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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der role Rausch

"Bürger, man hängt einen erst, wenn man ihn hat!"

"Was, entflohen? Durchs Tor? Unmöglich!"

"Nein, durchs Fenster, über die Dächer!"

In den Straßen wird es lebendig, mit Fackeln geht die Verfolgung von
Haus zu Haus, von Dach zu Dach, ein dunkler Körper wird heruntergeschossen,
und als die Sonne aufgeht, sieht ihr erstauntes Auge den wunderlichen Körper
Richards unter den schönen Platanen----einen Schuh über der Erde, Volks¬
gericht -- Leon als Ankläger und Richter, die Menge das Tribunal, Urteilsspruch
einstimmig -- -- mit Ausnahme einer Stimme ------Jeanne!

So endete Richards Revolutionshochzeit.

Der Morgen sieht neue Uniformen im Feld, wilde, fremde, dunkle Gesichter.
Noch in der Nacht ist die Linie Gastons abgerückt, durch neue Truppen ersetzt,
die keinen Gemütsanteil an der Winzersache habe".

Mit Sang und Geschrei ist die Linie siebzehn nach Marseille abgerückt, wo
sie die Schiffe besteigen wird.

"Ninon, Nana, Lolotte-----"

Mit Sang und Geschrei! Der gute Gaston! Er blieb in der Heimat. Ein
guter Kamerad, einen bessern findst du nit! Sein Lied blieb bei der Truppe,
eine Erinnerung!

"Ninon, Nana, Lolotte----"

Nach dem Süden, immer nach dem Süden! Nun gar übers blaue Meer!
So lautete der Befehl!

Denn in den Kolonien, im dunklen Erdteil, gibt's Posten, von denen kaum
einer mehr zurückkehrt---Der dunkle Erdteil--terra eil Nortel

Straffreiheit, gewiß, das war zugestanden; aber Sühne! Das Weltgewissen
verlangt Sühne! Sie wußten kaum, was Schuld war, sie wissen nicht, was
Sühne ist. Ein Auf und Nieder der mystischen Schalen, eine ungeheure Weltwage...

Adieu, Gaston, schlaf wohl! Adieu Ninon, Nana, Lolotte-------
^

ls salutare, Norituri!

Ein strahlender Morgen! Die Himmelsfrau in blauem, makellosen Mantel
ging über die Weinhügel, sie mit goldenen Strahlenhänden, mit Sonnenstrahlen¬
händen zu segnen. Auf den Hügeln wird der Weinstock lebendig, aber in seinen
Blatterfingern funkelt nicht die Traube, sondern blitzen die Bajonette, und statt
Most wird Blut von den Bergen triefen.

Weinlese des Todes!

Die Truppen dringen vor, Ordnung und Frieden in der Stadt und im
Land, im ganzen entflammten Midi mit eiserner Faust aufzurichten.

"Das ist Sache der Bürger! Keine Soldaten! Auf die Barrikade!"

Der Boden ist heiß, die Traube reift schnell groß und schwer und süß, voll
Feuer; o, edles Blut der Erde!

Aber auch in den Adern rollt es heiß, flammend schlägt die Begeisterung
empor, die Leidenschaft, die Liebe, der Zorn, der Haß---1 O, dieses feurige
Blut der Erde!

Die Leute von Perpignan sind entschlossen, nicht der Gewalt zu weichen.

"Man wird sich von der unverschämten Regierung nicht ins Bockshorn jagen
lassenI Kein Soldat wird den Fuß in diese Stadt setzen dürfen! Man wird es


Der role Rausch

„Bürger, man hängt einen erst, wenn man ihn hat!"

„Was, entflohen? Durchs Tor? Unmöglich!"

„Nein, durchs Fenster, über die Dächer!"

In den Straßen wird es lebendig, mit Fackeln geht die Verfolgung von
Haus zu Haus, von Dach zu Dach, ein dunkler Körper wird heruntergeschossen,
und als die Sonne aufgeht, sieht ihr erstauntes Auge den wunderlichen Körper
Richards unter den schönen Platanen----einen Schuh über der Erde, Volks¬
gericht — Leon als Ankläger und Richter, die Menge das Tribunal, Urteilsspruch
einstimmig — — mit Ausnahme einer Stimme ------Jeanne!

So endete Richards Revolutionshochzeit.

Der Morgen sieht neue Uniformen im Feld, wilde, fremde, dunkle Gesichter.
Noch in der Nacht ist die Linie Gastons abgerückt, durch neue Truppen ersetzt,
die keinen Gemütsanteil an der Winzersache habe».

Mit Sang und Geschrei ist die Linie siebzehn nach Marseille abgerückt, wo
sie die Schiffe besteigen wird.

„Ninon, Nana, Lolotte-----"

Mit Sang und Geschrei! Der gute Gaston! Er blieb in der Heimat. Ein
guter Kamerad, einen bessern findst du nit! Sein Lied blieb bei der Truppe,
eine Erinnerung!

„Ninon, Nana, Lolotte----"

Nach dem Süden, immer nach dem Süden! Nun gar übers blaue Meer!
So lautete der Befehl!

