Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Exotische Musik

Ztuäy c"f OmaK-l Inäian Nu8lL" publizierten Gesanges der Omaha-
Jndianer aus deren Wa-Wan-Zeremonie zeigen, der beim Originalvortrag
-- mit Trommelbegleitung I -- auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einem
Choral besitzt.

Von harmonischen Bildungen sind in der exotischen Musik bis jetzt fast
ausschließlich Quinten- und Ouartenparallelen bekannt; ähnlich wie sie vor etwa
tausend Jahren in unserer eigenen Musik auftraten. Ein Tanzlied der ost¬
afrikanischen Wcmyamwezi enthält folgende (eine Oktave tiefer zu transponierende)
Stelle:



Stumpf nimmt an, daß diese Zusammenklange deshalb bevorzugt werden,
weil sie nach der Oktave unter allen Intervallen die größte Ähnlichkeit mit dem
Einklang besitzen.

Von einem eigentlichen Tonsvstem kann bei den primitiveren Völkern nicht
gesprochen werden. Die Leute kennen die Töne nur innerhalb ihrer Melodien.
Wenn man einen afrikanischen Musiker auffordert, eine Tonleiter zu singen, wird
er nie begreifen können, was man von ihm will. Die exotischen Kulturvölker
dagegen besitzen, wie bereits an einem Beispiel gezeigt wurde, ihre eigenen, sehr
beachtenswerten Tonsusteme.

Eine Leiterbildung, die fast noch merkwürdiger als die Siamesische erscheint,
findet sich auf Java. Es ist dies die sogenannte Salendroleiter (neben ihr kommt
noch eine andere mit ungleichen Stufen vor), die innerhalb der Oktave fünf
gleichstufige Tonschritte enthält. Spielt man folgende Skala auf der Geige:
L, cZ, k, b, L, wobei man ! und b etwas zu tief und et und A etwas zu
hoch nimmt, so erhält man ungefähr die javanische Salendroleiter. Sie klingt
wunderlich genug. Die siebenstufige Siamesenleiter erscheint uns dagegen weniger
sonderbar, zumal im praktischen Gebrauch. Es können sogar europäische Melodien
in der siamesischen Stimmung gespielt werden, ohne daß sie wesentlich verändert
erscheinen. Denn wir sind gewohnt, alle Tonschritte, die sich ihren: Schwingungs-
zahlenverhältnis nach mit keinem unserer Intervalle völlig zur Deckung bringen
lassen, dennoch ohne es zu wissen und zu wollen in die ihnen zunächstliegenden


Exotische Musik

Ztuäy c»f OmaK-l Inäian Nu8lL" publizierten Gesanges der Omaha-
Jndianer aus deren Wa-Wan-Zeremonie zeigen, der beim Originalvortrag
— mit Trommelbegleitung I — auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einem
Choral besitzt.

Von harmonischen Bildungen sind in der exotischen Musik bis jetzt fast
ausschließlich Quinten- und Ouartenparallelen bekannt; ähnlich wie sie vor etwa
tausend Jahren in unserer eigenen Musik auftraten. Ein Tanzlied der ost¬
afrikanischen Wcmyamwezi enthält folgende (eine Oktave tiefer zu transponierende)
Stelle:



Stumpf nimmt an, daß diese Zusammenklange deshalb bevorzugt werden,
weil sie nach der Oktave unter allen Intervallen die größte Ähnlichkeit mit dem
Einklang besitzen.

Von einem eigentlichen Tonsvstem kann bei den primitiveren Völkern nicht
gesprochen werden. Die Leute kennen die Töne nur innerhalb ihrer Melodien.
Wenn man einen afrikanischen Musiker auffordert, eine Tonleiter zu singen, wird
er nie begreifen können, was man von ihm will. Die exotischen Kulturvölker
dagegen besitzen, wie bereits an einem Beispiel gezeigt wurde, ihre eigenen, sehr
beachtenswerten Tonsusteme.

