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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britisch" Ncichskonferenz

ob es an einem Kriege des Mutterlandes teilnehmen wollte oder nicht. Er
führte die Besetzung Ägyptens als ein Beispiel an, wo die Kolonie sich nicht
veranlaßt gesehen haben würde, ihre Flotte in Aktion treten zu lassen.

Man muß hier offenbar unterscheiden zwischen dem konstitutionellen Prinzip,
das für die kolonialen Regierungen maßgebend war, und dem praktischen Falle,
wo England sich im Kriege befindet und der Unterstützung der Kolonien bedarf.
Ebenso wie die Kolonien im Burenkrieg dem Mutterlande durch Entsendungen
von Freiwilligen geholfen haben, so würden sie, wenn es sich um Lebensfragen
der Reichsverteidigung handelte, ihre Flotte der Admiralität zur Verfügung
stellen. Aber es ist doch von großer Bedeutung, daß die Kolonien ihren kon¬
stitutionellen Standpunkt streng gewahrt und sich die Kriegshoheit -- denn
darauf läuft es schließlich hinaus -- gesichert haben. Es ist eine logische Folge,
daß, wenn ein Land die Kriegshoheit besitzt, es auch in der auswärtigen Politik
mindestens ein gewisses Recht für sich beanspruchen wird. Und stärker als
bisher wird jetzt vor dem Zusammentritt der neuen Reichskonferenz die Frage
der politischen Neichsorganisation von: Gesichtspunkte der auswärtigen Politik
des Reichs erörtert.

Schon die alte ImpLNÄl^eäeration^eaAus hatte das imperialistische Problem
vom Standpunkt der auswärtigen Politik betrachtet. Die Kolonien, so führte
ihr Programm vom Jahre 1884 aus, haben keinen verfassungsmäßigen Einfluß
auf die Reichsangelegenheiten und namentlich nicht auf die auswärtige Politik
des Reichs. Diese Politik wird ausschließlich in Downing-Srreet gemacht, aber
ihre Folgen haben, zumal im Falle eines Krieges, auch die Kolonien zu spüren.
Damals ging man von der Frage der Besteuerung aus. Man sagte sich, daß
die ganzen Lasten der Reichsverteidigung den: Mutterlande zufielen, und man
wünschte, daß die Kolonien sich an den Kosten der Reichsverteidigung nach
Maßgabe ihrer Interessen und Leistungsfähigkeit beteiligen sollten. Besteuerung
setzt nach dem englischen Verfassungsrecht politische Repräsentation voraus, und
wenn man Geldbeiträge der Kolonien zu Zwecken der Reichsverteidigung haben
wollte, so mußte man ihnen logischerweise eine Mitwirkung an der Steuer¬
bewilligung und an der Kontrolle über ihre Verwendung einräumen. Dieser
Standpunkt ist durch die letzte Entwicklung in gewissem Sinne überholt worden.
Die Kolonien haben sich endgültig entschlossen, sich an der Neichsverteidigung
nicht durch Steuerbeiträge -- wie es Australien von 1887 bis 1907 getan
hatte, und wie es das kleine Neuseeland noch tut --, sondern durch Gründung
eigener Flotten zu beteiligen. Es handelt sich somit gegenwärtig nicht mehr
um das Problem der Steuerbewilligung. Damit ist die Frage der Mitwirkung
der Kolonien an der auswärtigen Politik des Reichs als ein selbständiges
Problem in den Vordergrund getreten.

Die Verfassung des britischen Reichs enthält ebenso viel Anomalien wie die
englische Verfassung. Nach der konstitutionellen Doktrin gibt es nur eine
souveräne Exekutive im britischen Reich: .tus KinZ in council'; tatsächlich ist


Die britisch» Ncichskonferenz

ob es an einem Kriege des Mutterlandes teilnehmen wollte oder nicht. Er
führte die Besetzung Ägyptens als ein Beispiel an, wo die Kolonie sich nicht
veranlaßt gesehen haben würde, ihre Flotte in Aktion treten zu lassen.

Man muß hier offenbar unterscheiden zwischen dem konstitutionellen Prinzip,
das für die kolonialen Regierungen maßgebend war, und dem praktischen Falle,
wo England sich im Kriege befindet und der Unterstützung der Kolonien bedarf.
Ebenso wie die Kolonien im Burenkrieg dem Mutterlande durch Entsendungen
von Freiwilligen geholfen haben, so würden sie, wenn es sich um Lebensfragen
der Reichsverteidigung handelte, ihre Flotte der Admiralität zur Verfügung
stellen. Aber es ist doch von großer Bedeutung, daß die Kolonien ihren kon¬
stitutionellen Standpunkt streng gewahrt und sich die Kriegshoheit — denn
darauf läuft es schließlich hinaus — gesichert haben. Es ist eine logische Folge,
daß, wenn ein Land die Kriegshoheit besitzt, es auch in der auswärtigen Politik
mindestens ein gewisses Recht für sich beanspruchen wird. Und stärker als
bisher wird jetzt vor dem Zusammentritt der neuen Reichskonferenz die Frage
der politischen Neichsorganisation von: Gesichtspunkte der auswärtigen Politik
des Reichs erörtert.

