Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Marokkanischer Brief

nischen Bevölkerung vor der Willkür ihrer eigenen Behörden bei Ausländern
Schutz suchen. Je größer daher die Zahl angesehener Schutzgenossen einer aus¬
wärtigen Macht ist, desto größer ist das Prestige jener Macht bei den Ein¬
geborenen, desto entwicklungsfähiger sind ihre Handelsmöglichkeiten im Lande.
Aus dieser Erkenntnis heraus beabsichtigen die Franzosen nunmehr, das Schutz¬
genossenwesen soweit als möglich einzuschränken, denn jeder nichtfranzösische
Schutzgenosse ist ein Hemmnis für die pönetration paeMque, während die
Franzosen selbst auf Grund ihrer politischen Oberherrschaft eigener Schutzgenossen
nicht mehr bedürfen, weil jeder für französische Interessen arbeitende Marokkaner
co ipso faktischer Schutzgenosse ist! Die Mächte haben deshalb das größte
Interesse daran, die französischen Pläne zu durchkreuzen; je mehr nichtfranzösische
Schutzgenossen in Marokko wirken, desto größer sind die Garantien für die Inter-
nationalisierung von Handel und Wandel in Marokko!

Wie unendlich schwierig eine auf freier internationaler Konkurrenz sich auf¬
bauende Handelsbetcitigung unter den obwaltenden Umständen ist, haben recht
deutlich gewisse Vorgänge bei den nach der Algecirasakte vorgesehenen öffent¬
lichen Ausschreibungen für Regierungslieferungen gezeigt; hierbei waren nämlich
die Lieferungsbedingungen des Lastenheftes eigenartigerweise derart aus fran¬
zösischen Katalogen abgeschrieben und die Lieferungsfrist so kurz bemessen, daß
nur bestimmte französische Finnen als Bewerber in Frage kommen konnten.
Erst infolge energischer Reklamationen trat hierin eine Wandlung ein.

Der Erfolg der französischen Maßnahmen ist denn auch bereits der, daß
der deutsche Handel mit Marokko in den Jahren 1907 bis 1909 von rund
15 Millionen auf 13^ Millionen Mark zurückgegangen ist.

Eine weitere Bevorzugung des französischen Handels droht in vielleicht
nicht allzu langer Zeit durch differenzielle Zollbehandlung an der marokkanisch¬
algerischen Grenze. Bekanntlich haben die Franzosen vor kurzem das "Grenz¬
gebiet" zwischen Algier und Marokko in zwei Zonen eingeteilt, von denen die
nördliche das Gebiet vom Meer bis Taurirt, die südliche das Gebiet von Taurir
bis zur Sahara umfaßt; die nördliche Zone soll der Zivilverwaltung unterstellt
werden und ein aus Kolonialtruppen gebildetes Besatzungskorps erhalten, die
südliche soll der Militärbehörde unterstehen.

Diese Maßnahmen stellen den von den Franzosen langersehnten Abschluß
der algerisch-marokkanischen Grenzbeziehungen dar. Denn seit der am 18. März 1845
nach siegreichen! Kriege abgeschlossenen Konvention von Lalla Mamia war es
das stete Bestreben der französischen Kolonialpolitiker, die algerische Grenze bis
an die Muluja, den Wad Gir und den Wad Saura zurückzuverlegen, sich also
im Interesse einer "natürlichen Grenze" einen beträchtlichen Teil Marokkos
anzueignen. Das sogenannte Protokoll vom 20. Juli 1901 versuchte diesen Plan auf
Umwegen durchzuführen, seine Ausführung mißlang aber. Seit der Besetzung
Udjdas und der umliegenden wichtigen Erzgebiete und der Anerkennung der
französischen Oberherrschaft in Marokko hat sich aber die Lage so sehr zugunsten


