Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Getreidebau

daß die Bodenpreise steigen oder daß sie nicht steigen, sondern in erster Linie,
daß Leben, Bewegung, Tätigkeit, Vertrauen, Verdienst in das wirtschaftliche
Leben kommen, daß Rohstoffe (Eisenerz, Kohlen, Dung, Jungvieh) heranrollen,
Fabrikate dagegen (Eisenwaren, Getreide, Mastvieh) abrollen, daß Arbeiter und
Beamte bei solchem lebhaften Um- und Absatz verdienen, daß die Bahnfrachten
steigen usw.

Wenn nach Herrn Brentanos Ansicht die Wirkung der Getreidezölle damit
erschöpft wäre, daß einige Landwirte Spekulationsgewinne gemacht haben, so
wäre folgerichtig die Wirkung der jetzigen industriellen Hochkonjunktur auch
damit erschöpft, daß einige Börsenspekulanten an Phönix 90 Prozent und an
Hochab 70 Prozent verdient haben.

Ebenso aber würde sich die Wirkung einer jeden Melioration automatisch
von selbst aufheben, wenn ihre Bedeutung mit der Steigerung des Bodenwerts
erschöpft wäre. Privatwirtschaftlich (kapitalistisch) wird in der Tat der Vorteil
einer Dränage, die 1000 Mark Mehrertrag einbringt, durch einen Mehrerlös
beim Gutsverkauf von etwa 20000 Mark realisiert. Brentano übersteht aber,
daß damit die Sache volkswirtschaftlich nicht zu Ende ist. Der höhere Rein¬
ertrag pro Morgen (höherer Körnerertrag, geringere Bestellungskosten) bleibt
unzweifelhaft bestehen; und volkswirtschaftlich ist mit einer Aufwendung von
vielleicht 10000 Mark ein Mehrwert von 20000 Mark geschaffen, der nicht
mehr unter den Tisch fallen kann.

Das Anschwellen der Bodenpreise seit 1904 ist nun ferner keineswegs,
wie Brentano annimmt, allein auf die Getreidezölle zurückzuführen. Sombcirt
sagt an einer Stelle seines trefflichen Werkes "Die deutsche Volkswirtschaft im
neunzehnten Jahrhundert", gerade die Zeiten rückgängiger Konjunktur wirkten
vielfach heilsam, sie seien Perioden der Sammlung, der technischen Fortschritte,
der Herabsetzung der Betriebskosten. So ist es nicht bloß in der Industrie,
die Sombart im Auge hat, sondern auch in der Landwirtschaft. Auch bei ihr
kann man sagen: der April macht die Blumen, und der Mai hat den Dank
davon. Die Zeit von 1892 bis 1904 war der April, eine Periode ernsten
Ringens, aber treuen Fleißes seitens der Landwirte bei Intensivierung,
Dränierung usw. ihrer Güter und -- ja nicht zu vergessen -- eine Periode
weitgehender Fürsorge seitens des Staates, der Provinzen und Kreise bei Aus¬
bau der Bahnen und Verkehrswege und bei Unterstützung der Meliorationen.
Mit dem wiederkehrenden Vertrauen in die Prosperität der Landwirtschaft ist
dann seit 1904 beides zum Ausdruck gekommen, sowohl die Maisonne -- die
Erhöhung der Getreidezölle -- wie die Aprilarbeit. Dieser zwiefache Grund
für den mit dem Jahre 1904 einsetzenden Aufschwung ist mehrfach übersehen
worden, auch von hochstehenden Anhängern des Schutzzolls. Richtig sagte dagegen
Graf Schwerin in seiner Rede vom 16. Februar dieses Jahres, die höheren
Bodenpreise dürften nicht "speziell" auf die Getreidepreise zurückgeführt werden,
weil ja doch die Getreidepreise der letzten dreißig Jahre von 1880 bis 1910


Der Getreidebau

daß die Bodenpreise steigen oder daß sie nicht steigen, sondern in erster Linie,
daß Leben, Bewegung, Tätigkeit, Vertrauen, Verdienst in das wirtschaftliche
Leben kommen, daß Rohstoffe (Eisenerz, Kohlen, Dung, Jungvieh) heranrollen,
Fabrikate dagegen (Eisenwaren, Getreide, Mastvieh) abrollen, daß Arbeiter und
Beamte bei solchem lebhaften Um- und Absatz verdienen, daß die Bahnfrachten
steigen usw.

