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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der Getreidebau

Was heißt denn überhaupt "Verzinsung" des ländlichen Bodenwerts? Zahlt
denn der Landwirt an sich selbst Zinsen?

Wenn man die Leiter eines industriellen Werkes, wie Phönix oder Hochab,
befragen würde, unter welchen Umständen sie glaubten eine Rente heraus¬
wirtschaften und konkurrenzfähig bleiben zu können, so würden sie wahrscheinlich
antworten: wenn und solange die nötige Spannung zwischen dem Rohgeld-
ertrage und den Betriebskosten vorhanden ist. Wollte man sie im Brentanoscheu
Sinne darauf aufmerksam machen, daß ja auch die Dividende zu den Produktions¬
kosten gehöre, und wollte man weiter fragen, ob die Rentabilität ihrer Werke nicht
durch das in den letzten anderthalb Jahren erfolgte Steigen der Dividende um 6
bezw. 4 Prozent und des Kurses um etwa 90 bezw. 70 Prozent sehr gelitten habe,
so würden sie den Frager verdutzt ansehen und sich verständnisvoll lächelnd von
ihm abwenden. Und mit Recht! Denn was hat die Kurstreiberei in Berlin,
mit den Produktionskosten in Rheinland-Westfalen zu tun? Und gibt es einen
vollkommneren Widerspruch, als daß man erhöhte Rentabilität als unrentabel
erklärt? Genau so ist es nun aber in der Landwirtschaft und mit der land¬
wirtschaftlichen Bodenpreistreiberei. Nur etwas schwieriger begrifflich zu erfassen
ist die Sache hier für denjenigen, der sich wirtschaftliche Vorgänge klarlegt, weil
die Landwirtschaft (abgesehen von den Aufteilungsbanken) bei uns noch ausschließlich
individuell betrieben wird und der einzelne Gutsbesitzer somit gleichzeitig Gesamt¬
aktionär und Betriebsleiter (sozusagen volkswirtschaftlicher Beamter) seines Gutes
ist. Je nachdem er aber in der einen oder anderen Eigenschaft seine Rentabilitäts¬
berechnung macht, muß er eine Verzinsung des Bodenwerts einstellen oder nicht.
Der bloße Betriebsleiter (Wirtschafter) ist an der Gutsdividende und an der
Verzinsung der Gutsschulden persönlich nicht interessiert, kann diese Posten also
auch nicht als Produktionskosten einstellen. Für ihn handelt es sich nur darum,
daß eine angemessene Spannung zwischen Rohertrag und Betriebskosten vor¬
handen ist und somit der Morgen einen Reinertrag bringt; erst wenn diese
Spannung schwindet, wird er konkurrenzunfähig und sein Getreidebau unrentabel.
Dagegen muß der Gutsaktionär -- wie wir es nannten -- allerdings darauf
bedacht sein, seinen Kaufpreis verzinst zu erhalten, und erhalt er ihn nicht oder
nicht mehr, befriedigend verzinst, so hat er zuviel bezahlt und ebenso das
Nachsehen, wie jemand, der Phönix- oder Hochab-Aktien zu teuer bezahlt hat.
Dann aber erst wird dieser seine Aktien verbrennen und jener die Landwirtschaft
einstellen, wenn die erwähnte Spannung und mit ihr Reinertrag und die Ver¬
zinsung überhaupt aufhört.

Nun besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deutschen
Landwirt und dem kanadischen Farmer oder argentinischen Estanziero. Die
letzteren sollen, wie man hört, etwa 12 Prozent ihres Anlagekapitals heraus¬
wirtschaften, während der Deutsche sich mit etwa 4 Prozent begnügen muß. Er
tut das allerdings nicht ohne Grund. Der Mensch schätzt, besonders wenn er
zur glücklichen Klasse der Besitzenden gehört, Ordnung. Sicherheit des Lebens,


Der Getreidebau

Was heißt denn überhaupt „Verzinsung" des ländlichen Bodenwerts? Zahlt
denn der Landwirt an sich selbst Zinsen?

Wenn man die Leiter eines industriellen Werkes, wie Phönix oder Hochab,
befragen würde, unter welchen Umständen sie glaubten eine Rente heraus¬
wirtschaften und konkurrenzfähig bleiben zu können, so würden sie wahrscheinlich
antworten: wenn und solange die nötige Spannung zwischen dem Rohgeld-
ertrage und den Betriebskosten vorhanden ist. Wollte man sie im Brentanoscheu
Sinne darauf aufmerksam machen, daß ja auch die Dividende zu den Produktions¬
kosten gehöre, und wollte man weiter fragen, ob die Rentabilität ihrer Werke nicht
durch das in den letzten anderthalb Jahren erfolgte Steigen der Dividende um 6
bezw. 4 Prozent und des Kurses um etwa 90 bezw. 70 Prozent sehr gelitten habe,
so würden sie den Frager verdutzt ansehen und sich verständnisvoll lächelnd von
ihm abwenden. Und mit Recht! Denn was hat die Kurstreiberei in Berlin,
mit den Produktionskosten in Rheinland-Westfalen zu tun? Und gibt es einen
vollkommneren Widerspruch, als daß man erhöhte Rentabilität als unrentabel
erklärt? Genau so ist es nun aber in der Landwirtschaft und mit der land¬
wirtschaftlichen Bodenpreistreiberei. Nur etwas schwieriger begrifflich zu erfassen
ist die Sache hier für denjenigen, der sich wirtschaftliche Vorgänge klarlegt, weil
die Landwirtschaft (abgesehen von den Aufteilungsbanken) bei uns noch ausschließlich
individuell betrieben wird und der einzelne Gutsbesitzer somit gleichzeitig Gesamt¬
aktionär und Betriebsleiter (sozusagen volkswirtschaftlicher Beamter) seines Gutes
ist. Je nachdem er aber in der einen oder anderen Eigenschaft seine Rentabilitäts¬
berechnung macht, muß er eine Verzinsung des Bodenwerts einstellen oder nicht.
Der bloße Betriebsleiter (Wirtschafter) ist an der Gutsdividende und an der
Verzinsung der Gutsschulden persönlich nicht interessiert, kann diese Posten also
auch nicht als Produktionskosten einstellen. Für ihn handelt es sich nur darum,
daß eine angemessene Spannung zwischen Rohertrag und Betriebskosten vor¬
handen ist und somit der Morgen einen Reinertrag bringt; erst wenn diese
Spannung schwindet, wird er konkurrenzunfähig und sein Getreidebau unrentabel.
Dagegen muß der Gutsaktionär — wie wir es nannten — allerdings darauf
bedacht sein, seinen Kaufpreis verzinst zu erhalten, und erhalt er ihn nicht oder
nicht mehr, befriedigend verzinst, so hat er zuviel bezahlt und ebenso das
Nachsehen, wie jemand, der Phönix- oder Hochab-Aktien zu teuer bezahlt hat.
Dann aber erst wird dieser seine Aktien verbrennen und jener die Landwirtschaft
einstellen, wenn die erwähnte Spannung und mit ihr Reinertrag und die Ver¬
zinsung überhaupt aufhört.

