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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der rote Rausch

Allein----Genie bricht sich Bahn und schafft aus Niedrigkeit einen
Königsmantel! Seht her! Ist nicht der Nachthimmel blutrot von den Flammen¬
zeichen, der Purpurmantel einer königlichen Zeit, die Richards Träume, Hoffnungen,
Gedanken, Entwürfe verwirklicht? O, sie trügt seine Marke, seinen Geist, seine
Züge! Der .Königsmantel ist sein! Er hat dieses Schicksal geschmiedet, die anderen
waren bloße Handlanger seiner tiefgreifenden, furchtlosen Ideen! Wer triumphiert?
Der verachtete, demütige, ausgenutzte, schlecht bedankte Richard! Er triumphiert
über diesen dumpfen Pöbel, über diese unfähigen Führer, über Marcellin, Rouquiö
und die anderen offenen und heimlichen Widersacher, über den verhaßten Rivalen,
den Bruder Gaston, und über seine Leiche hinweg ergreift er den wehenden Schleier
seines Glücks. Jeanne! Und darum Verrat über Verrat, feingesponnene Intrige --
ein Staatsmann und Diplomat kann keine feineren Schlingengewebe erdenken --
und schließlich der Mord---Brudermord!-----geschickt verhüllt mit der
Sache der Heimat-----eine blutige Hochzeitsnacht!

Jeanne ist in seiner Gewalt----nein, in seinein Schutz, die Braut des
Bruders. Gaston hat ihn dazu bestellt, aber Gaston ist tot, gefallen als Held,
Richard nimmt das Erbe an sieht

Aber Jeanne verachtet ihn, sie haßt ihn, sie flieht ihn, den Mörder seines
Bruders, sie fürchtet ihn bereits, denn seine Seele ist feig und grausam, seine
Werbung ist Verbrechen, seine Liebe ist die böse Lust eines Irrsinnigen.

Er tritt in die Tür und sagt:

"Ich habe dich zweimal zur Frau begehrt, Jeanne, aber du hast mich ver¬
lacht. Ich habe erwartet, daß du kommen würdest, ehe es zu spät ist. Du bist
nicht gekommen, ich war ein Narr, o ein dreimal verblendeter Narr! Nun stehe
ich zum drittenmal vor dir, aber ich begehre dich nicht mehr zur Frau, ich begehre
dich zur Dirne, haha, stolze Jeanne, mich dürstet nach deinen Lippen, nach dein
Wein deines .Kusses-----


Nebenwtes Lippenpaar---
Reich' den Liebestrunk mir dar--

Heute nacht, ah, Hochzeit---Hochzeit-----was Pfaffensegen---
was Kirchensang -------zum Teufel mit dem Geplärr!------


Dmiioläugiyo Traube,
Grün ist das Bett-----

Wachsame Ohren haben einen Hilfeschrei gehört. Die Tür in Richards Hause
wird eingestoßen, Lärm, Schüsse, Flucht. Jeanne ist befreit, aber wo ist Richard,
diese Bestie? Löon rast, er will ihn niederschießen wie einen Hund. Das Haus
wird förmlich ausgeweidet, man findet ihn nicht. Stöße von beschriebenen Papier
sind da. Akten. Schriftstücke amtlichen Aussehens. Dieses und jenes Blatt, in Eile
überflogen, gibt Enthüllungen über Richards geheime Mission.

"Meine Ahnung!" ruft L6on, "hier sind die Beweise! Richard ist ein bezahlter
Spion, ein Angeber, ein Verräter der Winzersache. Schändlich, schändlich! Hat
er nicht geholfen, das Unglück der Heimat zu vergrößern? Wer weiß, ob ohne
ihn überhaupt Soldaten vor den Toren wären, ob es überhaupt zu diesem
bewaffneten Aufruhr gekommen wäre! Freunde, wir müssen ein Exempel statuieren!"


Der rote Rausch

Allein----Genie bricht sich Bahn und schafft aus Niedrigkeit einen
Königsmantel! Seht her! Ist nicht der Nachthimmel blutrot von den Flammen¬
zeichen, der Purpurmantel einer königlichen Zeit, die Richards Träume, Hoffnungen,
Gedanken, Entwürfe verwirklicht? O, sie trügt seine Marke, seinen Geist, seine
Züge! Der .Königsmantel ist sein! Er hat dieses Schicksal geschmiedet, die anderen
waren bloße Handlanger seiner tiefgreifenden, furchtlosen Ideen! Wer triumphiert?
Der verachtete, demütige, ausgenutzte, schlecht bedankte Richard! Er triumphiert
über diesen dumpfen Pöbel, über diese unfähigen Führer, über Marcellin, Rouquiö
und die anderen offenen und heimlichen Widersacher, über den verhaßten Rivalen,
den Bruder Gaston, und über seine Leiche hinweg ergreift er den wehenden Schleier
seines Glücks. Jeanne! Und darum Verrat über Verrat, feingesponnene Intrige —
ein Staatsmann und Diplomat kann keine feineren Schlingengewebe erdenken —
und schließlich der Mord---Brudermord!-----geschickt verhüllt mit der
Sache der Heimat-----eine blutige Hochzeitsnacht!

Jeanne ist in seiner Gewalt----nein, in seinein Schutz, die Braut des
Bruders. Gaston hat ihn dazu bestellt, aber Gaston ist tot, gefallen als Held,
Richard nimmt das Erbe an sieht

Aber Jeanne verachtet ihn, sie haßt ihn, sie flieht ihn, den Mörder seines
Bruders, sie fürchtet ihn bereits, denn seine Seele ist feig und grausam, seine
Werbung ist Verbrechen, seine Liebe ist die böse Lust eines Irrsinnigen.

