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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der Getreidebau

der Gesundheit, des Vermögens und Erwerbs, politische und soziale Stellung,
Kunstgenüsse, überhaupt das, was wir als Kultur und Zivilisation bezeichnen,
so hoch ein, daß er mit einem schmalen, aber sicheren Genuß seines heimatlichen
Besitzes vorlieb nimmt und es dem wagelustigen, entbehrungsbereiten Aus¬
wanderer oder Kolonisten überläßt, in fernen halbwilden Landen einen höheren,
aber unsicheren Gewinn zu erbeuten und mit seiner eigenen Körperkraft den
Gefahren zu trotze", die Klima, Einsamkeit, oft auch Menschen und Tiere ihm
bereiten. Eine eigentliche Konkurrenzunfähigkeit des deutschen Besitzers im Ver¬
hältnis zum fremden Farmer ist deshalb aber doch nicht vorhanden; englische
Konsols bringen auch weniger als Exoten.

Wenn in Rußland der Diskont etwa 2 Prozent höher steht als in England,
und wenn sibirische Unternehmungen außerordentlich gewinnbringend, aber auch
gefahrvoll sind, so ist England mit seinen gesicherten Verhältnissen, aber geringen
Unternehmergewinnen noch lange nicht konkurrenzunfähig. Die englische Land¬
wirtschaft ist es aber ohne Schutzzoll allerdings geworden, weil der Reinertrag
eben ganz aufhörte. Konsols, die gar nichts mehr bringen!

Von diesem schicksalsschweren Punkt war nun unsere Landwirtschaft in ihrer
UnglückSzeit von 1892 bis 1904 in manchen Gegenden unseres deutschen Vater¬
landes nicht mehr allzu weit entfernt. Ich sage nicht: in allen Gegenden, und
sage auch nicht: auf allen Gütern. Bodengüte und Tüchtigkeit des Besitzers
verschieben ini Einzelfall viel. Aber als Landrat eines ostpreußischen Kreises
mit stark differenzierter Bodengüte und damals noch stark differenzierten Verkehrs¬
verbindungen habe ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, daß z. B. die meist
bäuerlichen Umwohner des Zehlaubruches (eines fiskalischen Hochmoores), die
damals noch gegen vier deutsche Meilen von der nächsten Bahnstation entfernt
waren, trotz dürftigster Lebenshaltung dauernd zurückkamen, sich von Jahr zu
Jahr mehr verschuldeten und in Verzweiflung und Entmutigung versanken. Noch
zwölf solcher Jahre, und die Landwirtschaft hätte dort aufgehört, die Gegend
wäre verödet, oder, wie Herr Brentano will, wieder zu Wald geworden. In
den angrenzenden fiskalischen Forsten kann man dort Elche schießen; und bei
den heutigen Jagdpachtpreisen mag die Verpachtung einer guten Elch-Jagd
in Verbindung mit einem gewissen Holz-Ertrage, der allerdings erst nach
langen Jahren eintritt, nnter Umständen lohnender sein, als der Betrieb der Land¬
wirtschaft. Ich ehre die liberale Auffassung, daß dies das Gesamtwohl unseres Vater¬
landes nicht beeinträchtigt hätte, wenn ich sie auch nicht zu teilen vermag. Aber soviel
ist mir denn doch klar geworden, daß auch nach der 1904 einsetzenden Agrar-
hausse die Landwirtschaft als solche in jenen Gegenden konkurrenzfähig und
rentabel geblieben ist, mag auch der Landwirt im einzelnen durch Verkauf oder
Erbgang mehr verschuldet worden sein. Daß der Morgen ein paar Mark mehr
abwirft als 1892 bis 1904, das ist die Bedeutung der Getreidezölle, und diese
Bedeutung bleibt, auch wenn der Bodenpreis und die Verschuldung steigen.
Nicht das ist volkswirtschaftlich für die Erhaltung des Getreidebaues entscheidend,


