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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief

eigentum erwerben, in den Küstenstädten und 10 Ku um dieselben herum bedar
es sogar nicht einmal dieser Genehmigung. Nun haben die französischen Behörden
in der okkupierten Provinz Schaum -- dem wichtigsten landwirtschaftlichen
Gebiet Marokkos --, ohne die Genehmigung der Algecirasmcichte dazu ein¬
geholt zu haben, die nach Art. 60 der Akte erforderliche Erlaubnis der marokka¬
nischen Behörden zum Landerwerb kurzerhand dahin abgeändert, daß sie selbst,
nicht mehr die marokkanische Regierung, diese Erlaubnis erteilen. Bei jedem
Landkauf außerhalb der 10 Ka-Zone müssen die Kaufdokumente den französischen
Lureaux arabe8 zur Prüfung vorgelegt werden. Bei dem für moderne An¬
forderungen leider recht mangelhaften arabischen Grundrecht fällt es nicht schwer,
irgendwelche Gründe zu finden, aus denen die französische Behörde die beantragte
Genehmigung versagt. In mehreren Fällen ist deutschen Interessenten auf diese
Weise der Erwerb wichtiger Ländereien ohne Rechtsgrund unmöglich gemacht
worden. Auf die Beschwerde der Interessenten wurden die betreffenden marokka¬
nischen Beamten von der marokkanischen Zentralregierung angewiesen, die Ver¬
kaufsdokumente auszufertigen; trotzdem kam es aber hierzu nicht, weil diese
Beamten infolge Gegenbefehls des Lureau al-adh der Order nicht nachzukommen
wagten! I

So zeigt sich hier, wie die französische Oberherrschaft aus marokkanischen
Beamten in Wahrheit französische Beamte macht und Ansprüche deutscher
Interessenten zu hintertreiben sucht. Hoffentlich wird die Reichsregierung auch
hier energisch einschreiten!

Wie zielbewußt Frankreich an der friedlichen Durchdringung des Scherifen-
reichs arbeitet, ergibt sich auch aus seinem neuesten Plan, die Algecirasmächte
zu einer grundlegenden Abänderung der Bestimmungen der Madrider Konvention
über das Schutzgenossenwesen zu veranlassen, ein Plan, der die ernsteste Beachtung
verdient.

Nach den jetzigen Bestimmungen haben die in Marokko angesiedelten Kauf¬
leute das Recht, sich aus der Zahl ihrer eingeborenen Geschäftsfreunde sogenannte
Schutzgenossen zu nehmen. Diese können entweder Semsare oder Mochalaten
sein, je nachdem sie, wie die ersteren, dem marokkanischen Rechte gänzlich oder,
wie die letzteren, nur in bestimmter Hinsicht entzogen sind. Die Schutzgenossen
sind für die fremden Kaufleute ein außerordentlich wichtiges Element, denn sie
vermitteln die Beziehungen zu dem großen und schwer erreichbaren Kundenkreis
im Innern des Landes, sie erhalten von ihren Schutzherren Vorschüsse, um
die Landesprodukte für jene auszulaufen, oder werden mit dem Vertrieb der
nach Marokko importierten Waren betraut. Besonders wichtig sind die Schutz¬
genossen im Betrieb der Landwirtschaft, weil sie dort, wo der direkte Erwerb
von Ländereien bisher aus bestimmten Gründen nicht möglich war, für ihre
Patrone Land erwerben und gleichzeitig gegen Abgaben bewirtschaften. Neben
dieser wirtschaftlichen haben sie aber auch eine große politische Bedeutung, denn
es ist klar, daß gerade die besseren und wohlhabenden Elemente der marokka-


Marokkanischer Brief

eigentum erwerben, in den Küstenstädten und 10 Ku um dieselben herum bedar
es sogar nicht einmal dieser Genehmigung. Nun haben die französischen Behörden
in der okkupierten Provinz Schaum — dem wichtigsten landwirtschaftlichen
Gebiet Marokkos —, ohne die Genehmigung der Algecirasmcichte dazu ein¬
geholt zu haben, die nach Art. 60 der Akte erforderliche Erlaubnis der marokka¬
nischen Behörden zum Landerwerb kurzerhand dahin abgeändert, daß sie selbst,
nicht mehr die marokkanische Regierung, diese Erlaubnis erteilen. Bei jedem
Landkauf außerhalb der 10 Ka-Zone müssen die Kaufdokumente den französischen
Lureaux arabe8 zur Prüfung vorgelegt werden. Bei dem für moderne An¬
forderungen leider recht mangelhaften arabischen Grundrecht fällt es nicht schwer,
irgendwelche Gründe zu finden, aus denen die französische Behörde die beantragte
Genehmigung versagt. In mehreren Fällen ist deutschen Interessenten auf diese
Weise der Erwerb wichtiger Ländereien ohne Rechtsgrund unmöglich gemacht
worden. Auf die Beschwerde der Interessenten wurden die betreffenden marokka¬
nischen Beamten von der marokkanischen Zentralregierung angewiesen, die Ver¬
kaufsdokumente auszufertigen; trotzdem kam es aber hierzu nicht, weil diese
Beamten infolge Gegenbefehls des Lureau al-adh der Order nicht nachzukommen
wagten! I

So zeigt sich hier, wie die französische Oberherrschaft aus marokkanischen
Beamten in Wahrheit französische Beamte macht und Ansprüche deutscher
Interessenten zu hintertreiben sucht. Hoffentlich wird die Reichsregierung auch
hier energisch einschreiten!

