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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der Getreidebau

Beim Studium der sehr interessanten Tabellen, die Brentano in seiner
Denkschrift über "Die deutschen Getreidezölle" (2. Aufl. 1911) selbst gibt, fand
ich, daß Deutschland bereits wieder ein Roggen-Ausfuhrland geworden ist, und
daß wir nach wie vor 70 Prozent unseres Weizen-Inlandsbedarfs selbst erzeugen,
trotz gewaltig gesteigerter Einwohnerzahl und trotz Übergangs unserer Bevölkerung
zur Weizenernährung. Das machte mich stutzig. Ist denn, fragte ich mich,
nach Brentanos Ansicht zunehmende Produktion und Blüte eines Erwerbszweiges
ein Beweis für dessen Unrentabilität und Konkurrenzunfähigkeit? Bald aber
wurde mir klar, daß Brentano die Frage der Konkurrenzfähigkeit gar nicht aus
erkennbaren, wirtschaftlichen Tatsachen beurteilen will, sondern nach rein begriff¬
lichen Thesen; diese kommen auf folgendes hinaus: der Zoll steigere den Ertrag,
der Ertrag den Bodenwert. Der Landwirt also, der die Zollerhöhung mitmache,
habe Vorteil davon. Sobald er aber die durch den Zoll hervorgerufene Agrar-
hausse durch Verkauf oder Vererbung realisiert habe, sei der Nachfolger als¬
bald wieder notleidend. Dann erschalle aufs neue der Ruf nach abermaliger
Erhöhung der Getreidezölle, d. h. nach Spekulationsgewinnen. Die Zoll¬
politik komme also auf eine Art Bodenspekulation hinaus; und so habe denn
auch nach Erlaß des Tarifgesetzes vom 25. Dezember 1902 in den Jahren
1903 bis 1907 ein außerordentlich starker Wechsel im Besitz der Güter
stattgefunden.

Nun ist es eine eigene Sache, wirtschaftliche Vorgänge logisch ergründen
Zu wollen. Die Zahl der Fehlschlusse, die auf diesem Wege schon zutage
gekommen sind, ist Legion. Man denke an die sozialistischen Theorien von der
Verpauverung der Massen, dem geld- und verbrecherlosen Zukunftsstaat usw.,
Dogmen, an die heute niemand mehr glaubt, die aber mit großem Aufwand
von logischem Scharfsinn in die Welt gesetzt wurden. Nur der nüchterne
Empiriker, der den Vorgängen des wirklichen Lebens bis ins kleinste nachspürt
und sie bis ins kleinste zergliedert, behält gewöhnlich recht, während sich bei dem
Logiker nur zu leicht ein Fehlerchen einschleicht, das den ganzen stolzen Bau
schließlich zusammenbrechen läßt.

So verhält es sich auch mit den Bretanoschen Schlüssen. Ihr Fehler besteht
in der Ansehung der Kosten des Getreidebaues. Irregeführt vermutlich durch
landwirtschaftliche Lehrbücher, die zu den Produktionskosten des Landwirth
gewöhnlich auch eine vierprozentige Verzinsung des Gutsankanfskapitals rechnen,
erklärt Brentano die "Verzinsung" (8le!) des Bodenwerts als Kosten des Getreide¬
baues der Landwirtschaft, und nicht bloß das, sondern er macht sie für die von ihm
behauptetenzuhohenKostendes Getreidebaues verantwortlich. Das Verhängnis seiner
ganzen Lehre und Beweisführung ist nun aber, daß der Ausdruck "Produktions¬
kosten" in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird, einer privatwirtschaft¬
lichen und einer volkswirtschaftlichen, und daß Brentano diese beiden Bedeutungen
durcheinander wirft, ferner aber, daß er auch den Begriff "Zins" nicht logisch
scharf festhält, sondern oft in der Bedeutung Gewinnanteil (Dividende) gebraucht.