Der Getreidebau

der Gesundheit, des Vermögens und Erwerbs, politische und soziale Stellung,
Kunstgenüsse, überhaupt das, was wir als Kultur und Zivilisation bezeichnen,
so hoch ein, daß er mit einem schmalen, aber sicheren Genuß seines heimatlichen
Besitzes vorlieb nimmt und es dem wagelustigen, entbehrungsbereiten Aus¬
wanderer oder Kolonisten überläßt, in fernen halbwilden Landen einen höheren,
aber unsicheren Gewinn zu erbeuten und mit seiner eigenen Körperkraft den
Gefahren zu trotze«, die Klima, Einsamkeit, oft auch Menschen und Tiere ihm
bereiten. Eine eigentliche Konkurrenzunfähigkeit des deutschen Besitzers im Ver¬
hältnis zum fremden Farmer ist deshalb aber doch nicht vorhanden; englische
Konsols bringen auch weniger als Exoten.

Wenn in Rußland der Diskont etwa 2 Prozent höher steht als in England,
und wenn sibirische Unternehmungen außerordentlich gewinnbringend, aber auch
gefahrvoll sind, so ist England mit seinen gesicherten Verhältnissen, aber geringen
Unternehmergewinnen noch lange nicht konkurrenzunfähig. Die englische Land¬
wirtschaft ist es aber ohne Schutzzoll allerdings geworden, weil der Reinertrag
eben ganz aufhörte. Konsols, die gar nichts mehr bringen!

Von diesem schicksalsschweren Punkt war nun unsere Landwirtschaft in ihrer
UnglückSzeit von 1892 bis 1904 in manchen Gegenden unseres deutschen Vater¬
landes nicht mehr allzu weit entfernt. Ich sage nicht: in allen Gegenden, und
sage auch nicht: auf allen Gütern. Bodengüte und Tüchtigkeit des Besitzers
verschieben ini Einzelfall viel. Aber als Landrat eines ostpreußischen Kreises
mit stark differenzierter Bodengüte und damals noch stark differenzierten Verkehrs¬
verbindungen habe ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, daß z. B. die meist
bäuerlichen Umwohner des Zehlaubruches (eines fiskalischen Hochmoores), die
damals noch gegen vier deutsche Meilen von der nächsten Bahnstation entfernt
waren, trotz dürftigster Lebenshaltung dauernd zurückkamen, sich von Jahr zu
Jahr mehr verschuldeten und in Verzweiflung und Entmutigung versanken. Noch
zwölf solcher Jahre, und die Landwirtschaft hätte dort aufgehört, die Gegend
wäre verödet, oder, wie Herr Brentano will, wieder zu Wald geworden. In
den angrenzenden fiskalischen Forsten kann man dort Elche schießen; und bei
den heutigen Jagdpachtpreisen mag die Verpachtung einer guten Elch-Jagd
in Verbindung mit einem gewissen Holz-Ertrage, der allerdings erst nach
langen Jahren eintritt, nnter Umständen lohnender sein, als der Betrieb der Land¬
wirtschaft. Ich ehre die liberale Auffassung, daß dies das Gesamtwohl unseres Vater¬
landes nicht beeinträchtigt hätte, wenn ich sie auch nicht zu teilen vermag. Aber soviel
ist mir denn doch klar geworden, daß auch nach der 1904 einsetzenden Agrar-
hausse die Landwirtschaft als solche in jenen Gegenden konkurrenzfähig und
rentabel geblieben ist, mag auch der Landwirt im einzelnen durch Verkauf oder
Erbgang mehr verschuldet worden sein. Daß der Morgen ein paar Mark mehr
abwirft als 1892 bis 1904, das ist die Bedeutung der Getreidezölle, und diese
Bedeutung bleibt, auch wenn der Bodenpreis und die Verschuldung steigen.
Nicht das ist volkswirtschaftlich für die Erhaltung des Getreidebaues entscheidend,


