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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die internationale Sprache

Leben. (Das mure Leben können wir nicht sagen.) Ähnlich heißt nun auf
Esperanto "nun"; la runa tempo, die jetzige (nicht die nunige) Zeit. Eine
Bildung wie "8önvere" für unmittelbar ist im Deutschen nicht denkbar: s ist
die Adverbialendung, per heißt durch und sen ohne; es ist das Umstandswort
von sen osro, ohne ein Mittel.

"l)Jo" bedeutet eine Person, die man in einer bestimmten Hinsicht kenn¬
zeichnen will, oft entsprechend unserem "ling" in Jüngling, Liebling (Esperanto:
junulo, Karulo). Lennarulc" wäre also Kahlkopf, ein Ohne-Haar-ling.

"Kur" heißt mit als Präposition, als Adverb Kulte zusammen, als Adjektiv
Kukis, dem ein deutsches Wort nicht entspricht: Kuma letsro. etwa der Begleit¬
brief, Kunulo, der Milling, d. h. Genosse, Gefährte.

Wo wir im Deutschen bei Eigenschaftswörtern die verschiedensten Zusammen¬
setzungen haben, um eine Neigung, einen Hang zu etwas auszudrücken, da kommt
man im Esperanto mit der einen Bildungssilbe hin' aus, häufig dem deutschen
"sam" entsprechend: furchtsam, aufmerksam. Wir sagen aber nicht schwatzsam,
sondern schwatzhaft (babilema), fortschrittlich (prosresema), lesewütig (leZema),
kauflustig (acnswma), vergnügungssüchtig (pie^urema,), neugierig (sLivolema),
lügnerisch (mensoZema) usw.

Ähnlich steht es mit "inäa", würdig oder wert. Viciincia, Sehenswürdig,
leZinäa, lesenswert, timincla, zu fürchten, Kontincia, etwas, dessen man sich
schämen muß.

Bei den Zeitwörtern möchte ich nur die Bildungssilbe "iZ" hervorheben,
wie wir sie auch im Deutschen haben in reinigen (puriZi), beruhigen (KvistiZi),
beerdigen (entori^i, in die Erde bringen), entschuldigen (8enKulpiZi, ohne Schuld
machen). Die Anwendung im Esperanto geht aber viel weiter und ermöglicht
die verschiedenartigsten Zusammensetzungen: subaKviZi, untertauchen (unter
Wasser bringen), surviscliZi, auf die Beine bringen, troiZi, übertreiben (zu sehr
machen), veri^i, kommen lassen, navigi, verschaffen (haben machen) usw.

Auch hier wird eine Unmenge selbständiger Wörter erspart.

Die nach der Gewohnheit unserer Sprache merkwürdigsten Bildungen, nicht
nur mit iZi, sondern allgemein, versteht man sofort, und wer einmal mit dem
Geiste des Esperanto vertraut geworden ist, der bildet sich leicht den Ausdruck,
der seinem Gedanken am besten entspricht. So kann man zu Schattierungen in
einem Worte kommen, die in anderen Sprachen nicht so einfach wiederzugeben
sind. Wenn Krs'i schaffen heißt, so heißt Krec> die Schöpfung. Das Wort
Schöpfung bedeutet im Deutschen entweder die Tätigkeit oder das Ergebnis.
Im Esperanto wird nicht nur eins vom anderen, sondern noch weiter unter¬
schieden; so heißt Kreajo Schöpfung (Gegenstand im allgemeinen), Kreatajo,
das Werk im Entstehen, Jars'Itajo, das vollendete Werk, Kreotajo, das noch zu
schaffende Werk. Das hängt mit einer einzigen Regel der Konjugation zusammen
und macht deshalb keine Schwierigkeiten weder für das Bilden noch für das
Verstehen.


Die internationale Sprache

Leben. (Das mure Leben können wir nicht sagen.) Ähnlich heißt nun auf
Esperanto „nun"; la runa tempo, die jetzige (nicht die nunige) Zeit. Eine
Bildung wie „8önvere" für unmittelbar ist im Deutschen nicht denkbar: s ist
die Adverbialendung, per heißt durch und sen ohne; es ist das Umstandswort
von sen osro, ohne ein Mittel.

„l)Jo" bedeutet eine Person, die man in einer bestimmten Hinsicht kenn¬
zeichnen will, oft entsprechend unserem „ling" in Jüngling, Liebling (Esperanto:
junulo, Karulo). Lennarulc» wäre also Kahlkopf, ein Ohne-Haar-ling.

„Kur" heißt mit als Präposition, als Adverb Kulte zusammen, als Adjektiv
Kukis, dem ein deutsches Wort nicht entspricht: Kuma letsro. etwa der Begleit¬
brief, Kunulo, der Milling, d. h. Genosse, Gefährte.

Wo wir im Deutschen bei Eigenschaftswörtern die verschiedensten Zusammen¬
setzungen haben, um eine Neigung, einen Hang zu etwas auszudrücken, da kommt
man im Esperanto mit der einen Bildungssilbe hin' aus, häufig dem deutschen
„sam" entsprechend: furchtsam, aufmerksam. Wir sagen aber nicht schwatzsam,
sondern schwatzhaft (babilema), fortschrittlich (prosresema), lesewütig (leZema),
kauflustig (acnswma), vergnügungssüchtig (pie^urema,), neugierig (sLivolema),
lügnerisch (mensoZema) usw.

Ähnlich steht es mit „inäa", würdig oder wert. Viciincia, Sehenswürdig,
leZinäa, lesenswert, timincla, zu fürchten, Kontincia, etwas, dessen man sich
schämen muß.

Bei den Zeitwörtern möchte ich nur die Bildungssilbe „iZ" hervorheben,
wie wir sie auch im Deutschen haben in reinigen (puriZi), beruhigen (KvistiZi),
beerdigen (entori^i, in die Erde bringen), entschuldigen (8enKulpiZi, ohne Schuld
machen). Die Anwendung im Esperanto geht aber viel weiter und ermöglicht
die verschiedenartigsten Zusammensetzungen: subaKviZi, untertauchen (unter
Wasser bringen), surviscliZi, auf die Beine bringen, troiZi, übertreiben (zu sehr
machen), veri^i, kommen lassen, navigi, verschaffen (haben machen) usw.

Auch hier wird eine Unmenge selbständiger Wörter erspart.

Die nach der Gewohnheit unserer Sprache merkwürdigsten Bildungen, nicht
nur mit iZi, sondern allgemein, versteht man sofort, und wer einmal mit dem
Geiste des Esperanto vertraut geworden ist, der bildet sich leicht den Ausdruck,
der seinem Gedanken am besten entspricht. So kann man zu Schattierungen in
einem Worte kommen, die in anderen Sprachen nicht so einfach wiederzugeben
sind. Wenn Krs'i schaffen heißt, so heißt Krec> die Schöpfung. Das Wort
Schöpfung bedeutet im Deutschen entweder die Tätigkeit oder das Ergebnis.
Im Esperanto wird nicht nur eins vom anderen, sondern noch weiter unter¬
schieden; so heißt Kreajo Schöpfung (Gegenstand im allgemeinen), Kreatajo,
das Werk im Entstehen, Jars'Itajo, das vollendete Werk, Kreotajo, das noch zu
schaffende Werk. Das hängt mit einer einzigen Regel der Konjugation zusammen
und macht deshalb keine Schwierigkeiten weder für das Bilden noch für das
Verstehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/220>, abgerufen am 01.10.2024.