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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Rcichskonferenz

Welche Gestalt dieser Neichsrat annehmen sollte, darüber gingen die Meinungen
sehr weit auseinander. Eine Zeitlang wurde viel von einem Reichsparlament
gesprochen. Indes waren die Schwierigkeiten, die einem solchen Plane ent¬
gegenstanden, ungeheuer groß. Ein Reichsparlament mußte notwendigerweise
über den jetzigen Parlamenten, nicht nnr über denen der Kolonien, sondern
auch dem englischen stehen und ihre Kompetenz erheblich vermindern. Wenn
nun schon die Kolonien für eine solche Schmälerung ihrer autonomen Rechte
nicht zu haben waren, so hätte das englische Parlament sich offenbar noch viel
weniger darein gefunden, eine partielle Abdankungsakte zu vollziehen. Wie
sollte man ferner die Verteilung der Wahlkreise vornehmen, wie die Zahl der
Abgeordneten bestimmen, die jeder Teil des Reichs zu wählen hätte? Eine
neue Verteilung der Wahlkreise pflegt schon in einem einzelnen Lande zu heftigen
politischen Kämpfen zu führen; und wieviel mehr, wenn es sich um so verschiedene
Länder handelte. Mit einigen wenigen Sitzen im englischen Parlament, etwa
in der Weise, wie die französischen Kolonien in der Pariser Deputiertenkammer
vertreten sind, hätten sich die Kolonien niemals zufrieden gegeben; denn dadurch
würden sie ihre gegenwärtige Autonomie mit einem ganz geringfügigen Einfluß
in dem Reichsparlament vertauschen. Obendrein müßten sie besorgen, daß ihre
Abgeordneten im Reichsparlament die Fühlung mit ihrer kolonialen Heimat
verlieren und dadurch die Fähigkeit zur gebührenden Wahrnehmung ihrer
Interessen einbüßen würden. Endlich ist die Bevölkerung der Kolonien immer
noch sehr gering, und sie verfügen bei der Jugend ihrer wirtschaftlichen Ent¬
wicklung über keine allzu große Auswahl von Leuten, die wohlhabend genug
sind, um sich dem politischen Leben widmen zu können. Nun haben die Kolonien
nicht nur ihr Bundesparlament, sondern auch ihre provinziellen oder einzelstaat¬
lichen Parlamente, und es würde ihnen nicht leicht werden, außerdem eine ent¬
sprechende Anzahl von Abgeordneten für ein Reichsparlament zu finden.

Andere haben sich den Reichsrat als eine rein beratende Behörde, eine
Art von Staatsrat, gedacht, aus dem sich später vielleicht eine Körperschaft mit
exekutiven Befugnissen entwickeln könnte. Aber alles das ist über den Rahmen
theoretischer Erörterungen nicht hinausgekommen. Das einzige Positive, was
bisher in organisatorischer Weise zustande gekommen ist, sind die Reichskonferenzen.

(Schluß folgt.)




Die britische Rcichskonferenz

Welche Gestalt dieser Neichsrat annehmen sollte, darüber gingen die Meinungen
sehr weit auseinander. Eine Zeitlang wurde viel von einem Reichsparlament
gesprochen. Indes waren die Schwierigkeiten, die einem solchen Plane ent¬
gegenstanden, ungeheuer groß. Ein Reichsparlament mußte notwendigerweise
über den jetzigen Parlamenten, nicht nnr über denen der Kolonien, sondern
auch dem englischen stehen und ihre Kompetenz erheblich vermindern. Wenn
nun schon die Kolonien für eine solche Schmälerung ihrer autonomen Rechte
nicht zu haben waren, so hätte das englische Parlament sich offenbar noch viel
weniger darein gefunden, eine partielle Abdankungsakte zu vollziehen. Wie
sollte man ferner die Verteilung der Wahlkreise vornehmen, wie die Zahl der
Abgeordneten bestimmen, die jeder Teil des Reichs zu wählen hätte? Eine
neue Verteilung der Wahlkreise pflegt schon in einem einzelnen Lande zu heftigen
politischen Kämpfen zu führen; und wieviel mehr, wenn es sich um so verschiedene
Länder handelte. Mit einigen wenigen Sitzen im englischen Parlament, etwa
in der Weise, wie die französischen Kolonien in der Pariser Deputiertenkammer
vertreten sind, hätten sich die Kolonien niemals zufrieden gegeben; denn dadurch
würden sie ihre gegenwärtige Autonomie mit einem ganz geringfügigen Einfluß
in dem Reichsparlament vertauschen. Obendrein müßten sie besorgen, daß ihre
Abgeordneten im Reichsparlament die Fühlung mit ihrer kolonialen Heimat
verlieren und dadurch die Fähigkeit zur gebührenden Wahrnehmung ihrer
Interessen einbüßen würden. Endlich ist die Bevölkerung der Kolonien immer
noch sehr gering, und sie verfügen bei der Jugend ihrer wirtschaftlichen Ent¬
wicklung über keine allzu große Auswahl von Leuten, die wohlhabend genug
sind, um sich dem politischen Leben widmen zu können. Nun haben die Kolonien
nicht nur ihr Bundesparlament, sondern auch ihre provinziellen oder einzelstaat¬
lichen Parlamente, und es würde ihnen nicht leicht werden, außerdem eine ent¬
sprechende Anzahl von Abgeordneten für ein Reichsparlament zu finden.

