Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Grillparzers Gsterreichcrtum Es ist ein Unding, diesen furchtbaren Seelenzustand -- besonders furchtbar "Niemand hat recht als der Betrachtende", sagte Goethe und pries dennoch Grillparzers Gsterreichcrtum Es ist ein Unding, diesen furchtbaren Seelenzustand — besonders furchtbar „Niemand hat recht als der Betrachtende", sagte Goethe und pries dennoch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318594"/> <fw type="header" place="top"> Grillparzers Gsterreichcrtum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1448"> Es ist ein Unding, diesen furchtbaren Seelenzustand — besonders furchtbar<lb/> bei einem phantasieglühenden und so doch in seiner Art tatendurstigen Dra¬<lb/> matiker — einfach als österreichische Schlaffheit zu bezeichnen, äußerste Abkehr<lb/> vom Handeln setzt kaum eine geringere Anspannung voraus als äußerstes<lb/> Handeln selber, und in allem superlativischer liegt Straffheit. Es ist auch ein<lb/> Unding, das Ungeheure aus einem Kleinlichen herzuleiten, derart als sei Grill-<lb/> parzer in seinem persönlichen Fortkommen, in seinem persönlichen Ruhm durch<lb/> österreichische Sünden und Unterlassungen seiner Umgebung gehemmt worden<lb/> und deshalb solcher Bitterkeit verfallen. Nein, im Österreichischen zwar wurzelt<lb/> auch für mich jene Lebensabkehr des Dichters, aber sehr viel tiefer und doch<lb/> auch sehr viel sittlicher scheint sie mir darin verwurzelt zu sein. Ich meine so.</p><lb/> <p xml:id="ID_1449" next="#ID_1450"> „Niemand hat recht als der Betrachtende", sagte Goethe und pries dennoch<lb/> das Handeln und war selber ein stark Handelnder. Denn er fand ein reiches<lb/> Feld, auf demi das Unrecht des Tuns zum Minimum herabgedrückt wird, das<lb/> Verdienst aber ein so großes ist, daß es jenen Erdenrest vollauf rechtfertigt:<lb/> die Tätigkeit im Dienst der Menschheit schlechthin, im Dienst der Erziehung,<lb/> der Naturwissenschaft. Und er vermied bis zum fast unbegreiflichen Ignorieren<lb/> das Feld, auf dem das Unrecht des Handelns immer mit Notwendigkeit ein<lb/> gegipfeltes ist: das Gebiet der Politik. Jedes Befassen mit Politischen wird<lb/> immer auf eine Trübung der inneren Harmonie hinauslaufen, und wem der<lb/> seelische Einklang lieb ist, der kann sich im Politischen nur dann wohl fühlen,<lb/> wenn ihn die Größe der Sache, der er dient, die Lauterkeit des ihm vor¬<lb/> schwebenden Zieles über die Mißklänge des Tages fortträgt. Und nun fallen<lb/> jene naturwissenschaftlichen und pädagogischen Neigungen Goethes bei Grillparzer<lb/> wohl ganz weg, und was ihn außerhalb des Dichterischen bewegt, ist ein leiden¬<lb/> schaftliches politisches Interesse, und in dem Staatswesen, das es umfaßt, ja<lb/> geradezu glühend umkrampft, verspürt es gar nichts von der ersehnten Größe,<lb/> sieht es kein Streben nach hohen Zielen. Im Vormärz peinigt ihn die Niedrig¬<lb/> keit der Regierenden, und die Revolution bringt ihm nicht Erlösung, sondern<lb/> nur Verschlimmerung des alten Zustandes. Seine „Erinnerungen aus den:<lb/> Jahre 1848" leitet er mit dem Geständnis ein: „Menschen, die sich ihr ganzes<lb/> Leben mit den reinen Verhältnissen der Kunst und Wissenschaft beschäftigt haben,<lb/> überfällt gegenüber der jede Möglichkeit einer Berichtigung übersteigenden Ver¬<lb/> kehrtheit leicht das Gefühl eines bis ins Innerste gehenden Ekels, und man<lb/> weiß wohl, daß der Ekel die entnervendste Stimmung des menschlichen Wesens<lb/> ist." Hier tritt denn der Grund des Lethargischen in Grillparzer deutlich zutage,<lb/> und allerdings ist es eben ein österreichischer Grund, aber man verwechsle doch<lb/> nicht diese tiefe, sein ganzes Schaffen bestimmende Bitterkeit des hingegebenen<lb/> Politikers und Patrioten mit der erbärmlichen Griesgrämigkcit und Schlaffheit<lb/> eines zurückgesetzten Autors und Beamten. Der „maßvolle", der „schlaffe"<lb/> Grillparzer ist in diesem Punkt nur mit dein wild entzügelten Heinrich v. Kleist<lb/> zu vergleichen. Wie es zum wesentlichen Teil die Not des Vaterlandes war,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Grillparzers Gsterreichcrtum