Wenn nach Herrn Brentanos Ansicht die Wirkung der Getreidezölle damit
erschöpft wäre, daß einige Landwirte Spekulationsgewinne gemacht haben, so
wäre folgerichtig die Wirkung der jetzigen industriellen Hochkonjunktur auch
damit erschöpft, daß einige Börsenspekulanten an Phönix 90 Prozent und an
Hochab 70 Prozent verdient haben.

Ebenso aber würde sich die Wirkung einer jeden Melioration automatisch
von selbst aufheben, wenn ihre Bedeutung mit der Steigerung des Bodenwerts
erschöpft wäre. Privatwirtschaftlich (kapitalistisch) wird in der Tat der Vorteil
einer Dränage, die 1000 Mark Mehrertrag einbringt, durch einen Mehrerlös
beim Gutsverkauf von etwa 20000 Mark realisiert. Brentano übersteht aber,
daß damit die Sache volkswirtschaftlich nicht zu Ende ist. Der höhere Rein¬
ertrag pro Morgen (höherer Körnerertrag, geringere Bestellungskosten) bleibt
unzweifelhaft bestehen; und volkswirtschaftlich ist mit einer Aufwendung von
vielleicht 10000 Mark ein Mehrwert von 20000 Mark geschaffen, der nicht
mehr unter den Tisch fallen kann.

Das Anschwellen der Bodenpreise seit 1904 ist nun ferner keineswegs,
wie Brentano annimmt, allein auf die Getreidezölle zurückzuführen. Sombcirt
sagt an einer Stelle seines trefflichen Werkes „Die deutsche Volkswirtschaft im
neunzehnten Jahrhundert", gerade die Zeiten rückgängiger Konjunktur wirkten
vielfach heilsam, sie seien Perioden der Sammlung, der technischen Fortschritte,
der Herabsetzung der Betriebskosten. So ist es nicht bloß in der Industrie,
die Sombart im Auge hat, sondern auch in der Landwirtschaft. Auch bei ihr
kann man sagen: der April macht die Blumen, und der Mai hat den Dank
davon. Die Zeit von 1892 bis 1904 war der April, eine Periode ernsten
Ringens, aber treuen Fleißes seitens der Landwirte bei Intensivierung,
Dränierung usw. ihrer Güter und — ja nicht zu vergessen — eine Periode
weitgehender Fürsorge seitens des Staates, der Provinzen und Kreise bei Aus¬
bau der Bahnen und Verkehrswege und bei Unterstützung der Meliorationen.
Mit dem wiederkehrenden Vertrauen in die Prosperität der Landwirtschaft ist
dann seit 1904 beides zum Ausdruck gekommen, sowohl die Maisonne — die
Erhöhung der Getreidezölle — wie die Aprilarbeit. Dieser zwiefache Grund
für den mit dem Jahre 1904 einsetzenden Aufschwung ist mehrfach übersehen
worden, auch von hochstehenden Anhängern des Schutzzolls. Richtig sagte dagegen
Graf Schwerin in seiner Rede vom 16. Februar dieses Jahres, die höheren
Bodenpreise dürften nicht „speziell" auf die Getreidepreise zurückgeführt werden,
weil ja doch die Getreidepreise der letzten dreißig Jahre von 1880 bis 1910