Marokkanischer Brief

nischen Bevölkerung vor der Willkür ihrer eigenen Behörden bei Ausländern
Schutz suchen. Je größer daher die Zahl angesehener Schutzgenossen einer aus¬
wärtigen Macht ist, desto größer ist das Prestige jener Macht bei den Ein¬
geborenen, desto entwicklungsfähiger sind ihre Handelsmöglichkeiten im Lande.
Aus dieser Erkenntnis heraus beabsichtigen die Franzosen nunmehr, das Schutz¬
genossenwesen soweit als möglich einzuschränken, denn jeder nichtfranzösische
Schutzgenosse ist ein Hemmnis für die pönetration paeMque, während die
Franzosen selbst auf Grund ihrer politischen Oberherrschaft eigener Schutzgenossen
nicht mehr bedürfen, weil jeder für französische Interessen arbeitende Marokkaner
co ipso faktischer Schutzgenosse ist! Die Mächte haben deshalb das größte
Interesse daran, die französischen Pläne zu durchkreuzen; je mehr nichtfranzösische
Schutzgenossen in Marokko wirken, desto größer sind die Garantien für die Inter-
nationalisierung von Handel und Wandel in Marokko!

Wie unendlich schwierig eine auf freier internationaler Konkurrenz sich auf¬
bauende Handelsbetcitigung unter den obwaltenden Umständen ist, haben recht
deutlich gewisse Vorgänge bei den nach der Algecirasakte vorgesehenen öffent¬
lichen Ausschreibungen für Regierungslieferungen gezeigt; hierbei waren nämlich
die Lieferungsbedingungen des Lastenheftes eigenartigerweise derart aus fran¬
zösischen Katalogen abgeschrieben und die Lieferungsfrist so kurz bemessen, daß
nur bestimmte französische Finnen als Bewerber in Frage kommen konnten.
Erst infolge energischer Reklamationen trat hierin eine Wandlung ein.

Der Erfolg der französischen Maßnahmen ist denn auch bereits der, daß
der deutsche Handel mit Marokko in den Jahren 1907 bis 1909 von rund
15 Millionen auf 13^ Millionen Mark zurückgegangen ist.

Eine weitere Bevorzugung des französischen Handels droht in vielleicht
nicht allzu langer Zeit durch differenzielle Zollbehandlung an der marokkanisch¬
algerischen Grenze. Bekanntlich haben die Franzosen vor kurzem das „Grenz¬
gebiet" zwischen Algier und Marokko in zwei Zonen eingeteilt, von denen die
nördliche das Gebiet vom Meer bis Taurirt, die südliche das Gebiet von Taurir
bis zur Sahara umfaßt; die nördliche Zone soll der Zivilverwaltung unterstellt
werden und ein aus Kolonialtruppen gebildetes Besatzungskorps erhalten, die
südliche soll der Militärbehörde unterstehen.