Schon die alte ImpLNÄl^eäeration^eaAus hatte das imperialistische Problem
vom Standpunkt der auswärtigen Politik betrachtet. Die Kolonien, so führte
ihr Programm vom Jahre 1884 aus, haben keinen verfassungsmäßigen Einfluß
auf die Reichsangelegenheiten und namentlich nicht auf die auswärtige Politik
des Reichs. Diese Politik wird ausschließlich in Downing-Srreet gemacht, aber
ihre Folgen haben, zumal im Falle eines Krieges, auch die Kolonien zu spüren.
Damals ging man von der Frage der Besteuerung aus. Man sagte sich, daß
die ganzen Lasten der Reichsverteidigung den: Mutterlande zufielen, und man
wünschte, daß die Kolonien sich an den Kosten der Reichsverteidigung nach
Maßgabe ihrer Interessen und Leistungsfähigkeit beteiligen sollten. Besteuerung
setzt nach dem englischen Verfassungsrecht politische Repräsentation voraus, und
wenn man Geldbeiträge der Kolonien zu Zwecken der Reichsverteidigung haben
wollte, so mußte man ihnen logischerweise eine Mitwirkung an der Steuer¬
bewilligung und an der Kontrolle über ihre Verwendung einräumen. Dieser
Standpunkt ist durch die letzte Entwicklung in gewissem Sinne überholt worden.
Die Kolonien haben sich endgültig entschlossen, sich an der Neichsverteidigung
nicht durch Steuerbeiträge — wie es Australien von 1887 bis 1907 getan
hatte, und wie es das kleine Neuseeland noch tut —, sondern durch Gründung
eigener Flotten zu beteiligen. Es handelt sich somit gegenwärtig nicht mehr
um das Problem der Steuerbewilligung. Damit ist die Frage der Mitwirkung
der Kolonien an der auswärtigen Politik des Reichs als ein selbständiges
Problem in den Vordergrund getreten.

Die Verfassung des britischen Reichs enthält ebenso viel Anomalien wie die
englische Verfassung. Nach der konstitutionellen Doktrin gibt es nur eine
souveräne Exekutive im britischen Reich: .tus KinZ in council'; tatsächlich ist


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[0303] Die britisch» Ncichskonferenz ob es an einem Kriege des Mutterlandes teilnehmen wollte oder nicht. Er führte die Besetzung Ägyptens als ein Beispiel an, wo die Kolonie sich nicht veranlaßt gesehen haben würde, ihre Flotte in Aktion treten zu lassen. Man muß hier offenbar unterscheiden zwischen dem konstitutionellen Prinzip, das für die kolonialen Regierungen maßgebend war, und dem praktischen Falle, wo England sich im Kriege befindet und der Unterstützung der Kolonien bedarf. Ebenso wie die Kolonien im Burenkrieg dem Mutterlande durch Entsendungen von Freiwilligen geholfen haben, so würden sie, wenn es sich um Lebensfragen der Reichsverteidigung handelte, ihre Flotte der Admiralität zur Verfügung stellen. Aber es ist doch von großer Bedeutung, daß die Kolonien ihren kon¬ stitutionellen Standpunkt streng gewahrt und sich die Kriegshoheit — denn darauf läuft es schließlich hinaus — gesichert haben. Es ist eine logische Folge, daß, wenn ein Land die Kriegshoheit besitzt, es auch in der auswärtigen Politik mindestens ein gewisses Recht für sich beanspruchen wird. Und stärker als bisher wird jetzt vor dem Zusammentritt der neuen Reichskonferenz die Frage der politischen Neichsorganisation von: Gesichtspunkte der auswärtigen Politik des Reichs erörtert. Schon die alte ImpLNÄl^eäeration^eaAus hatte das imperialistische Problem vom Standpunkt der auswärtigen Politik betrachtet. Die Kolonien, so führte ihr Programm vom Jahre 1884 aus, haben keinen verfassungsmäßigen Einfluß auf die Reichsangelegenheiten und namentlich nicht auf die auswärtige Politik des Reichs. Diese Politik wird ausschließlich in Downing-Srreet gemacht, aber ihre Folgen haben, zumal im Falle eines Krieges, auch die Kolonien zu spüren. Damals ging man von der Frage der Besteuerung aus. Man sagte sich, daß die ganzen Lasten der Reichsverteidigung den: Mutterlande zufielen, und man wünschte, daß die Kolonien sich an den Kosten der Reichsverteidigung nach Maßgabe ihrer Interessen und Leistungsfähigkeit beteiligen sollten. Besteuerung setzt nach dem englischen Verfassungsrecht politische Repräsentation voraus, und wenn man Geldbeiträge der Kolonien zu Zwecken der Reichsverteidigung haben wollte, so mußte man ihnen logischerweise eine Mitwirkung an der Steuer¬ bewilligung und an der Kontrolle über ihre Verwendung einräumen. Dieser Standpunkt ist durch die letzte Entwicklung in gewissem Sinne überholt worden. Die Kolonien haben sich endgültig entschlossen, sich an der Neichsverteidigung nicht durch Steuerbeiträge — wie es Australien von 1887 bis 1907 getan hatte, und wie es das kleine Neuseeland noch tut —, sondern durch Gründung eigener Flotten zu beteiligen. Es handelt sich somit gegenwärtig nicht mehr um das Problem der Steuerbewilligung. Damit ist die Frage der Mitwirkung der Kolonien an der auswärtigen Politik des Reichs als ein selbständiges Problem in den Vordergrund getreten. Die Verfassung des britischen Reichs enthält ebenso viel Anomalien wie die englische Verfassung. Nach der konstitutionellen Doktrin gibt es nur eine souveräne Exekutive im britischen Reich: .tus KinZ in council'; tatsächlich ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/303>, abgerufen am 26.06.2024.