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318509"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Getreidebau</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1075" prev="#ID_1074"> daß die Bodenpreise steigen oder daß sie nicht steigen, sondern in erster Linie,<lb/>
daß Leben, Bewegung, Tätigkeit, Vertrauen, Verdienst in das wirtschaftliche<lb/>
Leben kommen, daß Rohstoffe (Eisenerz, Kohlen, Dung, Jungvieh) heranrollen,<lb/>
Fabrikate dagegen (Eisenwaren, Getreide, Mastvieh) abrollen, daß Arbeiter und<lb/>
Beamte bei solchem lebhaften Um- und Absatz verdienen, daß die Bahnfrachten<lb/>
steigen usw.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Wenn nach Herrn Brentanos Ansicht die Wirkung der Getreidezölle damit<lb/>
erschöpft wäre, daß einige Landwirte Spekulationsgewinne gemacht haben, so<lb/>
wäre folgerichtig die Wirkung der jetzigen industriellen Hochkonjunktur auch<lb/>
damit erschöpft, daß einige Börsenspekulanten an Phönix 90 Prozent und an<lb/>
Hochab 70 Prozent verdient haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077"> Ebenso aber würde sich die Wirkung einer jeden Melioration automatisch<lb/>
von selbst aufheben, wenn ihre Bedeutung mit der Steigerung des Bodenwerts<lb/>
erschöpft wäre. Privatwirtschaftlich (kapitalistisch) wird in der Tat der Vorteil<lb/>
einer Dränage, die 1000 Mark Mehrertrag einbringt, durch einen Mehrerlös<lb/>
beim Gutsverkauf von etwa 20000 Mark realisiert. Brentano übersteht aber,<lb/>
daß damit die Sache volkswirtschaftlich nicht zu Ende ist. Der höhere Rein¬<lb/>
ertrag pro Morgen (höherer Körnerertrag, geringere Bestellungskosten) bleibt<lb/>
unzweifelhaft bestehen; und volkswirtschaftlich ist mit einer Aufwendung von<lb/>
vielleicht 10000 Mark ein Mehrwert von 20000 Mark geschaffen, der nicht<lb/>
mehr unter den Tisch fallen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" next="#ID_1079"> Das Anschwellen der Bodenpreise seit 1904 ist nun ferner keineswegs,<lb/>
wie Brentano annimmt, allein auf die Getreidezölle zurückzuführen. Sombcirt<lb/>
sagt an einer Stelle seines trefflichen Werkes &#x201E;Die deutsche Volkswirtschaft im<lb/>
neunzehnten Jahrhundert", gerade die Zeiten rückgängiger Konjunktur wirkten<lb/>
vielfach heilsam, sie seien Perioden der Sammlung, der technischen Fortschritte,<lb/>
der Herabsetzung der Betriebskosten. So ist es nicht bloß in der Industrie,<lb/>
die Sombart im Auge hat, sondern auch in der Landwirtschaft. Auch bei ihr<lb/>
kann man sagen: der April macht die Blumen, und der Mai hat den Dank<lb/>
davon. Die Zeit von 1892 bis 1904 war der April, eine Periode ernsten<lb/>
Ringens, aber treuen Fleißes seitens der Landwirte bei Intensivierung,<lb/>
Dränierung usw. ihrer Güter und &#x2014; ja nicht zu vergessen &#x2014; eine Periode<lb/>
weitgehender Fürsorge seitens des Staates, der Provinzen und Kreise bei Aus¬<lb/>
bau der Bahnen und Verkehrswege und bei Unterstützung der Meliorationen.<lb/>
Mit dem wiederkehrenden Vertrauen in die Prosperität der Landwirtschaft ist<lb/>
dann seit 1904 beides zum Ausdruck gekommen, sowohl die Maisonne &#x2014; die<lb/>
Erhöhung der Getreidezölle &#x2014; wie die Aprilarbeit. Dieser zwiefache Grund<lb/>
für den mit dem Jahre 1904 einsetzenden Aufschwung ist mehrfach übersehen<lb/>
worden, auch von hochstehenden Anhängern des Schutzzolls. Richtig sagte dagegen<lb/>