Diese Maßnahmen stellen den von den Franzosen langersehnten Abschluß
der algerisch-marokkanischen Grenzbeziehungen dar. Denn seit der am 18. März 1845
nach siegreichen! Kriege abgeschlossenen Konvention von Lalla Mamia war es
das stete Bestreben der französischen Kolonialpolitiker, die algerische Grenze bis
an die Muluja, den Wad Gir und den Wad Saura zurückzuverlegen, sich also
im Interesse einer „natürlichen Grenze" einen beträchtlichen Teil Marokkos
anzueignen. Das sogenannte Protokoll vom 20. Juli 1901 versuchte diesen Plan auf
Umwegen durchzuführen, seine Ausführung mißlang aber. Seit der Besetzung
Udjdas und der umliegenden wichtigen Erzgebiete und der Anerkennung der
französischen Oberherrschaft in Marokko hat sich aber die Lage so sehr zugunsten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318492"/>
          <fw type="header" place="top"> Marokkanischer Brief</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_994" prev="#ID_993"> nischen Bevölkerung vor der Willkür ihrer eigenen Behörden bei Ausländern<lb/>
Schutz suchen. Je größer daher die Zahl angesehener Schutzgenossen einer aus¬<lb/>
wärtigen Macht ist, desto größer ist das Prestige jener Macht bei den Ein¬<lb/>
geborenen, desto entwicklungsfähiger sind ihre Handelsmöglichkeiten im Lande.<lb/>
Aus dieser Erkenntnis heraus beabsichtigen die Franzosen nunmehr, das Schutz¬<lb/>
genossenwesen soweit als möglich einzuschränken, denn jeder nichtfranzösische<lb/>
Schutzgenosse ist ein Hemmnis für die pönetration paeMque, während die<lb/>
Franzosen selbst auf Grund ihrer politischen Oberherrschaft eigener Schutzgenossen<lb/>
nicht mehr bedürfen, weil jeder für französische Interessen arbeitende Marokkaner<lb/>
co ipso faktischer Schutzgenosse ist! Die Mächte haben deshalb das größte<lb/>
Interesse daran, die französischen Pläne zu durchkreuzen; je mehr nichtfranzösische<lb/>
Schutzgenossen in Marokko wirken, desto größer sind die Garantien für die Inter-<lb/>
nationalisierung von Handel und Wandel in Marokko!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_995"> Wie unendlich schwierig eine auf freier internationaler Konkurrenz sich auf¬<lb/>
bauende Handelsbetcitigung unter den obwaltenden Umständen ist, haben recht<lb/>
deutlich gewisse Vorgänge bei den nach der Algecirasakte vorgesehenen öffent¬<lb/>
lichen Ausschreibungen für Regierungslieferungen gezeigt; hierbei waren nämlich<lb/>
die Lieferungsbedingungen des Lastenheftes eigenartigerweise derart aus fran¬<lb/>
zösischen Katalogen abgeschrieben und die Lieferungsfrist so kurz bemessen, daß<lb/>
nur bestimmte französische Finnen als Bewerber in Frage kommen konnten.<lb/>
Erst infolge energischer Reklamationen trat hierin eine Wandlung ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_996"> Der Erfolg der französischen Maßnahmen ist denn auch bereits der, daß<lb/>
der deutsche Handel mit Marokko in den Jahren 1907 bis 1909 von rund<lb/>
15 Millionen auf 13^ Millionen Mark zurückgegangen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_997"> Eine weitere Bevorzugung des französischen Handels droht in vielleicht<lb/>
nicht allzu langer Zeit durch differenzielle Zollbehandlung an der marokkanisch¬<lb/>
algerischen Grenze. Bekanntlich haben die Franzosen vor kurzem das &#x201E;Grenz¬<lb/>
gebiet" zwischen Algier und Marokko in zwei Zonen eingeteilt, von denen die<lb/>
nördliche das Gebiet vom Meer bis Taurirt, die südliche das Gebiet von Taurir<lb/>
bis zur Sahara umfaßt; die nördliche Zone soll der Zivilverwaltung unterstellt<lb/>
werden und ein aus Kolonialtruppen gebildetes Besatzungskorps erhalten, die<lb/>
südliche soll der Militärbehörde unterstehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_998" next="#ID_999"> Diese Maßnahmen stellen den von den Franzosen langersehnten Abschluß<lb/>
der algerisch-marokkanischen Grenzbeziehungen dar. Denn seit der am 18. März 1845<lb/>