Andere haben sich den Reichsrat als eine rein beratende Behörde, eine
Art von Staatsrat, gedacht, aus dem sich später vielleicht eine Körperschaft mit
exekutiven Befugnissen entwickeln könnte. Aber alles das ist über den Rahmen
theoretischer Erörterungen nicht hinausgekommen. Das einzige Positive, was
bisher in organisatorischer Weise zustande gekommen ist, sind die Reichskonferenzen.

(Schluß folgt.)




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[0305] Die britische Rcichskonferenz Welche Gestalt dieser Neichsrat annehmen sollte, darüber gingen die Meinungen sehr weit auseinander. Eine Zeitlang wurde viel von einem Reichsparlament gesprochen. Indes waren die Schwierigkeiten, die einem solchen Plane ent¬ gegenstanden, ungeheuer groß. Ein Reichsparlament mußte notwendigerweise über den jetzigen Parlamenten, nicht nnr über denen der Kolonien, sondern auch dem englischen stehen und ihre Kompetenz erheblich vermindern. Wenn nun schon die Kolonien für eine solche Schmälerung ihrer autonomen Rechte nicht zu haben waren, so hätte das englische Parlament sich offenbar noch viel weniger darein gefunden, eine partielle Abdankungsakte zu vollziehen. Wie sollte man ferner die Verteilung der Wahlkreise vornehmen, wie die Zahl der Abgeordneten bestimmen, die jeder Teil des Reichs zu wählen hätte? Eine neue Verteilung der Wahlkreise pflegt schon in einem einzelnen Lande zu heftigen politischen Kämpfen zu führen; und wieviel mehr, wenn es sich um so verschiedene Länder handelte. Mit einigen wenigen Sitzen im englischen Parlament, etwa in der Weise, wie die französischen Kolonien in der Pariser Deputiertenkammer vertreten sind, hätten sich die Kolonien niemals zufrieden gegeben; denn dadurch würden sie ihre gegenwärtige Autonomie mit einem ganz geringfügigen Einfluß in dem Reichsparlament vertauschen. Obendrein müßten sie besorgen, daß ihre Abgeordneten im Reichsparlament die Fühlung mit ihrer kolonialen Heimat verlieren und dadurch die Fähigkeit zur gebührenden Wahrnehmung ihrer Interessen einbüßen würden. Endlich ist die Bevölkerung der Kolonien immer noch sehr gering, und sie verfügen bei der Jugend ihrer wirtschaftlichen Ent¬ wicklung über keine allzu große Auswahl von Leuten, die wohlhabend genug sind, um sich dem politischen Leben widmen zu können. Nun haben die Kolonien nicht nur ihr Bundesparlament, sondern auch ihre provinziellen oder einzelstaat¬ lichen Parlamente, und es würde ihnen nicht leicht werden, außerdem eine ent¬ sprechende Anzahl von Abgeordneten für ein Reichsparlament zu finden. Andere haben sich den Reichsrat als eine rein beratende Behörde, eine Art von Staatsrat, gedacht, aus dem sich später vielleicht eine Körperschaft mit exekutiven Befugnissen entwickeln könnte. Aber alles das ist über den Rahmen theoretischer Erörterungen nicht hinausgekommen. Das einzige Positive, was bisher in organisatorischer Weise zustande gekommen ist, sind die Reichskonferenzen. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/305>, abgerufen am 01.07.2024.