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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief

ist, um die marokkanischen Erze einer französischen Unternehmergruppe zu
reservieren!

Nicht ganz ein Drittel Marokkos kommt für Landwirtschaft und Viehzucht
in Betracht; am wichtigsten ist der mittlere atlantische Küstenstrich, wo sich ein
etwa 300 Ku langer und durchschnittlich 60 Ku breiter Bodengürtel aus reinster
Schwarzerde, sogenanntem Tirs, hinzieht, und zwar in einer Mächtigkeit von
durchschnittlich 1 in. Auf weiten Strecken ist in dem Boden kein Stein zu finden;
Felder mit Gerste, Mais und Hülsenfrüchten wechseln mit steinumfriedeten
Gärten ab, in denen Oliven, Feigen und Melonen wachsen. Trotzdem es in
den Monaten April bis September keinen Tropfen Regen gibt, erlauben die
überaus reichlichen nächtlichen Niederschläge eine zweimalige Ernte, die erste im
März, die zweite im August. An Stellen, die sich künstlich bewässern lassen,
läßt sich sogar eine dreimalige Ernte erzielen! Für den Obst- und Gemüseban,
der bisher von den Eingeborenen gänzlich vernachlässigt worden ist, sind alle
Voraussetzungen gegeben, insbesondere versprechen Weinkulturen einen bei weiteni
besseren Erfolg als z. B. in Algerien, weil in Marokko im Gegensatz zu jenem
Lande Nachtfröste nicht vorkommen. Für geschickte und tüchtige Gärtner bietet
sich deshalb in und bei den größeren Städten ein lohnendes Feld. Recht
befriedigend ist ferner der Anbau von Frühkartoffeln, während die Aussichten
für Baumwollkulturen noch nicht genügend geprüft sind.

Die Viehzucht ließe sich durch Blutauffrischung und rationellere Behandlung
der Tiere außerordentlich heben. Das marokkanische Rindvieh ist eine kleine,
aber sehr widerstandsfähige Rasse, die sich durch Kreuzung mit gutem Olden¬
burger oder bayerischen Vieh sehr verbessern würde. Der geringe Milchertrag
der Kühe ist, abgesehen von schlechter Fütterung, besonders darauf zurückzuführen,
daß die Marokkaner wie die meisten Naturvölker das Kalb nicht absetzen, sondern
saugen lassen. Versuche mit sofortiger Absetzung des Kalbes haben zu befrie¬
digender Milchgewinnung geführt. Gute Erfolge hat die Schafzucht aufzuweisen,
wenngleich sich auch hier durch Kreuzung mit Merinos eine bessere Qualität
der Wolle erzielen ließe. Die Schweinezucht ist, da der Marokkaner Schweine¬
fleisch nicht ißt, verhältnismäßig neuen Datums; Versuche mit der Verpflanzung
des pommerschen Landedelschweins, die die Gebrüder Mannesmann im großen
angestellt haben, sind aber von überraschend gutem Erfolg gewesen.

Kurz, die marokkanischen landwirtschaftlichen Gebiete haben außerordent¬
liche Entwicklungsfähigkeiten, die im Verein mit dem milden Mittelmeerklima
die besten Aussichten für -- nicht unbemittelte -- Ansiedler bieten. Der Ertrag
der Landwirtschaft ließe sich bei rationeller, moderner Bewirtschaftung voraus¬
sichtlich verdoppeln.

Leider versuchen die Franzosen ihre politische Oberherrschaft auch hier dazu
zu benutzen, den deutschen Interessenten Steine auf den Weg zu werfen. Denn
nach Artikel 60 der Algecirasakte dürfen Ausländer im ganzen Gebiet des
marokkanischen Reichs mit Genehmigung der marokkanischen Behörden Grund-


Marokkanischer Brief

ist, um die marokkanischen Erze einer französischen Unternehmergruppe zu
reservieren!

Nicht ganz ein Drittel Marokkos kommt für Landwirtschaft und Viehzucht
in Betracht; am wichtigsten ist der mittlere atlantische Küstenstrich, wo sich ein
etwa 300 Ku langer und durchschnittlich 60 Ku breiter Bodengürtel aus reinster
Schwarzerde, sogenanntem Tirs, hinzieht, und zwar in einer Mächtigkeit von
durchschnittlich 1 in. Auf weiten Strecken ist in dem Boden kein Stein zu finden;
Felder mit Gerste, Mais und Hülsenfrüchten wechseln mit steinumfriedeten
Gärten ab, in denen Oliven, Feigen und Melonen wachsen. Trotzdem es in
den Monaten April bis September keinen Tropfen Regen gibt, erlauben die
überaus reichlichen nächtlichen Niederschläge eine zweimalige Ernte, die erste im
März, die zweite im August. An Stellen, die sich künstlich bewässern lassen,
läßt sich sogar eine dreimalige Ernte erzielen! Für den Obst- und Gemüseban,
der bisher von den Eingeborenen gänzlich vernachlässigt worden ist, sind alle
Voraussetzungen gegeben, insbesondere versprechen Weinkulturen einen bei weiteni
besseren Erfolg als z. B. in Algerien, weil in Marokko im Gegensatz zu jenem
Lande Nachtfröste nicht vorkommen. Für geschickte und tüchtige Gärtner bietet
sich deshalb in und bei den größeren Städten ein lohnendes Feld. Recht
befriedigend ist ferner der Anbau von Frühkartoffeln, während die Aussichten
für Baumwollkulturen noch nicht genügend geprüft sind.