nach siegreichen! Kriege abgeschlossenen Konvention von Lalla Mamia war es<lb/>
das stete Bestreben der französischen Kolonialpolitiker, die algerische Grenze bis<lb/>
an die Muluja, den Wad Gir und den Wad Saura zurückzuverlegen, sich also<lb/>
im Interesse einer &#x201E;natürlichen Grenze" einen beträchtlichen Teil Marokkos<lb/>
anzueignen. Das sogenannte Protokoll vom 20. Juli 1901 versuchte diesen Plan auf<lb/>
Umwegen durchzuführen, seine Ausführung mißlang aber. Seit der Besetzung<lb/>
Udjdas und der umliegenden wichtigen Erzgebiete und der Anerkennung der<lb/>
französischen Oberherrschaft in Marokko hat sich aber die Lage so sehr zugunsten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Marokkanischer Brief nischen Bevölkerung vor der Willkür ihrer eigenen Behörden bei Ausländern Schutz suchen. Je größer daher die Zahl angesehener Schutzgenossen einer aus¬ wärtigen Macht ist, desto größer ist das Prestige jener Macht bei den Ein¬ geborenen, desto entwicklungsfähiger sind ihre Handelsmöglichkeiten im Lande. Aus dieser Erkenntnis heraus beabsichtigen die Franzosen nunmehr, das Schutz¬ genossenwesen soweit als möglich einzuschränken, denn jeder nichtfranzösische Schutzgenosse ist ein Hemmnis für die pönetration paeMque, während die Franzosen selbst auf Grund ihrer politischen Oberherrschaft eigener Schutzgenossen nicht mehr bedürfen, weil jeder für französische Interessen arbeitende Marokkaner co ipso faktischer Schutzgenosse ist! Die Mächte haben deshalb das größte Interesse daran, die französischen Pläne zu durchkreuzen; je mehr nichtfranzösische Schutzgenossen in Marokko wirken, desto größer sind die Garantien für die Inter- nationalisierung von Handel und Wandel in Marokko! Wie unendlich schwierig eine auf freier internationaler Konkurrenz sich auf¬ bauende Handelsbetcitigung unter den obwaltenden Umständen ist, haben recht deutlich gewisse Vorgänge bei den nach der Algecirasakte vorgesehenen öffent¬ lichen Ausschreibungen für Regierungslieferungen gezeigt; hierbei waren nämlich die Lieferungsbedingungen des Lastenheftes eigenartigerweise derart aus fran¬ zösischen Katalogen abgeschrieben und die Lieferungsfrist so kurz bemessen, daß nur bestimmte französische Finnen als Bewerber in Frage kommen konnten. Erst infolge energischer Reklamationen trat hierin eine Wandlung ein. Der Erfolg der französischen Maßnahmen ist denn auch bereits der, daß der deutsche Handel mit Marokko in den Jahren 1907 bis 1909 von rund 15 Millionen auf 13^ Millionen Mark zurückgegangen ist. Eine weitere Bevorzugung des französischen Handels droht in vielleicht nicht allzu langer Zeit durch differenzielle Zollbehandlung an der marokkanisch¬ algerischen Grenze. Bekanntlich haben die Franzosen vor kurzem das „Grenz¬ gebiet" zwischen Algier und Marokko in zwei Zonen eingeteilt, von denen die nördliche das Gebiet vom Meer bis Taurirt, die südliche das Gebiet von Taurir bis zur Sahara umfaßt; die nördliche Zone soll der Zivilverwaltung unterstellt werden und ein aus Kolonialtruppen gebildetes Besatzungskorps erhalten, die südliche soll der Militärbehörde unterstehen. Diese Maßnahmen stellen den von den Franzosen langersehnten Abschluß der algerisch-marokkanischen Grenzbeziehungen dar. Denn seit der am 18. März 1845 nach siegreichen! Kriege abgeschlossenen Konvention von Lalla Mamia war es das stete Bestreben der französischen Kolonialpolitiker, die algerische Grenze bis an die Muluja, den Wad Gir und den Wad Saura zurückzuverlegen, sich also im Interesse einer „natürlichen Grenze" einen beträchtlichen Teil Marokkos anzueignen. Das sogenannte Protokoll vom 20. Juli 1901 versuchte diesen Plan auf Umwegen durchzuführen, seine Ausführung mißlang aber. Seit der Besetzung Udjdas und der umliegenden wichtigen Erzgebiete und der Anerkennung der französischen Oberherrschaft in Marokko hat sich aber die Lage so sehr zugunsten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/209>, abgerufen am 01.10.2024.