktischen Bedürfnissen und von dem praktisch Erreich¬ baren entferne, und, mitten in der Praxis stehend, hat er diese vertieft und gehoben durch Untersuchung und Aufdeckung ihrer theoretischen Grundlagen, ohne deren genaueste Kenntnis der Praktiker niemals belehrend oder reformierend auftreten sollte. Der über die Theorie sich erhaben dünkende Praktiker ist eine ebenso unerquickliche Erscheinung wie der einseitige Theoretiker, der in ungetrübtem Doktrinarismus die Bedürfnisse und harten Notwendigkeiten des praktischen Lebens nicht kennt und deshalb unterschätzt. Koch lehrte, schrieb und forderte nichts, was er nicht vorher in bezug auf seine praktische Durch¬ führbarkeit genau geprüft, und er setzte nichts in die Praxis um, was er nicht zuvor auf Grund seines großen Wissens bis in alle Einzelheiten theoretisch durchdacht hatte. Darin besieht denn auch das Geheimnis seiner Erfolge sowohl in der Theorie als in der Verwertung seiner Neformgedanken im Betriebe der Reichsbank, deren für die praktische Handhabung bestimmten Formulare er in richtiger Würdigung ihrer Bedeutung fast durchweg selbst entworfen und dann in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hat. Aber nicht allein das, was er leistet, macht den Menschen, sondern auch, und zwar in erster Linie, das, was er ist. Richard Koch ist schlicht und bescheiden geblieben trotz aller Ehrungen, die ihm zuteil geworden, trotz aller Erfolge, die er völlig aus eigener Kraft errungen hatte. Wohlwollend, gütig und freundlich war er gegenüber den Mit¬ arbeitern und den Untergebenen, gegenüber allen, bei denen er Streben und Ernst voraussetzte, stets bemüht, den Strebenden, den er vom Streber mit fast unfehlbarer Sicherheit zu unterscheiden wußte, mit Rat und Tat zu unterstützen. Nichts Menschliches war ihm fremd, nicht die Kunst, nicht die Musik, die er selbst von Jugend auf pflegte, nicht die Literatur, die er in weiten Gebieten beherrschte, anch nicht der Menschen Freude und der Menschen Leid. Er liebte die Geselligkeit, hatte von früher Jugend an häufig bei Trios als Klavier¬ spieler und bei Dilettantenaufführungen öfters als Regisseur oder Verfasser von Prologen gern mitgewirkt. Als Richter, als Vcrwaltmigsbeamter, als Praktiker, Schriftsteller und Regierungsvertreter hatte er Leben und Menschen von den verschiedensten Seiten, in den Höhen und in den Niederungen, kennen gelernt, war viel und schroff und ungerecht angefeindet worden; aber er, der seinen Goethe kannte wie seine Bibel, hatte doch auch unsympathischen und gehässigen Menschen gegenüber die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/33>, abgerufen am 01.07.2024.