Er tritt in die Tür und sagt:

„Ich habe dich zweimal zur Frau begehrt, Jeanne, aber du hast mich ver¬
lacht. Ich habe erwartet, daß du kommen würdest, ehe es zu spät ist. Du bist
nicht gekommen, ich war ein Narr, o ein dreimal verblendeter Narr! Nun stehe
ich zum drittenmal vor dir, aber ich begehre dich nicht mehr zur Frau, ich begehre
dich zur Dirne, haha, stolze Jeanne, mich dürstet nach deinen Lippen, nach dein
Wein deines .Kusses-----


Nebenwtes Lippenpaar---
Reich' den Liebestrunk mir dar--

Heute nacht, ah, Hochzeit---Hochzeit-----was Pfaffensegen---
was Kirchensang —-----zum Teufel mit dem Geplärr!----—


Dmiioläugiyo Traube,
Grün ist das Bett-----

Wachsame Ohren haben einen Hilfeschrei gehört. Die Tür in Richards Hause
wird eingestoßen, Lärm, Schüsse, Flucht. Jeanne ist befreit, aber wo ist Richard,
diese Bestie? Löon rast, er will ihn niederschießen wie einen Hund. Das Haus
wird förmlich ausgeweidet, man findet ihn nicht. Stöße von beschriebenen Papier
sind da. Akten. Schriftstücke amtlichen Aussehens. Dieses und jenes Blatt, in Eile
überflogen, gibt Enthüllungen über Richards geheime Mission.

„Meine Ahnung!" ruft L6on, „hier sind die Beweise! Richard ist ein bezahlter
Spion, ein Angeber, ein Verräter der Winzersache. Schändlich, schändlich! Hat
er nicht geholfen, das Unglück der Heimat zu vergrößern? Wer weiß, ob ohne
ihn überhaupt Soldaten vor den Toren wären, ob es überhaupt zu diesem
bewaffneten Aufruhr gekommen wäre! Freunde, wir müssen ein Exempel statuieren!"


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[0232] Der rote Rausch Allein----Genie bricht sich Bahn und schafft aus Niedrigkeit einen Königsmantel! Seht her! Ist nicht der Nachthimmel blutrot von den Flammen¬ zeichen, der Purpurmantel einer königlichen Zeit, die Richards Träume, Hoffnungen, Gedanken, Entwürfe verwirklicht? O, sie trügt seine Marke, seinen Geist, seine Züge! Der .Königsmantel ist sein! Er hat dieses Schicksal geschmiedet, die anderen waren bloße Handlanger seiner tiefgreifenden, furchtlosen Ideen! Wer triumphiert? Der verachtete, demütige, ausgenutzte, schlecht bedankte Richard! Er triumphiert über diesen dumpfen Pöbel, über diese unfähigen Führer, über Marcellin, Rouquiö und die anderen offenen und heimlichen Widersacher, über den verhaßten Rivalen, den Bruder Gaston, und über seine Leiche hinweg ergreift er den wehenden Schleier seines Glücks. Jeanne! Und darum Verrat über Verrat, feingesponnene Intrige — ein Staatsmann und Diplomat kann keine feineren Schlingengewebe erdenken — und schließlich der Mord---Brudermord!-----geschickt verhüllt mit der Sache der Heimat-----eine blutige Hochzeitsnacht! Jeanne ist in seiner Gewalt----nein, in seinein Schutz, die Braut des Bruders. Gaston hat ihn dazu bestellt, aber Gaston ist tot, gefallen als Held, Richard nimmt das Erbe an sieht Aber Jeanne verachtet ihn, sie haßt ihn, sie flieht ihn, den Mörder seines Bruders, sie fürchtet ihn bereits, denn seine Seele ist feig und grausam, seine Werbung ist Verbrechen, seine Liebe ist die böse Lust eines Irrsinnigen. Er tritt in die Tür und sagt: „Ich habe dich zweimal zur Frau begehrt, Jeanne, aber du hast mich ver¬ lacht. Ich habe erwartet, daß du kommen würdest, ehe es zu spät ist. Du bist nicht gekommen, ich war ein Narr, o ein dreimal verblendeter Narr! Nun stehe ich zum drittenmal vor dir, aber ich begehre dich nicht mehr zur Frau, ich begehre dich zur Dirne, haha, stolze Jeanne, mich dürstet nach deinen Lippen, nach dein Wein deines .Kusses----- Nebenwtes Lippenpaar--- Reich' den Liebestrunk mir dar-- Heute nacht, ah, Hochzeit---Hochzeit-----was Pfaffensegen--- was Kirchensang —-----zum Teufel mit dem Geplärr!----— Dmiioläugiyo Traube, Grün ist das Bett----- Wachsame Ohren haben einen Hilfeschrei gehört. Die Tür in Richards Hause wird eingestoßen, Lärm, Schüsse, Flucht. Jeanne ist befreit, aber wo ist Richard, diese Bestie? Löon rast, er will ihn niederschießen wie einen Hund. Das Haus wird förmlich ausgeweidet, man findet ihn nicht. Stöße von beschriebenen Papier sind da. Akten. Schriftstücke amtlichen Aussehens. Dieses und jenes Blatt, in Eile überflogen, gibt Enthüllungen über Richards geheime Mission. „Meine Ahnung!" ruft L6on, „hier sind die Beweise! Richard ist ein bezahlter Spion, ein Angeber, ein Verräter der Winzersache. Schändlich, schändlich! Hat er nicht geholfen, das Unglück der Heimat zu vergrößern? Wer weiß, ob ohne ihn überhaupt Soldaten vor den Toren wären, ob es überhaupt zu diesem bewaffneten Aufruhr gekommen wäre! Freunde, wir müssen ein Exempel statuieren!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/232>, abgerufen am 01.07.2024.