Nun besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deutschen
Landwirt und dem kanadischen Farmer oder argentinischen Estanziero. Die
letzteren sollen, wie man hört, etwa 12 Prozent ihres Anlagekapitals heraus¬
wirtschaften, während der Deutsche sich mit etwa 4 Prozent begnügen muß. Er
tut das allerdings nicht ohne Grund. Der Mensch schätzt, besonders wenn er
zur glücklichen Klasse der Besitzenden gehört, Ordnung. Sicherheit des Lebens,


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[0224] Der Getreidebau Was heißt denn überhaupt „Verzinsung" des ländlichen Bodenwerts? Zahlt denn der Landwirt an sich selbst Zinsen? Wenn man die Leiter eines industriellen Werkes, wie Phönix oder Hochab, befragen würde, unter welchen Umständen sie glaubten eine Rente heraus¬ wirtschaften und konkurrenzfähig bleiben zu können, so würden sie wahrscheinlich antworten: wenn und solange die nötige Spannung zwischen dem Rohgeld- ertrage und den Betriebskosten vorhanden ist. Wollte man sie im Brentanoscheu Sinne darauf aufmerksam machen, daß ja auch die Dividende zu den Produktions¬ kosten gehöre, und wollte man weiter fragen, ob die Rentabilität ihrer Werke nicht durch das in den letzten anderthalb Jahren erfolgte Steigen der Dividende um 6 bezw. 4 Prozent und des Kurses um etwa 90 bezw. 70 Prozent sehr gelitten habe, so würden sie den Frager verdutzt ansehen und sich verständnisvoll lächelnd von ihm abwenden. Und mit Recht! Denn was hat die Kurstreiberei in Berlin, mit den Produktionskosten in Rheinland-Westfalen zu tun? Und gibt es einen vollkommneren Widerspruch, als daß man erhöhte Rentabilität als unrentabel erklärt? Genau so ist es nun aber in der Landwirtschaft und mit der land¬ wirtschaftlichen Bodenpreistreiberei. Nur etwas schwieriger begrifflich zu erfassen ist die Sache hier für denjenigen, der sich wirtschaftliche Vorgänge klarlegt, weil die Landwirtschaft (abgesehen von den Aufteilungsbanken) bei uns noch ausschließlich individuell betrieben wird und der einzelne Gutsbesitzer somit gleichzeitig Gesamt¬ aktionär und Betriebsleiter (sozusagen volkswirtschaftlicher Beamter) seines Gutes ist. Je nachdem er aber in der einen oder anderen Eigenschaft seine Rentabilitäts¬ berechnung macht, muß er eine Verzinsung des Bodenwerts einstellen oder nicht. Der bloße Betriebsleiter (Wirtschafter) ist an der Gutsdividende und an der Verzinsung der Gutsschulden persönlich nicht interessiert, kann diese Posten also auch nicht als Produktionskosten einstellen. Für ihn handelt es sich nur darum, daß eine angemessene Spannung zwischen Rohertrag und Betriebskosten vor¬ handen ist und somit der Morgen einen Reinertrag bringt; erst wenn diese Spannung schwindet, wird er konkurrenzunfähig und sein Getreidebau unrentabel. Dagegen muß der Gutsaktionär — wie wir es nannten — allerdings darauf bedacht sein, seinen Kaufpreis verzinst zu erhalten, und erhalt er ihn nicht oder nicht mehr, befriedigend verzinst, so hat er zuviel bezahlt und ebenso das Nachsehen, wie jemand, der Phönix- oder Hochab-Aktien zu teuer bezahlt hat. Dann aber erst wird dieser seine Aktien verbrennen und jener die Landwirtschaft einstellen, wenn die erwähnte Spannung und mit ihr Reinertrag und die Ver¬ zinsung überhaupt aufhört. Nun besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deutschen Landwirt und dem kanadischen Farmer oder argentinischen Estanziero. Die letzteren sollen, wie man hört, etwa 12 Prozent ihres Anlagekapitals heraus¬ wirtschaften, während der Deutsche sich mit etwa 4 Prozent begnügen muß. Er tut das allerdings nicht ohne Grund. Der Mensch schätzt, besonders wenn er zur glücklichen Klasse der Besitzenden gehört, Ordnung. Sicherheit des Lebens,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/224>, abgerufen am 01.07.2024.