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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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auf die Vorteile zu richten, die der Handelsvertrag der Gesamtheit bietet. Diese
sind aber nicht gering zu schätzen: sie bestehen hauptsächlich in der vertraglichen
Bindung mäßiger Zollsätze für die wichtigsten deutschen Exportwaren, nicht
minder für solche der Großeisen- und chemischen Industrie als für unsere land¬
wirtschaftlichen Produkte. Von besonderen: Wert ist es auch, daß Schweden
für die Zeit der auf zehn Jahre bemessenen Vertragsdauer darauf verzichtet
hat, Eisenerze mit einem Ausfuhrzoll zu belegen. Man darf daher wohl hoffen,
daß der Reichstag dem Abkommen seine Zustimmung nicht versagen wird.
Auch der schlechteste Handelsvertrag ist einem Zollkrieg vorzuziehen, namentlich
aber, wenn die möglichen Repressalien, wie im vorliegenden Fall, auch nur zu
einer direkten Schädigung der heimischen Volkswirtschaft führen müßten.
Schwedisches Eisenerz mit einen: Prohibitivzoll zu belegen kann kaum den
Wünschen der deutschen Industrie entsprechen.

Deutsche Handelsinteressen werden in erheblicher Weise auch durch den
Gegenseitigkeitsvertrag zwischen Amerika und Kanada berührt. Beide
Staaten haben ein Abkommen getroffen, das ihnen gegenseitig erhebliche Vor¬
teile einräumt. Mit Kanada steht Deutschland nicht im Verhältnis der Meist¬
begünstigung, dessen sich sonst alle übrigen Staaten erfreuen. Uns gegenüber
gilt lediglich der Generaltarif, und wir befinden uns daher allen Konkurrenten
gegenüber in erheblichem Nachteile. Dies wird sich erst ändern, wenn die von
Kanada im vorigen Jahre abgebrochenen Handelsvertragsverhandlungen wieder
aufgenommen und, wie dringend zu hoffen ist, von deutscher Seite zu einem
günstigen Abschluß geführt werdeu. Dagegen steht uns Amerika gegenüber das
Meistbegünstigungsrecht zu, da dieses von den Vereinigten Staaten im ver¬
gangenen Jahr gegen Einräumung des vollen deutschen Konveutionaltarifs zu-
gestanden wurde, allerdings uur im Wege diplomatischen Schriftwechsels, nicht
durch vertragliche Abmachung. An sich könnte also Deutschlmid mit Fug und
Recht auf die billigeren Sätze des kanadischen Tarifs Anspruch erheben. Dem
scheint aber die Buuoesregierung widersprechen zu wollen, und zwar auf Grund
einer Auffassung, die den Begriff der Meistbegünstigung anders und zwar
enger auslegt, als dies seitens aller europäischen Staateil geschieht. Nach
amerikanischer Praxis soll nämlich Meistbegüustigulig uicht bedeuten, daß Vor¬
teile, die ein Staat sich durch Gegenleistung erkaufen mußte, einem anderen
auf Grund der Klausel ohne Gegenleistung eingeräumt werden. Da nun
Kanada, so schließt man weiter, den billigen amerikanischen Tarif durch große Kon¬
zessionen erlangt, so stehtDeutschland nicht ohne weiteres ein Recht auf dieSütze dieses
Tarifs zu. Die deutsche Auffassung ist die entgegengesetzte. Wir haben zu
dieser um so "lehr recht, als wir Amerika 1910 die Sätze unseres Konven¬
tionaltarifs ohne jede Gegenleistung eingeräumt haben, weil wir von der
europäischen Auslegung des Meistbcgünstigungsrechtes ausgingen. Es ist nun
wahrlich nicht zulässig, daß Amerika, wenn es Rechte erwerben will, europäisch,
wenn es Rechte einräumen soll, amerikanisch auslegt. Mit aller Entschieden-