Es ist ein Unding, diesen furchtbaren Seelenzustand — besonders furchtbar
bei einem phantasieglühenden und so doch in seiner Art tatendurstigen Dra¬
matiker — einfach als österreichische Schlaffheit zu bezeichnen, äußerste Abkehr
vom Handeln setzt kaum eine geringere Anspannung voraus als äußerstes
Handeln selber, und in allem superlativischer liegt Straffheit. Es ist auch ein
Unding, das Ungeheure aus einem Kleinlichen herzuleiten, derart als sei Grill-
parzer in seinem persönlichen Fortkommen, in seinem persönlichen Ruhm durch
österreichische Sünden und Unterlassungen seiner Umgebung gehemmt worden
und deshalb solcher Bitterkeit verfallen. Nein, im Österreichischen zwar wurzelt
auch für mich jene Lebensabkehr des Dichters, aber sehr viel tiefer und doch
auch sehr viel sittlicher scheint sie mir darin verwurzelt zu sein. Ich meine so.
„Niemand hat recht als der Betrachtende", sagte Goethe und pries dennoch
das Handeln und war selber ein stark Handelnder. Denn er fand ein reiches
Feld, auf demi das Unrecht des Tuns zum Minimum herabgedrückt wird, das
Verdienst aber ein so großes ist, daß es jenen Erdenrest vollauf rechtfertigt:
die Tätigkeit im Dienst der Menschheit schlechthin, im Dienst der Erziehung,
der Naturwissenschaft. Und er vermied bis zum fast unbegreiflichen Ignorieren
das Feld, auf dem das Unrecht des Handelns immer mit Notwendigkeit ein
gegipfeltes ist: das Gebiet der Politik. Jedes Befassen mit Politischen wird
immer auf eine Trübung der inneren Harmonie hinauslaufen, und wem der
seelische Einklang lieb ist, der kann sich im Politischen nur dann wohl fühlen,
wenn ihn die Größe der Sache, der er dient, die Lauterkeit des ihm vor¬
schwebenden Zieles über die Mißklänge des Tages fortträgt. Und nun fallen
jene naturwissenschaftlichen und pädagogischen Neigungen Goethes bei Grillparzer
wohl ganz weg, und was ihn außerhalb des Dichterischen bewegt, ist ein leiden¬
schaftliches politisches Interesse, und in dem Staatswesen, das es umfaßt, ja
geradezu glühend umkrampft, verspürt es gar nichts von der ersehnten Größe,
sieht es kein Streben nach hohen Zielen. Im Vormärz peinigt ihn die Niedrig¬
keit der Regierenden, und die Revolution bringt ihm nicht Erlösung, sondern
nur Verschlimmerung des alten Zustandes. Seine „Erinnerungen aus den:
Jahre 1848" leitet er mit dem Geständnis ein: „Menschen, die sich ihr ganzes
Leben mit den reinen Verhältnissen der Kunst und Wissenschaft beschäftigt haben,
überfällt gegenüber der jede Möglichkeit einer Berichtigung übersteigenden Ver¬
kehrtheit leicht das Gefühl eines bis ins Innerste gehenden Ekels, und man
weiß wohl, daß der Ekel die entnervendste Stimmung des menschlichen Wesens
ist." Hier tritt denn der Grund des Lethargischen in Grillparzer deutlich zutage,
und allerdings ist es eben ein österreichischer Grund, aber man verwechsle doch
nicht diese tiefe, sein ganzes Schaffen bestimmende Bitterkeit des hingegebenen
Politikers und Patrioten mit der erbärmlichen Griesgrämigkcit und Schlaffheit
eines zurückgesetzten Autors und Beamten. Der „maßvolle", der „schlaffe"
Grillparzer ist in diesem Punkt nur mit dein wild entzügelten Heinrich v. Kleist
zu vergleichen. Wie es zum wesentlichen Teil die Not des Vaterlandes war,
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