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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Reichskoiifercnz

das das englische Kabinett. Ebenso gibt es in der Theorie nur eine souveräne
Legislative: das englische Parlament. Der konstitutionellen Doktrin nach sind
die Parlamente und Regierungen der Kolonien dem englischen Parlament unter¬
geordnet. Tatsächlich aber hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einen
durchaus anderen Zustand geschaffen. Das englische Parlament hat gar nicht
mehr die Macht, einen Beschluß der kolonialen Parlamente aufzuheben, und die
Rechtslehrer der Kolonien bestreiten jede konstitutionelle Abhängigkeit der Kolonien
vom englischen Parlament. Als das Bindeglied des britischen Reichs gilt nicht
mehr das englische Parlament, sondern die Krone. Die Exekutive in den
Kolonien ist ebenfalls >tke lvinA in Louneil'; in diesem Falle bedeutet das
nicht das englische, sondern das kanadische oder australische Kabinett. Die
Entwicklung hat aber einen ausgesprochen dezentralistischen Weg genommen.
Die Kolonien haben die Autonomie, die ihnen seit einer Reihe von Jahrzehnten
gewährt worden ist, nicht nur behauptet, sondern erweitert. Besonders deutlich
tritt das in der Geschichte Kanadas zutage, das ja bereits im Jahre 1867 eine
Bundesverfassung erhalten hat, während die australischen.Kolonien sich erst 1901
zu dem Lommonwealtn zusammenschlossen und die Union von Südafrika erst
eine Schöpfung der allerletzten Zeit ist. Der koloniale Bundesstaat, der sich zu
einer kolonialen Nation auswächst, ist natürlich in der Lage, ganz andere
- Forderungen zu stellen, als eine kleine einzelne Kolonie. England hat der
kanadischen Regierung das Zugeständnis machen müssen, seine handelspolitischen
Beziehungen zum Auslande selbständig, ohne Vermittlung durch die politischen
Organe des Mutterlandes, zu regeln. Der Vertrag mit Amerika über die
Grenzen von Alaska (1902) war der letzte, den England im Namen der .Kolonie
geschlossen hat. Eben die Entrüstung, die dieser Vertrag in der Kolonie hervor¬
rief, und die Überzeugung der Kanadier, daß das Mutterland die Interessen
der Kolonie zu opfern pflegt, um auf ihre Kosten gute Beziehungen zu den
Vereinigten Staaten zu haben, hat diese Wandlung hervorgerufen. Den Handels¬
vertrag, den Kanada mit Frankreich, und die handelspolitischen Abkommen, die
es mit Deutschland und den Vereinigten Staaten geschlossen hat, hat Kanada,
mit Zustimmung Englands, selbständig abgeschlossen.

In einem Fall hat die kanadische Regierung auch rein politische Verhand¬
lungen mit einem nichtbritischen Staat selbständig geführt, nämlich die Ver¬
handlungen mit Japan über die Einwandernngsfrage, auf dem der jetzige moan8
vivenäi beruht.

Soweit handelte es sich um die Ansätze zu einer selbständigen aus¬
wärtigen Politik der Kolonien, vornehmlich in Handelsfragen. Gerade diese
Entwicklung aber mußte den Imperialisten des Mutterlandes nahelegen, wie
notwendig eine Organisation der Reichspolitik wäre, die ein Gegengewicht
gegen diese auseinanderstrebenden Richtungen der einzelnen Teile des Reichs
schüfe. Schol? in den Anfängen der imperialistischen Bewegung wurde das
Programm eines gemeinsamen Reichsrath (Imperial Louncil) aufgestellt.


Die britische Reichskoiifercnz

das das englische Kabinett. Ebenso gibt es in der Theorie nur eine souveräne
Legislative: das englische Parlament. Der konstitutionellen Doktrin nach sind
die Parlamente und Regierungen der Kolonien dem englischen Parlament unter¬
geordnet. Tatsächlich aber hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einen
durchaus anderen Zustand geschaffen. Das englische Parlament hat gar nicht
mehr die Macht, einen Beschluß der kolonialen Parlamente aufzuheben, und die
Rechtslehrer der Kolonien bestreiten jede konstitutionelle Abhängigkeit der Kolonien
vom englischen Parlament. Als das Bindeglied des britischen Reichs gilt nicht
mehr das englische Parlament, sondern die Krone. Die Exekutive in den
Kolonien ist ebenfalls >tke lvinA in Louneil'; in diesem Falle bedeutet das
nicht das englische, sondern das kanadische oder australische Kabinett. Die
Entwicklung hat aber einen ausgesprochen dezentralistischen Weg genommen.
Die Kolonien haben die Autonomie, die ihnen seit einer Reihe von Jahrzehnten
gewährt worden ist, nicht nur behauptet, sondern erweitert. Besonders deutlich
tritt das in der Geschichte Kanadas zutage, das ja bereits im Jahre 1867 eine
Bundesverfassung erhalten hat, während die australischen.Kolonien sich erst 1901
zu dem Lommonwealtn zusammenschlossen und die Union von Südafrika erst
eine Schöpfung der allerletzten Zeit ist. Der koloniale Bundesstaat, der sich zu
einer kolonialen Nation auswächst, ist natürlich in der Lage, ganz andere
- Forderungen zu stellen, als eine kleine einzelne Kolonie. England hat der
kanadischen Regierung das Zugeständnis machen müssen, seine handelspolitischen
Beziehungen zum Auslande selbständig, ohne Vermittlung durch die politischen
Organe des Mutterlandes, zu regeln. Der Vertrag mit Amerika über die
Grenzen von Alaska (1902) war der letzte, den England im Namen der .Kolonie
geschlossen hat. Eben die Entrüstung, die dieser Vertrag in der Kolonie hervor¬
rief, und die Überzeugung der Kanadier, daß das Mutterland die Interessen
der Kolonie zu opfern pflegt, um auf ihre Kosten gute Beziehungen zu den
Vereinigten Staaten zu haben, hat diese Wandlung hervorgerufen. Den Handels¬
vertrag, den Kanada mit Frankreich, und die handelspolitischen Abkommen, die
es mit Deutschland und den Vereinigten Staaten geschlossen hat, hat Kanada,
mit Zustimmung Englands, selbständig abgeschlossen.