Eine Leiterbildung, die fast noch merkwürdiger als die Siamesische erscheint,
findet sich auf Java. Es ist dies die sogenannte Salendroleiter (neben ihr kommt
noch eine andere mit ungleichen Stufen vor), die innerhalb der Oktave fünf
gleichstufige Tonschritte enthält. Spielt man folgende Skala auf der Geige:
L, cZ, k, b, L, wobei man ! und b etwas zu tief und et und A etwas zu
hoch nimmt, so erhält man ungefähr die javanische Salendroleiter. Sie klingt
wunderlich genug. Die siebenstufige Siamesenleiter erscheint uns dagegen weniger
sonderbar, zumal im praktischen Gebrauch. Es können sogar europäische Melodien
in der siamesischen Stimmung gespielt werden, ohne daß sie wesentlich verändert
erscheinen. Denn wir sind gewohnt, alle Tonschritte, die sich ihren: Schwingungs-
zahlenverhältnis nach mit keinem unserer Intervalle völlig zur Deckung bringen
lassen, dennoch ohne es zu wissen und zu wollen in die ihnen zunächstliegenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318565"/>
          <fw type="header" place="top"> Exotische Musik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1350" prev="#ID_1349"> Ztuäy c»f OmaK-l Inäian Nu8lL" publizierten Gesanges der Omaha-<lb/>
Jndianer aus deren Wa-Wan-Zeremonie zeigen, der beim Originalvortrag<lb/>
&#x2014; mit Trommelbegleitung I &#x2014; auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einem<lb/>
Choral besitzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1351"> Von harmonischen Bildungen sind in der exotischen Musik bis jetzt fast<lb/>
ausschließlich Quinten- und Ouartenparallelen bekannt; ähnlich wie sie vor etwa<lb/>
tausend Jahren in unserer eigenen Musik auftraten. Ein Tanzlied der ost¬<lb/>
afrikanischen Wcmyamwezi enthält folgende (eine Oktave tiefer zu transponierende)<lb/>
Stelle:</p><lb/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_318282/figures/grenzboten_341893_318282_318565_004.jpg"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1352"> Stumpf nimmt an, daß diese Zusammenklange deshalb bevorzugt werden,<lb/>
weil sie nach der Oktave unter allen Intervallen die größte Ähnlichkeit mit dem<lb/>
Einklang besitzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1353"> Von einem eigentlichen Tonsvstem kann bei den primitiveren Völkern nicht<lb/>
gesprochen werden. Die Leute kennen die Töne nur innerhalb ihrer Melodien.<lb/>
Wenn man einen afrikanischen Musiker auffordert, eine Tonleiter zu singen, wird<lb/>
er nie begreifen können, was man von ihm will. Die exotischen Kulturvölker<lb/>
dagegen besitzen, wie bereits an einem Beispiel gezeigt wurde, ihre eigenen, sehr<lb/>
beachtenswerten Tonsusteme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1354" next="#ID_1355"> Eine Leiterbildung, die fast noch merkwürdiger als die Siamesische erscheint,<lb/>
findet sich auf Java. Es ist dies die sogenannte Salendroleiter (neben ihr kommt<lb/>
noch eine andere mit ungleichen Stufen vor), die innerhalb der Oktave fünf<lb/>
gleichstufige Tonschritte enthält. Spielt man folgende Skala auf der Geige:<lb/>
L, cZ, k, b, L, wobei man ! und b etwas zu tief und et und A etwas zu<lb/>
hoch nimmt, so erhält man ungefähr die javanische Salendroleiter. Sie klingt<lb/>
wunderlich genug. Die siebenstufige Siamesenleiter erscheint uns dagegen weniger<lb/>
sonderbar, zumal im praktischen Gebrauch. Es können sogar europäische Melodien<lb/>
in der siamesischen Stimmung gespielt werden, ohne daß sie wesentlich verändert<lb/>
erscheinen. Denn wir sind gewohnt, alle Tonschritte, die sich ihren: Schwingungs-<lb/>
zahlenverhältnis nach mit keinem unserer Intervalle völlig zur Deckung bringen<lb/>
lassen, dennoch ohne es zu wissen und zu wollen in die ihnen zunächstliegenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Exotische Musik Ztuäy c»f OmaK-l Inäian Nu8lL" publizierten Gesanges der Omaha- Jndianer aus deren Wa-Wan-Zeremonie zeigen, der beim Originalvortrag — mit Trommelbegleitung I — auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einem Choral besitzt. Von harmonischen Bildungen sind in der exotischen Musik bis jetzt fast ausschließlich Quinten- und Ouartenparallelen bekannt; ähnlich wie sie vor etwa tausend Jahren in unserer eigenen Musik auftraten. Ein Tanzlied der ost¬ afrikanischen Wcmyamwezi enthält folgende (eine Oktave tiefer zu transponierende) Stelle: [Abbildung] Stumpf nimmt an, daß diese Zusammenklange deshalb bevorzugt werden, weil sie nach der Oktave unter allen Intervallen die größte Ähnlichkeit mit dem Einklang besitzen. Von einem eigentlichen Tonsvstem kann bei den primitiveren Völkern nicht gesprochen werden. Die Leute kennen die Töne nur innerhalb ihrer Melodien. Wenn man einen afrikanischen Musiker auffordert, eine Tonleiter zu singen, wird er nie begreifen können, was man von ihm will. Die exotischen Kulturvölker dagegen besitzen, wie bereits an einem Beispiel gezeigt wurde, ihre eigenen, sehr beachtenswerten Tonsusteme. Eine Leiterbildung, die fast noch merkwürdiger als die Siamesische erscheint, findet sich auf Java. Es ist dies die sogenannte Salendroleiter (neben ihr kommt noch eine andere mit ungleichen Stufen vor), die innerhalb der Oktave fünf gleichstufige Tonschritte enthält. Spielt man folgende Skala auf der Geige: L, cZ, k, b, L, wobei man ! und b etwas zu tief und et und A etwas zu hoch nimmt, so erhält man ungefähr die javanische Salendroleiter. Sie klingt wunderlich genug. Die siebenstufige Siamesenleiter erscheint uns dagegen weniger sonderbar, zumal im praktischen Gebrauch. Es können sogar europäische Melodien in der siamesischen Stimmung gespielt werden, ohne daß sie wesentlich verändert erscheinen. Denn wir sind gewohnt, alle Tonschritte, die sich ihren: Schwingungs- zahlenverhältnis nach mit keinem unserer Intervalle völlig zur Deckung bringen lassen, dennoch ohne es zu wissen und zu wollen in die ihnen zunächstliegenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/282>, abgerufen am 22.07.2024.