Denn in den Kolonien, im dunklen Erdteil, gibt's Posten, von denen kaum
einer mehr zurückkehrt---Der dunkle Erdteil--terra eil Nortel

Straffreiheit, gewiß, das war zugestanden; aber Sühne! Das Weltgewissen
verlangt Sühne! Sie wußten kaum, was Schuld war, sie wissen nicht, was
Sühne ist. Ein Auf und Nieder der mystischen Schalen, eine ungeheure Weltwage...

Adieu, Gaston, schlaf wohl! Adieu Ninon, Nana, Lolotte-------
^

ls salutare, Norituri!

Ein strahlender Morgen! Die Himmelsfrau in blauem, makellosen Mantel
ging über die Weinhügel, sie mit goldenen Strahlenhänden, mit Sonnenstrahlen¬
händen zu segnen. Auf den Hügeln wird der Weinstock lebendig, aber in seinen
Blatterfingern funkelt nicht die Traube, sondern blitzen die Bajonette, und statt
Most wird Blut von den Bergen triefen.

Weinlese des Todes!

Die Truppen dringen vor, Ordnung und Frieden in der Stadt und im
Land, im ganzen entflammten Midi mit eiserner Faust aufzurichten.

„Das ist Sache der Bürger! Keine Soldaten! Auf die Barrikade!"

Der Boden ist heiß, die Traube reift schnell groß und schwer und süß, voll
Feuer; o, edles Blut der Erde!

Aber auch in den Adern rollt es heiß, flammend schlägt die Begeisterung
empor, die Leidenschaft, die Liebe, der Zorn, der Haß---1 O, dieses feurige
Blut der Erde!

Die Leute von Perpignan sind entschlossen, nicht der Gewalt zu weichen.

„Man wird sich von der unverschämten Regierung nicht ins Bockshorn jagen
lassenI Kein Soldat wird den Fuß in diese Stadt setzen dürfen! Man wird es


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[0233] Der role Rausch „Bürger, man hängt einen erst, wenn man ihn hat!" „Was, entflohen? Durchs Tor? Unmöglich!" „Nein, durchs Fenster, über die Dächer!" In den Straßen wird es lebendig, mit Fackeln geht die Verfolgung von Haus zu Haus, von Dach zu Dach, ein dunkler Körper wird heruntergeschossen, und als die Sonne aufgeht, sieht ihr erstauntes Auge den wunderlichen Körper Richards unter den schönen Platanen----einen Schuh über der Erde, Volks¬ gericht — Leon als Ankläger und Richter, die Menge das Tribunal, Urteilsspruch einstimmig — — mit Ausnahme einer Stimme ------Jeanne! So endete Richards Revolutionshochzeit. Der Morgen sieht neue Uniformen im Feld, wilde, fremde, dunkle Gesichter. Noch in der Nacht ist die Linie Gastons abgerückt, durch neue Truppen ersetzt, die keinen Gemütsanteil an der Winzersache habe». Mit Sang und Geschrei ist die Linie siebzehn nach Marseille abgerückt, wo sie die Schiffe besteigen wird. „Ninon, Nana, Lolotte-----" Mit Sang und Geschrei! Der gute Gaston! Er blieb in der Heimat. Ein guter Kamerad, einen bessern findst du nit! Sein Lied blieb bei der Truppe, eine Erinnerung! „Ninon, Nana, Lolotte----" Nach dem Süden, immer nach dem Süden! Nun gar übers blaue Meer! So lautete der Befehl! Denn in den Kolonien, im dunklen Erdteil, gibt's Posten, von denen kaum einer mehr zurückkehrt---Der dunkle Erdteil--terra eil Nortel Straffreiheit, gewiß, das war zugestanden; aber Sühne! Das Weltgewissen verlangt Sühne! Sie wußten kaum, was Schuld war, sie wissen nicht, was Sühne ist. Ein Auf und Nieder der mystischen Schalen, eine ungeheure Weltwage... Adieu, Gaston, schlaf wohl! Adieu Ninon, Nana, Lolotte------- ^ ls salutare, Norituri! Ein strahlender Morgen! Die Himmelsfrau in blauem, makellosen Mantel ging über die Weinhügel, sie mit goldenen Strahlenhänden, mit Sonnenstrahlen¬ händen zu segnen. Auf den Hügeln wird der Weinstock lebendig, aber in seinen Blatterfingern funkelt nicht die Traube, sondern blitzen die Bajonette, und statt Most wird Blut von den Bergen triefen. Weinlese des Todes! Die Truppen dringen vor, Ordnung und Frieden in der Stadt und im Land, im ganzen entflammten Midi mit eiserner Faust aufzurichten. „Das ist Sache der Bürger! Keine Soldaten! Auf die Barrikade!" Der Boden ist heiß, die Traube reift schnell groß und schwer und süß, voll Feuer; o, edles Blut der Erde! Aber auch in den Adern rollt es heiß, flammend schlägt die Begeisterung empor, die Leidenschaft, die Liebe, der Zorn, der Haß---1 O, dieses feurige Blut der Erde! Die Leute von Perpignan sind entschlossen, nicht der Gewalt zu weichen. „Man wird sich von der unverschämten Regierung nicht ins Bockshorn jagen lassenI Kein Soldat wird den Fuß in diese Stadt setzen dürfen! Man wird es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/233>, abgerufen am 03.07.2024.