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[0225] Der Getreidebau der Gesundheit, des Vermögens und Erwerbs, politische und soziale Stellung, Kunstgenüsse, überhaupt das, was wir als Kultur und Zivilisation bezeichnen, so hoch ein, daß er mit einem schmalen, aber sicheren Genuß seines heimatlichen Besitzes vorlieb nimmt und es dem wagelustigen, entbehrungsbereiten Aus¬ wanderer oder Kolonisten überläßt, in fernen halbwilden Landen einen höheren, aber unsicheren Gewinn zu erbeuten und mit seiner eigenen Körperkraft den Gefahren zu trotze«, die Klima, Einsamkeit, oft auch Menschen und Tiere ihm bereiten. Eine eigentliche Konkurrenzunfähigkeit des deutschen Besitzers im Ver¬ hältnis zum fremden Farmer ist deshalb aber doch nicht vorhanden; englische Konsols bringen auch weniger als Exoten. Wenn in Rußland der Diskont etwa 2 Prozent höher steht als in England, und wenn sibirische Unternehmungen außerordentlich gewinnbringend, aber auch gefahrvoll sind, so ist England mit seinen gesicherten Verhältnissen, aber geringen Unternehmergewinnen noch lange nicht konkurrenzunfähig. Die englische Land¬ wirtschaft ist es aber ohne Schutzzoll allerdings geworden, weil der Reinertrag eben ganz aufhörte. Konsols, die gar nichts mehr bringen! Von diesem schicksalsschweren Punkt war nun unsere Landwirtschaft in ihrer UnglückSzeit von 1892 bis 1904 in manchen Gegenden unseres deutschen Vater¬ landes nicht mehr allzu weit entfernt. Ich sage nicht: in allen Gegenden, und sage auch nicht: auf allen Gütern. Bodengüte und Tüchtigkeit des Besitzers verschieben ini Einzelfall viel. Aber als Landrat eines ostpreußischen Kreises mit stark differenzierter Bodengüte und damals noch stark differenzierten Verkehrs¬ verbindungen habe ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, daß z. B. die meist bäuerlichen Umwohner des Zehlaubruches (eines fiskalischen Hochmoores), die damals noch gegen vier deutsche Meilen von der nächsten Bahnstation entfernt waren, trotz dürftigster Lebenshaltung dauernd zurückkamen, sich von Jahr zu Jahr mehr verschuldeten und in Verzweiflung und Entmutigung versanken. Noch zwölf solcher Jahre, und die Landwirtschaft hätte dort aufgehört, die Gegend wäre verödet, oder, wie Herr Brentano will, wieder zu Wald geworden. In den angrenzenden fiskalischen Forsten kann man dort Elche schießen; und bei den heutigen Jagdpachtpreisen mag die Verpachtung einer guten Elch-Jagd in Verbindung mit einem gewissen Holz-Ertrage, der allerdings erst nach langen Jahren eintritt, nnter Umständen lohnender sein, als der Betrieb der Land¬ wirtschaft. Ich ehre die liberale Auffassung, daß dies das Gesamtwohl unseres Vater¬ landes nicht beeinträchtigt hätte, wenn ich sie auch nicht zu teilen vermag. Aber soviel ist mir denn doch klar geworden, daß auch nach der 1904 einsetzenden Agrar- hausse die Landwirtschaft als solche in jenen Gegenden konkurrenzfähig und rentabel geblieben ist, mag auch der Landwirt im einzelnen durch Verkauf oder Erbgang mehr verschuldet worden sein. Daß der Morgen ein paar Mark mehr abwirft als 1892 bis 1904, das ist die Bedeutung der Getreidezölle, und diese Bedeutung bleibt, auch wenn der Bodenpreis und die Verschuldung steigen. Nicht das ist volkswirtschaftlich für die Erhaltung des Getreidebaues entscheidend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/225>, abgerufen am 29.06.2024.