In einem Fall hat die kanadische Regierung auch rein politische Verhand¬
lungen mit einem nichtbritischen Staat selbständig geführt, nämlich die Ver¬
handlungen mit Japan über die Einwandernngsfrage, auf dem der jetzige moan8
vivenäi beruht.

Soweit handelte es sich um die Ansätze zu einer selbständigen aus¬
wärtigen Politik der Kolonien, vornehmlich in Handelsfragen. Gerade diese
Entwicklung aber mußte den Imperialisten des Mutterlandes nahelegen, wie
notwendig eine Organisation der Reichspolitik wäre, die ein Gegengewicht
gegen diese auseinanderstrebenden Richtungen der einzelnen Teile des Reichs
schüfe. Schol? in den Anfängen der imperialistischen Bewegung wurde das
Programm eines gemeinsamen Reichsrath (Imperial Louncil) aufgestellt.


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[0304] Die britische Reichskoiifercnz das das englische Kabinett. Ebenso gibt es in der Theorie nur eine souveräne Legislative: das englische Parlament. Der konstitutionellen Doktrin nach sind die Parlamente und Regierungen der Kolonien dem englischen Parlament unter¬ geordnet. Tatsächlich aber hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einen durchaus anderen Zustand geschaffen. Das englische Parlament hat gar nicht mehr die Macht, einen Beschluß der kolonialen Parlamente aufzuheben, und die Rechtslehrer der Kolonien bestreiten jede konstitutionelle Abhängigkeit der Kolonien vom englischen Parlament. Als das Bindeglied des britischen Reichs gilt nicht mehr das englische Parlament, sondern die Krone. Die Exekutive in den Kolonien ist ebenfalls >tke lvinA in Louneil'; in diesem Falle bedeutet das nicht das englische, sondern das kanadische oder australische Kabinett. Die Entwicklung hat aber einen ausgesprochen dezentralistischen Weg genommen. Die Kolonien haben die Autonomie, die ihnen seit einer Reihe von Jahrzehnten gewährt worden ist, nicht nur behauptet, sondern erweitert. Besonders deutlich tritt das in der Geschichte Kanadas zutage, das ja bereits im Jahre 1867 eine Bundesverfassung erhalten hat, während die australischen.Kolonien sich erst 1901 zu dem Lommonwealtn zusammenschlossen und die Union von Südafrika erst eine Schöpfung der allerletzten Zeit ist. Der koloniale Bundesstaat, der sich zu einer kolonialen Nation auswächst, ist natürlich in der Lage, ganz andere - Forderungen zu stellen, als eine kleine einzelne Kolonie. England hat der kanadischen Regierung das Zugeständnis machen müssen, seine handelspolitischen Beziehungen zum Auslande selbständig, ohne Vermittlung durch die politischen Organe des Mutterlandes, zu regeln. Der Vertrag mit Amerika über die Grenzen von Alaska (1902) war der letzte, den England im Namen der .Kolonie geschlossen hat. Eben die Entrüstung, die dieser Vertrag in der Kolonie hervor¬ rief, und die Überzeugung der Kanadier, daß das Mutterland die Interessen der Kolonie zu opfern pflegt, um auf ihre Kosten gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu haben, hat diese Wandlung hervorgerufen. Den Handels¬ vertrag, den Kanada mit Frankreich, und die handelspolitischen Abkommen, die es mit Deutschland und den Vereinigten Staaten geschlossen hat, hat Kanada, mit Zustimmung Englands, selbständig abgeschlossen. In einem Fall hat die kanadische Regierung auch rein politische Verhand¬ lungen mit einem nichtbritischen Staat selbständig geführt, nämlich die Ver¬ handlungen mit Japan über die Einwandernngsfrage, auf dem der jetzige moan8 vivenäi beruht. Soweit handelte es sich um die Ansätze zu einer selbständigen aus¬ wärtigen Politik der Kolonien, vornehmlich in Handelsfragen. Gerade diese Entwicklung aber mußte den Imperialisten des Mutterlandes nahelegen, wie notwendig eine Organisation der Reichspolitik wäre, die ein Gegengewicht gegen diese auseinanderstrebenden Richtungen der einzelnen Teile des Reichs schüfe. Schol? in den Anfängen der imperialistischen Bewegung wurde das Programm eines gemeinsamen Reichsrath (Imperial Louncil) aufgestellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/304>, abgerufen am 29.06.2024.