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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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heit wird man sich gegen dieses Verfahren zur Wehr setzen müssen. Und
glücklicherweise haben wir eine Waffe dadurch in Händen, daß die Einräumung
des Konventionaltarifs nur durch Beschluß des Bundesrath erfolgt ist, dein
ein besonderes Reichsgcsetz die Ermächtigung erteilt hat, für die Einfuhr aus
den Vereinigten Staaten unsere Vertragssätze, "in angemessenen Umfang" zur
Anwendung zu bringen. Es ist also möglich, den Vereinigten Staaten ohne
weiteres diese Vertragssätze ganz oder teilweise wieder zu entziehen. Hoffentlich
erweist es sich nicht als erforderlich, so schweres Geschütz aufzufahren. Unsere
Hanoelsinteresscn sind mit Nordamerika so eng verknüpft (für unsere Einfuhr
steht es mit etwa 1,2 Milliarden an zweiter, für unsere Ausfuhr mit
632 Millionen an dritter Stelle), daß ein wirtschaftlicher Krieg beiden Beteiligten
die schwersten Wunden schlagen müßte.

Gegenseitige Interessen zwischen Deutschland und Amerika spielen auch in
einer anderen für unsere Industrie bedeutsamen Frage eine wichtige Rolle: in
den schwebenden Verhandlungen des Kalisyndikates mit den ameri¬
kanischen Vertragsgegnern der Kaliwerke Sollstedt und Aschersleben. Im
Laufe der nächsten Woche soll in Brüssel versucht werden, zwischen den Ver¬
tretern beider Teile eine Verständigung anzustreben. Als Auftakt zu diesen
Verhandlungen hat dieser Tage eine Besprechung der deutschen Beteiligten unter
Vorsitz des Handelsministers und unter Teilnahme von Vertretern der preußischen
Ressorts und des Auswärtigen Amtes stattgefunden. Schon dieser Apparat
zeigt, welche Wichtigkeit von amtlicher Seite den bevorstehenden Verhandlungen
beigelegt wird. Es ist daher wohl der Mühe wert, sich die Entstehung und
Bedeutung des Streites kurz zu vergegenwärtigen.

AIs im Jahre 1909 der Vertrag wegen des Kalisyndikates ablief und es
nicht gelang, eine Verlängerung desselben durchzusetzen, schlössen die hauptsäch¬
lichsten Opponenten, nämlich die Werke Aschersleben und Sollstedt, mit dem
Glockenschlag, in welchem der alte Vertrag ablief, Verträge mit den Vertretern
zweier amerikanischer Düngertrusts, durch welche sie ihre gesamte Produktion,
zunächst bis 1911, dann optionsweise bis 1916 zu stark ermäßigten Preisen ver¬
kauften. DieFolge dieses Zusammenbruchs des Syndikats und der "Verschleuderung
nationaler Bodenschätze" war das Kaligesetz, welches eine zwangsweise Kontin¬
gentierung der Kaliindustrie unter Teilnahme des Fiskus einführte. Dieses
Gesetz sieht nun eine starke Besteuerung vor für Mengen, welche von den syndi¬
zierten Werken über das Kontingent hinaus produziert werden. Dieser "Über-
kontingentsteuer" unterliegen die von Sollstedt und Aschersleben abgeschlossenen
Verkäufe. Es warf sich nun die Frage auf, wer diese Abgabe zu zahlen
habe, die amerikanischen Käufer oder die Kaliwerke. Der Streit hierüber hat
sogar zu diplomatischen Erörterungen geführt, ohne bisher eine Lösung zu finden.
Um diese Frage handelt es sich zunächst. Es soll durch Vereinbarung eine Ver¬
teilung der Abgabe zwischen Käufer und Verkäufer stattfinden. Dies ist aber
nur ein Teil des entstandenen Konfliktes. Das Kalisyndikat hat nämlich ein