Wie zielbewußt Frankreich an der friedlichen Durchdringung des Scherifen-
reichs arbeitet, ergibt sich auch aus seinem neuesten Plan, die Algecirasmächte
zu einer grundlegenden Abänderung der Bestimmungen der Madrider Konvention
über das Schutzgenossenwesen zu veranlassen, ein Plan, der die ernsteste Beachtung
verdient.

Nach den jetzigen Bestimmungen haben die in Marokko angesiedelten Kauf¬
leute das Recht, sich aus der Zahl ihrer eingeborenen Geschäftsfreunde sogenannte
Schutzgenossen zu nehmen. Diese können entweder Semsare oder Mochalaten
sein, je nachdem sie, wie die ersteren, dem marokkanischen Rechte gänzlich oder,
wie die letzteren, nur in bestimmter Hinsicht entzogen sind. Die Schutzgenossen
sind für die fremden Kaufleute ein außerordentlich wichtiges Element, denn sie
vermitteln die Beziehungen zu dem großen und schwer erreichbaren Kundenkreis
im Innern des Landes, sie erhalten von ihren Schutzherren Vorschüsse, um
die Landesprodukte für jene auszulaufen, oder werden mit dem Vertrieb der
nach Marokko importierten Waren betraut. Besonders wichtig sind die Schutz¬
genossen im Betrieb der Landwirtschaft, weil sie dort, wo der direkte Erwerb
von Ländereien bisher aus bestimmten Gründen nicht möglich war, für ihre
Patrone Land erwerben und gleichzeitig gegen Abgaben bewirtschaften. Neben
dieser wirtschaftlichen haben sie aber auch eine große politische Bedeutung, denn
es ist klar, daß gerade die besseren und wohlhabenden Elemente der marokka-


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[0208] Marokkanischer Brief eigentum erwerben, in den Küstenstädten und 10 Ku um dieselben herum bedar es sogar nicht einmal dieser Genehmigung. Nun haben die französischen Behörden in der okkupierten Provinz Schaum — dem wichtigsten landwirtschaftlichen Gebiet Marokkos —, ohne die Genehmigung der Algecirasmcichte dazu ein¬ geholt zu haben, die nach Art. 60 der Akte erforderliche Erlaubnis der marokka¬ nischen Behörden zum Landerwerb kurzerhand dahin abgeändert, daß sie selbst, nicht mehr die marokkanische Regierung, diese Erlaubnis erteilen. Bei jedem Landkauf außerhalb der 10 Ka-Zone müssen die Kaufdokumente den französischen Lureaux arabe8 zur Prüfung vorgelegt werden. Bei dem für moderne An¬ forderungen leider recht mangelhaften arabischen Grundrecht fällt es nicht schwer, irgendwelche Gründe zu finden, aus denen die französische Behörde die beantragte Genehmigung versagt. In mehreren Fällen ist deutschen Interessenten auf diese Weise der Erwerb wichtiger Ländereien ohne Rechtsgrund unmöglich gemacht worden. Auf die Beschwerde der Interessenten wurden die betreffenden marokka¬ nischen Beamten von der marokkanischen Zentralregierung angewiesen, die Ver¬ kaufsdokumente auszufertigen; trotzdem kam es aber hierzu nicht, weil diese Beamten infolge Gegenbefehls des Lureau al-adh der Order nicht nachzukommen wagten! I So zeigt sich hier, wie die französische Oberherrschaft aus marokkanischen Beamten in Wahrheit französische Beamte macht und Ansprüche deutscher Interessenten zu hintertreiben sucht. Hoffentlich wird die Reichsregierung auch hier energisch einschreiten! Wie zielbewußt Frankreich an der friedlichen Durchdringung des Scherifen- reichs arbeitet, ergibt sich auch aus seinem neuesten Plan, die Algecirasmächte zu einer grundlegenden Abänderung der Bestimmungen der Madrider Konvention über das Schutzgenossenwesen zu veranlassen, ein Plan, der die ernsteste Beachtung verdient. Nach den jetzigen Bestimmungen haben die in Marokko angesiedelten Kauf¬ leute das Recht, sich aus der Zahl ihrer eingeborenen Geschäftsfreunde sogenannte Schutzgenossen zu nehmen. Diese können entweder Semsare oder Mochalaten sein, je nachdem sie, wie die ersteren, dem marokkanischen Rechte gänzlich oder, wie die letzteren, nur in bestimmter Hinsicht entzogen sind. Die Schutzgenossen sind für die fremden Kaufleute ein außerordentlich wichtiges Element, denn sie vermitteln die Beziehungen zu dem großen und schwer erreichbaren Kundenkreis im Innern des Landes, sie erhalten von ihren Schutzherren Vorschüsse, um die Landesprodukte für jene auszulaufen, oder werden mit dem Vertrieb der nach Marokko importierten Waren betraut. Besonders wichtig sind die Schutz¬ genossen im Betrieb der Landwirtschaft, weil sie dort, wo der direkte Erwerb von Ländereien bisher aus bestimmten Gründen nicht möglich war, für ihre Patrone Land erwerben und gleichzeitig gegen Abgaben bewirtschaften. Neben dieser wirtschaftlichen haben sie aber auch eine große politische Bedeutung, denn es ist klar, daß gerade die besseren und wohlhabenden Elemente der marokka-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/208>, abgerufen am 03.07.2024.