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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der rote Rausch

zu verhindern wissen! Man wird die Heimatscholle verteidigen mit Piff, pass!
Den Boden seiner Väter! Vum! Man ist kein Prahlhans, man ist Held! Und
überdies sind die Soldaten draußen unsere Freunde. Wir werden fertig mit¬
einander!"

Kommandoworte, scharf, kurz, sachlich; ein Rasseln wie von einer Maschine,
nicht länger als eine, zwei Sekunden; fertig; atemlose Stille; noch ein kurzes
scharfes Wort; Feuer! Und die Salve kracht. Salve auf Salve.

Menschen stürzen, bleiben liegen, der weiße Stein zeigt große, dunkelrote
Flecke. Blut--

Eine Barrikade ist genommen, der Kampf setzt sich in engen Straßen fort.

Der Rausch, der sonst von den Weinhügeln herabsteigt, die Menschenherzen
zu entzünden, zu beglücken oder zu betören, hat es ihnen angetan. Aber es ist
nicht der holde Rausch, der in der Vlätterwiege des Weinstockes ruht und mit
hunderttausend Rebenaugen traumhaft in die Welt schaut, es ist nicht der Bringer
der Freude, der Tröster der Leiden, der Löser der Zungen und Aufriegler der
Herzen, der zauberfreudige, schalkhaft lächelnde, laubbekränzte Gott, der die Schale
des Lebens darreicht, sondern es ist ein finsterer, selbstmörderischer, schrecklicher
Wahn, der diese Menschen befallen, daß sie gegen das eigene Fleisch wüten, die
Brust aufreißen, die Adern öffnen----

Blutrausch!

Feuer!

Der dichte Haufen staut zurück, wieder liegen einige Menschen am Boden,
der Stein färbt sich rot. . .

Feuer!

Wieder ein Schreien, Auseinanderstieben, ein Hinstürzen, wieder springt ein
rotes Bächlein. O, dieses ungestüme Blut der Erde!

Feuer!

Straße um Straße rötet sich, der rötliche Saft rinnt die Gossen hinab, in
die Bäche und Brunnen, als hätte der rote Wein die eisernen Reifen gesprengt
und rinne in Strömen an den Weißen Sockeln der Häuser entlang, wie damals,
als der Segen so übervoll von den Bergen rann, daß die Keller ihn nicht mehr
fassen wollten, und daß man ihn rinnen ließ an jenem Tage der Weinlese, der
ein Tag des Verbindens war, wie heut, wo sich wieder das Prophetenwort erfüllte.

Da lag Joachim, der blinde Seher, in das leere Auge getroffen, ein gefüllter
hundertjähriger Riese, der die blutige Weinlese kommen sah.

Da lag der treue Leon, der Rächer des Freundes, der vierte von den vielen,
die Jeanne liebten.

Da lagen die Hunderte, deren Blut über die Straßen rann, als wäre es
verschütteter Wein.

Da lag die Blüte des Weinlandes, um derentwillen geliebt, gehaßt, gekämpft
und Blut vergossen wurde, die heldenhafte, geheiligte Jungfrau Jeanne, durchs
reine Herz geschossen, aus dem rubinhelles Blut träufelte, das die Leute mit ihren
Taschentüchern auftupften, um eine wunderkräftige Reliquie fürs Leben zu besitzen.

Und wo die tugendstarke Jungfrau hingesunken war, mitten am Platz vor
der gestürmten Präfektur, wurden Steine im Kreis zusammengelegt, Blumen da"
zwischen und Kerzen angezündet, die Tag und Nacht brannten.


Der rote Rausch

zu verhindern wissen! Man wird die Heimatscholle verteidigen mit Piff, pass!
Den Boden seiner Väter! Vum! Man ist kein Prahlhans, man ist Held! Und
überdies sind die Soldaten draußen unsere Freunde. Wir werden fertig mit¬
einander!"

Kommandoworte, scharf, kurz, sachlich; ein Rasseln wie von einer Maschine,
nicht länger als eine, zwei Sekunden; fertig; atemlose Stille; noch ein kurzes
scharfes Wort; Feuer! Und die Salve kracht. Salve auf Salve.

Menschen stürzen, bleiben liegen, der weiße Stein zeigt große, dunkelrote
Flecke. Blut--

Eine Barrikade ist genommen, der Kampf setzt sich in engen Straßen fort.

Der Rausch, der sonst von den Weinhügeln herabsteigt, die Menschenherzen
zu entzünden, zu beglücken oder zu betören, hat es ihnen angetan. Aber es ist
nicht der holde Rausch, der in der Vlätterwiege des Weinstockes ruht und mit
hunderttausend Rebenaugen traumhaft in die Welt schaut, es ist nicht der Bringer
der Freude, der Tröster der Leiden, der Löser der Zungen und Aufriegler der
Herzen, der zauberfreudige, schalkhaft lächelnde, laubbekränzte Gott, der die Schale
des Lebens darreicht, sondern es ist ein finsterer, selbstmörderischer, schrecklicher
Wahn, der diese Menschen befallen, daß sie gegen das eigene Fleisch wüten, die
Brust aufreißen, die Adern öffnen----

Blutrausch!

Feuer!

Der dichte Haufen staut zurück, wieder liegen einige Menschen am Boden,
der Stein färbt sich rot. . .