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heit wird man sich gegen dieses Verfahren zur Wehr setzen müssen. Und
glücklicherweise haben wir eine Waffe dadurch in Händen, daß die Einräumung
des Konventionaltarifs nur durch Beschluß des Bundesrath erfolgt ist, dein
ein besonderes Reichsgcsetz die Ermächtigung erteilt hat, für die Einfuhr aus
den Vereinigten Staaten unsere Vertragssätze, „in angemessenen Umfang" zur
Anwendung zu bringen. Es ist also möglich, den Vereinigten Staaten ohne
weiteres diese Vertragssätze ganz oder teilweise wieder zu entziehen. Hoffentlich
erweist es sich nicht als erforderlich, so schweres Geschütz aufzufahren. Unsere
Hanoelsinteresscn sind mit Nordamerika so eng verknüpft (für unsere Einfuhr
steht es mit etwa 1,2 Milliarden an zweiter, für unsere Ausfuhr mit
632 Millionen an dritter Stelle), daß ein wirtschaftlicher Krieg beiden Beteiligten
die schwersten Wunden schlagen müßte.

Gegenseitige Interessen zwischen Deutschland und Amerika spielen auch in
einer anderen für unsere Industrie bedeutsamen Frage eine wichtige Rolle: in
den schwebenden Verhandlungen des Kalisyndikates mit den ameri¬
kanischen Vertragsgegnern der Kaliwerke Sollstedt und Aschersleben. Im
Laufe der nächsten Woche soll in Brüssel versucht werden, zwischen den Ver¬
tretern beider Teile eine Verständigung anzustreben. Als Auftakt zu diesen
Verhandlungen hat dieser Tage eine Besprechung der deutschen Beteiligten unter
Vorsitz des Handelsministers und unter Teilnahme von Vertretern der preußischen
Ressorts und des Auswärtigen Amtes stattgefunden. Schon dieser Apparat
zeigt, welche Wichtigkeit von amtlicher Seite den bevorstehenden Verhandlungen
beigelegt wird. Es ist daher wohl der Mühe wert, sich die Entstehung und
Bedeutung des Streites kurz zu vergegenwärtigen.

AIs im Jahre 1909 der Vertrag wegen des Kalisyndikates ablief und es
nicht gelang, eine Verlängerung desselben durchzusetzen, schlössen die hauptsäch¬
lichsten Opponenten, nämlich die Werke Aschersleben und Sollstedt, mit dem
Glockenschlag, in welchem der alte Vertrag ablief, Verträge mit den Vertretern
zweier amerikanischer Düngertrusts, durch welche sie ihre gesamte Produktion,
zunächst bis 1911, dann optionsweise bis 1916 zu stark ermäßigten Preisen ver¬
kauften. DieFolge dieses Zusammenbruchs des Syndikats und der „Verschleuderung
nationaler Bodenschätze" war das Kaligesetz, welches eine zwangsweise Kontin¬
gentierung der Kaliindustrie unter Teilnahme des Fiskus einführte. Dieses
Gesetz sieht nun eine starke Besteuerung vor für Mengen, welche von den syndi¬
zierten Werken über das Kontingent hinaus produziert werden. Dieser „Über-
kontingentsteuer" unterliegen die von Sollstedt und Aschersleben abgeschlossenen
Verkäufe. Es warf sich nun die Frage auf, wer diese Abgabe zu zahlen
habe, die amerikanischen Käufer oder die Kaliwerke. Der Streit hierüber hat
sogar zu diplomatischen Erörterungen geführt, ohne bisher eine Lösung zu finden.
Um diese Frage handelt es sich zunächst. Es soll durch Vereinbarung eine Ver¬
teilung der Abgabe zwischen Käufer und Verkäufer stattfinden. Dies ist aber
nur ein Teil des entstandenen Konfliktes. Das Kalisyndikat hat nämlich ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/297>, abgerufen am 29.06.2024.