Graf Schwerin in seiner Rede vom 16. Februar dieses Jahres, die höheren<lb/>
Bodenpreise dürften nicht &#x201E;speziell" auf die Getreidepreise zurückgeführt werden,<lb/>
weil ja doch die Getreidepreise der letzten dreißig Jahre von 1880 bis 1910</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Der Getreidebau daß die Bodenpreise steigen oder daß sie nicht steigen, sondern in erster Linie, daß Leben, Bewegung, Tätigkeit, Vertrauen, Verdienst in das wirtschaftliche Leben kommen, daß Rohstoffe (Eisenerz, Kohlen, Dung, Jungvieh) heranrollen, Fabrikate dagegen (Eisenwaren, Getreide, Mastvieh) abrollen, daß Arbeiter und Beamte bei solchem lebhaften Um- und Absatz verdienen, daß die Bahnfrachten steigen usw. Wenn nach Herrn Brentanos Ansicht die Wirkung der Getreidezölle damit erschöpft wäre, daß einige Landwirte Spekulationsgewinne gemacht haben, so wäre folgerichtig die Wirkung der jetzigen industriellen Hochkonjunktur auch damit erschöpft, daß einige Börsenspekulanten an Phönix 90 Prozent und an Hochab 70 Prozent verdient haben. Ebenso aber würde sich die Wirkung einer jeden Melioration automatisch von selbst aufheben, wenn ihre Bedeutung mit der Steigerung des Bodenwerts erschöpft wäre. Privatwirtschaftlich (kapitalistisch) wird in der Tat der Vorteil einer Dränage, die 1000 Mark Mehrertrag einbringt, durch einen Mehrerlös beim Gutsverkauf von etwa 20000 Mark realisiert. Brentano übersteht aber, daß damit die Sache volkswirtschaftlich nicht zu Ende ist. Der höhere Rein¬ ertrag pro Morgen (höherer Körnerertrag, geringere Bestellungskosten) bleibt unzweifelhaft bestehen; und volkswirtschaftlich ist mit einer Aufwendung von vielleicht 10000 Mark ein Mehrwert von 20000 Mark geschaffen, der nicht mehr unter den Tisch fallen kann. Das Anschwellen der Bodenpreise seit 1904 ist nun ferner keineswegs, wie Brentano annimmt, allein auf die Getreidezölle zurückzuführen. Sombcirt sagt an einer Stelle seines trefflichen Werkes „Die deutsche Volkswirtschaft im neunzehnten Jahrhundert", gerade die Zeiten rückgängiger Konjunktur wirkten vielfach heilsam, sie seien Perioden der Sammlung, der technischen Fortschritte, der Herabsetzung der Betriebskosten. So ist es nicht bloß in der Industrie, die Sombart im Auge hat, sondern auch in der Landwirtschaft. Auch bei ihr kann man sagen: der April macht die Blumen, und der Mai hat den Dank davon. Die Zeit von 1892 bis 1904 war der April, eine Periode ernsten Ringens, aber treuen Fleißes seitens der Landwirte bei Intensivierung, Dränierung usw. ihrer Güter und — ja nicht zu vergessen — eine Periode weitgehender Fürsorge seitens des Staates, der Provinzen und Kreise bei Aus¬ bau der Bahnen und Verkehrswege und bei Unterstützung der Meliorationen. Mit dem wiederkehrenden Vertrauen in die Prosperität der Landwirtschaft ist dann seit 1904 beides zum Ausdruck gekommen, sowohl die Maisonne — die Erhöhung der Getreidezölle — wie die Aprilarbeit. Dieser zwiefache Grund für den mit dem Jahre 1904 einsetzenden Aufschwung ist mehrfach übersehen worden, auch von hochstehenden Anhängern des Schutzzolls. Richtig sagte dagegen Graf Schwerin in seiner Rede vom 16. Februar dieses Jahres, die höheren Bodenpreise dürften nicht „speziell" auf die Getreidepreise zurückgeführt werden, weil ja doch die Getreidepreise der letzten dreißig Jahre von 1880 bis 1910

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/226>, abgerufen am 26.06.2024.