Feuer!

Wieder ein Schreien, Auseinanderstieben, ein Hinstürzen, wieder springt ein
rotes Bächlein. O, dieses ungestüme Blut der Erde!

Feuer!

Straße um Straße rötet sich, der rötliche Saft rinnt die Gossen hinab, in
die Bäche und Brunnen, als hätte der rote Wein die eisernen Reifen gesprengt
und rinne in Strömen an den Weißen Sockeln der Häuser entlang, wie damals,
als der Segen so übervoll von den Bergen rann, daß die Keller ihn nicht mehr
fassen wollten, und daß man ihn rinnen ließ an jenem Tage der Weinlese, der
ein Tag des Verbindens war, wie heut, wo sich wieder das Prophetenwort erfüllte.

Da lag Joachim, der blinde Seher, in das leere Auge getroffen, ein gefüllter
hundertjähriger Riese, der die blutige Weinlese kommen sah.

Da lag der treue Leon, der Rächer des Freundes, der vierte von den vielen,
die Jeanne liebten.

Da lagen die Hunderte, deren Blut über die Straßen rann, als wäre es
verschütteter Wein.

Da lag die Blüte des Weinlandes, um derentwillen geliebt, gehaßt, gekämpft
und Blut vergossen wurde, die heldenhafte, geheiligte Jungfrau Jeanne, durchs
reine Herz geschossen, aus dem rubinhelles Blut träufelte, das die Leute mit ihren
Taschentüchern auftupften, um eine wunderkräftige Reliquie fürs Leben zu besitzen.

Und wo die tugendstarke Jungfrau hingesunken war, mitten am Platz vor
der gestürmten Präfektur, wurden Steine im Kreis zusammengelegt, Blumen da"
zwischen und Kerzen angezündet, die Tag und Nacht brannten.


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[0234] Der rote Rausch zu verhindern wissen! Man wird die Heimatscholle verteidigen mit Piff, pass! Den Boden seiner Väter! Vum! Man ist kein Prahlhans, man ist Held! Und überdies sind die Soldaten draußen unsere Freunde. Wir werden fertig mit¬ einander!" Kommandoworte, scharf, kurz, sachlich; ein Rasseln wie von einer Maschine, nicht länger als eine, zwei Sekunden; fertig; atemlose Stille; noch ein kurzes scharfes Wort; Feuer! Und die Salve kracht. Salve auf Salve. Menschen stürzen, bleiben liegen, der weiße Stein zeigt große, dunkelrote Flecke. Blut-- Eine Barrikade ist genommen, der Kampf setzt sich in engen Straßen fort. Der Rausch, der sonst von den Weinhügeln herabsteigt, die Menschenherzen zu entzünden, zu beglücken oder zu betören, hat es ihnen angetan. Aber es ist nicht der holde Rausch, der in der Vlätterwiege des Weinstockes ruht und mit hunderttausend Rebenaugen traumhaft in die Welt schaut, es ist nicht der Bringer der Freude, der Tröster der Leiden, der Löser der Zungen und Aufriegler der Herzen, der zauberfreudige, schalkhaft lächelnde, laubbekränzte Gott, der die Schale des Lebens darreicht, sondern es ist ein finsterer, selbstmörderischer, schrecklicher Wahn, der diese Menschen befallen, daß sie gegen das eigene Fleisch wüten, die Brust aufreißen, die Adern öffnen---- Blutrausch! Feuer! Der dichte Haufen staut zurück, wieder liegen einige Menschen am Boden, der Stein färbt sich rot. . . Feuer! Wieder ein Schreien, Auseinanderstieben, ein Hinstürzen, wieder springt ein rotes Bächlein. O, dieses ungestüme Blut der Erde! Feuer! Straße um Straße rötet sich, der rötliche Saft rinnt die Gossen hinab, in die Bäche und Brunnen, als hätte der rote Wein die eisernen Reifen gesprengt und rinne in Strömen an den Weißen Sockeln der Häuser entlang, wie damals, als der Segen so übervoll von den Bergen rann, daß die Keller ihn nicht mehr fassen wollten, und daß man ihn rinnen ließ an jenem Tage der Weinlese, der ein Tag des Verbindens war, wie heut, wo sich wieder das Prophetenwort erfüllte. Da lag Joachim, der blinde Seher, in das leere Auge getroffen, ein gefüllter hundertjähriger Riese, der die blutige Weinlese kommen sah. Da lag der treue Leon, der Rächer des Freundes, der vierte von den vielen, die Jeanne liebten. Da lagen die Hunderte, deren Blut über die Straßen rann, als wäre es verschütteter Wein. Da lag die Blüte des Weinlandes, um derentwillen geliebt, gehaßt, gekämpft und Blut vergossen wurde, die heldenhafte, geheiligte Jungfrau Jeanne, durchs reine Herz geschossen, aus dem rubinhelles Blut träufelte, das die Leute mit ihren Taschentüchern auftupften, um eine wunderkräftige Reliquie fürs Leben zu besitzen. Und wo die tugendstarke Jungfrau hingesunken war, mitten am Platz vor der gestürmten Präfektur, wurden Steine im Kreis zusammengelegt, Blumen da" zwischen und Kerzen angezündet, die Tag und Nacht brannten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/234>, abgerufen am 03.07.2024.