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auf die Vorteile zu richten, die der Handelsvertrag der Gesamtheit bietet. Diese
sind aber nicht gering zu schätzen: sie bestehen hauptsächlich in der vertraglichen
Bindung mäßiger Zollsätze für die wichtigsten deutschen Exportwaren, nicht
minder für solche der Großeisen- und chemischen Industrie als für unsere land¬
wirtschaftlichen Produkte. Von besonderen: Wert ist es auch, daß Schweden
für die Zeit der auf zehn Jahre bemessenen Vertragsdauer darauf verzichtet
hat, Eisenerze mit einem Ausfuhrzoll zu belegen. Man darf daher wohl hoffen,
daß der Reichstag dem Abkommen seine Zustimmung nicht versagen wird.
Auch der schlechteste Handelsvertrag ist einem Zollkrieg vorzuziehen, namentlich
aber, wenn die möglichen Repressalien, wie im vorliegenden Fall, auch nur zu
einer direkten Schädigung der heimischen Volkswirtschaft führen müßten.
Schwedisches Eisenerz mit einen: Prohibitivzoll zu belegen kann kaum den
Wünschen der deutschen Industrie entsprechen.

Deutsche Handelsinteressen werden in erheblicher Weise auch durch den
Gegenseitigkeitsvertrag zwischen Amerika und Kanada berührt. Beide
Staaten haben ein Abkommen getroffen, das ihnen gegenseitig erhebliche Vor¬
teile einräumt. Mit Kanada steht Deutschland nicht im Verhältnis der Meist¬
begünstigung, dessen sich sonst alle übrigen Staaten erfreuen. Uns gegenüber
gilt lediglich der Generaltarif, und wir befinden uns daher allen Konkurrenten
gegenüber in erheblichem Nachteile. Dies wird sich erst ändern, wenn die von
Kanada im vorigen Jahre abgebrochenen Handelsvertragsverhandlungen wieder
aufgenommen und, wie dringend zu hoffen ist, von deutscher Seite zu einem
günstigen Abschluß geführt werdeu. Dagegen steht uns Amerika gegenüber das
Meistbegünstigungsrecht zu, da dieses von den Vereinigten Staaten im ver¬
gangenen Jahr gegen Einräumung des vollen deutschen Konveutionaltarifs zu-
gestanden wurde, allerdings uur im Wege diplomatischen Schriftwechsels, nicht
durch vertragliche Abmachung. An sich könnte also Deutschlmid mit Fug und
Recht auf die billigeren Sätze des kanadischen Tarifs Anspruch erheben. Dem
scheint aber die Buuoesregierung widersprechen zu wollen, und zwar auf Grund
einer Auffassung, die den Begriff der Meistbegünstigung anders und zwar
enger auslegt, als dies seitens aller europäischen Staateil geschieht. Nach
amerikanischer Praxis soll nämlich Meistbegüustigulig uicht bedeuten, daß Vor¬
teile, die ein Staat sich durch Gegenleistung erkaufen mußte, einem anderen
auf Grund der Klausel ohne Gegenleistung eingeräumt werden. Da nun
Kanada, so schließt man weiter, den billigen amerikanischen Tarif durch große Kon¬
zessionen erlangt, so stehtDeutschland nicht ohne weiteres ein Recht auf dieSütze dieses
Tarifs zu. Die deutsche Auffassung ist die entgegengesetzte. Wir haben zu
dieser um so »lehr recht, als wir Amerika 1910 die Sätze unseres Konven¬
tionaltarifs ohne jede Gegenleistung eingeräumt haben, weil wir von der
europäischen Auslegung des Meistbcgünstigungsrechtes ausgingen. Es ist nun
wahrlich nicht zulässig, daß Amerika, wenn es Rechte erwerben will, europäisch,
wenn es Rechte einräumen soll, amerikanisch auslegt. Mit aller Entschieden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/296>, abgerufen am 26.06.2024.