Der Getreidebau

Beim Studium der sehr interessanten Tabellen, die Brentano in seiner
Denkschrift über „Die deutschen Getreidezölle" (2. Aufl. 1911) selbst gibt, fand
ich, daß Deutschland bereits wieder ein Roggen-Ausfuhrland geworden ist, und
daß wir nach wie vor 70 Prozent unseres Weizen-Inlandsbedarfs selbst erzeugen,
trotz gewaltig gesteigerter Einwohnerzahl und trotz Übergangs unserer Bevölkerung
zur Weizenernährung. Das machte mich stutzig. Ist denn, fragte ich mich,
nach Brentanos Ansicht zunehmende Produktion und Blüte eines Erwerbszweiges
ein Beweis für dessen Unrentabilität und Konkurrenzunfähigkeit? Bald aber
wurde mir klar, daß Brentano die Frage der Konkurrenzfähigkeit gar nicht aus
erkennbaren, wirtschaftlichen Tatsachen beurteilen will, sondern nach rein begriff¬
lichen Thesen; diese kommen auf folgendes hinaus: der Zoll steigere den Ertrag,
der Ertrag den Bodenwert. Der Landwirt also, der die Zollerhöhung mitmache,
habe Vorteil davon. Sobald er aber die durch den Zoll hervorgerufene Agrar-
hausse durch Verkauf oder Vererbung realisiert habe, sei der Nachfolger als¬
bald wieder notleidend. Dann erschalle aufs neue der Ruf nach abermaliger
Erhöhung der Getreidezölle, d. h. nach Spekulationsgewinnen. Die Zoll¬
politik komme also auf eine Art Bodenspekulation hinaus; und so habe denn
auch nach Erlaß des Tarifgesetzes vom 25. Dezember 1902 in den Jahren
1903 bis 1907 ein außerordentlich starker Wechsel im Besitz der Güter
stattgefunden.

Nun ist es eine eigene Sache, wirtschaftliche Vorgänge logisch ergründen
Zu wollen. Die Zahl der Fehlschlusse, die auf diesem Wege schon zutage
gekommen sind, ist Legion. Man denke an die sozialistischen Theorien von der
Verpauverung der Massen, dem geld- und verbrecherlosen Zukunftsstaat usw.,
Dogmen, an die heute niemand mehr glaubt, die aber mit großem Aufwand
von logischem Scharfsinn in die Welt gesetzt wurden. Nur der nüchterne
Empiriker, der den Vorgängen des wirklichen Lebens bis ins kleinste nachspürt
und sie bis ins kleinste zergliedert, behält gewöhnlich recht, während sich bei dem
Logiker nur zu leicht ein Fehlerchen einschleicht, das den ganzen stolzen Bau
schließlich zusammenbrechen läßt.

So verhält es sich auch mit den Bretanoschen Schlüssen. Ihr Fehler besteht
in der Ansehung der Kosten des Getreidebaues. Irregeführt vermutlich durch
landwirtschaftliche Lehrbücher, die zu den Produktionskosten des Landwirth
gewöhnlich auch eine vierprozentige Verzinsung des Gutsankanfskapitals rechnen,
erklärt Brentano die „Verzinsung" (8le!) des Bodenwerts als Kosten des Getreide¬
baues der Landwirtschaft, und nicht bloß das, sondern er macht sie für die von ihm
behauptetenzuhohenKostendes Getreidebaues verantwortlich. Das Verhängnis seiner
ganzen Lehre und Beweisführung ist nun aber, daß der Ausdruck „Produktions¬
kosten" in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird, einer privatwirtschaft¬
lichen und einer volkswirtschaftlichen, und daß Brentano diese beiden Bedeutungen
durcheinander wirft, ferner aber, daß er auch den Begriff „Zins" nicht logisch
scharf festhält, sondern oft in der Bedeutung Gewinnanteil (Dividende) gebraucht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/223>, abgerufen am 03.07.2024.