Die Viehzucht ließe sich durch Blutauffrischung und rationellere Behandlung
der Tiere außerordentlich heben. Das marokkanische Rindvieh ist eine kleine,
aber sehr widerstandsfähige Rasse, die sich durch Kreuzung mit gutem Olden¬
burger oder bayerischen Vieh sehr verbessern würde. Der geringe Milchertrag
der Kühe ist, abgesehen von schlechter Fütterung, besonders darauf zurückzuführen,
daß die Marokkaner wie die meisten Naturvölker das Kalb nicht absetzen, sondern
saugen lassen. Versuche mit sofortiger Absetzung des Kalbes haben zu befrie¬
digender Milchgewinnung geführt. Gute Erfolge hat die Schafzucht aufzuweisen,
wenngleich sich auch hier durch Kreuzung mit Merinos eine bessere Qualität
der Wolle erzielen ließe. Die Schweinezucht ist, da der Marokkaner Schweine¬
fleisch nicht ißt, verhältnismäßig neuen Datums; Versuche mit der Verpflanzung
des pommerschen Landedelschweins, die die Gebrüder Mannesmann im großen
angestellt haben, sind aber von überraschend gutem Erfolg gewesen.

Kurz, die marokkanischen landwirtschaftlichen Gebiete haben außerordent¬
liche Entwicklungsfähigkeiten, die im Verein mit dem milden Mittelmeerklima
die besten Aussichten für — nicht unbemittelte — Ansiedler bieten. Der Ertrag
der Landwirtschaft ließe sich bei rationeller, moderner Bewirtschaftung voraus¬
sichtlich verdoppeln.

Leider versuchen die Franzosen ihre politische Oberherrschaft auch hier dazu
zu benutzen, den deutschen Interessenten Steine auf den Weg zu werfen. Denn
nach Artikel 60 der Algecirasakte dürfen Ausländer im ganzen Gebiet des
marokkanischen Reichs mit Genehmigung der marokkanischen Behörden Grund-


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[0207] Marokkanischer Brief ist, um die marokkanischen Erze einer französischen Unternehmergruppe zu reservieren! Nicht ganz ein Drittel Marokkos kommt für Landwirtschaft und Viehzucht in Betracht; am wichtigsten ist der mittlere atlantische Küstenstrich, wo sich ein etwa 300 Ku langer und durchschnittlich 60 Ku breiter Bodengürtel aus reinster Schwarzerde, sogenanntem Tirs, hinzieht, und zwar in einer Mächtigkeit von durchschnittlich 1 in. Auf weiten Strecken ist in dem Boden kein Stein zu finden; Felder mit Gerste, Mais und Hülsenfrüchten wechseln mit steinumfriedeten Gärten ab, in denen Oliven, Feigen und Melonen wachsen. Trotzdem es in den Monaten April bis September keinen Tropfen Regen gibt, erlauben die überaus reichlichen nächtlichen Niederschläge eine zweimalige Ernte, die erste im März, die zweite im August. An Stellen, die sich künstlich bewässern lassen, läßt sich sogar eine dreimalige Ernte erzielen! Für den Obst- und Gemüseban, der bisher von den Eingeborenen gänzlich vernachlässigt worden ist, sind alle Voraussetzungen gegeben, insbesondere versprechen Weinkulturen einen bei weiteni besseren Erfolg als z. B. in Algerien, weil in Marokko im Gegensatz zu jenem Lande Nachtfröste nicht vorkommen. Für geschickte und tüchtige Gärtner bietet sich deshalb in und bei den größeren Städten ein lohnendes Feld. Recht befriedigend ist ferner der Anbau von Frühkartoffeln, während die Aussichten für Baumwollkulturen noch nicht genügend geprüft sind. Die Viehzucht ließe sich durch Blutauffrischung und rationellere Behandlung der Tiere außerordentlich heben. Das marokkanische Rindvieh ist eine kleine, aber sehr widerstandsfähige Rasse, die sich durch Kreuzung mit gutem Olden¬ burger oder bayerischen Vieh sehr verbessern würde. Der geringe Milchertrag der Kühe ist, abgesehen von schlechter Fütterung, besonders darauf zurückzuführen, daß die Marokkaner wie die meisten Naturvölker das Kalb nicht absetzen, sondern saugen lassen. Versuche mit sofortiger Absetzung des Kalbes haben zu befrie¬ digender Milchgewinnung geführt. Gute Erfolge hat die Schafzucht aufzuweisen, wenngleich sich auch hier durch Kreuzung mit Merinos eine bessere Qualität der Wolle erzielen ließe. Die Schweinezucht ist, da der Marokkaner Schweine¬ fleisch nicht ißt, verhältnismäßig neuen Datums; Versuche mit der Verpflanzung des pommerschen Landedelschweins, die die Gebrüder Mannesmann im großen angestellt haben, sind aber von überraschend gutem Erfolg gewesen. Kurz, die marokkanischen landwirtschaftlichen Gebiete haben außerordent¬ liche Entwicklungsfähigkeiten, die im Verein mit dem milden Mittelmeerklima die besten Aussichten für — nicht unbemittelte — Ansiedler bieten. Der Ertrag der Landwirtschaft ließe sich bei rationeller, moderner Bewirtschaftung voraus¬ sichtlich verdoppeln. Leider versuchen die Franzosen ihre politische Oberherrschaft auch hier dazu zu benutzen, den deutschen Interessenten Steine auf den Weg zu werfen. Denn nach Artikel 60 der Algecirasakte dürfen Ausländer im ganzen Gebiet des marokkanischen Reichs mit Genehmigung der marokkanischen Behörden Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/207>, abgerufen am 03.07.2024.