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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief

Anderseits hat Frankreich mit seinem bisherigen Grundsatz der "penötration
pa,cikique" so gute Erfolge erzielt, daß es gar nicht wünschen kann, etwas
anderes an dessen Stelle zu setzen. Denn die wenigen Jahre seit seiner Fest¬
setzung im Lande haben genügt, aus diesem ein zweites Tunis nach verbessertem
Rezept zu machen; der Sultan ist in der Tat zum willenlosen Werkzeug der
Franzosen geworden. In der wirtschaftlichen Erschließung des Landes fühlt sich
Frankreich durch die internationalen Abmachungen, namentlich durch das Februar¬
abkommen mit Deutschland, allerdings noch recht beengt und sucht deshalb durch
allerlei Maßnahmen und Maßnähmchen auch sein wirtschaftliches Übergewicht zu
sichern. Daß es hierbei durch seine politische Oberherrschaft auf das glücklichste
unterstützt wird, bedarf keiner Erläuterung. Um so mehr hat aber Deutschland
die Pflicht, auf die rigoroseste Ausnutzung der ihm vertraglich zugestandenen
Rechte zu sehen, wenn anders ihm nicht der marokkanische Markt allmählich,
aber sicher gesperrt werden soll.

Wie leicht die französische Vorherrschaft zur unberechtigten Bevorzugung
französischer Interessenten führt, hat erst vor einiger Zeit der Zwischenfall von
Agadir gezeigt, wo unter dem Schutze eines französischen Kreuzers der Boden
für wirtschaftliche Unternehmungen, besonders für Bergbau, im Sus geebnet
werden sollte. Erfreulicherweise hat der neue Staatssekretär sofort die Situation
durchschaut und eine nicht mißzuverstehende Warnung nach Paris gerichtet.

Gerade das Susgebiet ist eine der reichsten Provinzen Marokkos, weil es
zahlreiche Erzlager enthält; einzelne Erzproben von dort, die mir vorlagen, ent¬
hielten nach wissenschaftlicher Untersuchung 63 bis 65 "/<> reines Kupfer. Das
andere Erzgebiet liegt im Nordosten des Landes, wo der Atlas in steilem Abfall
bis an das Mittelnieer herantritt. Hier, im Nis, liegen in der Hauptsache die
in letzter Zeit so heiß umstrittenen Eisenminen, die von solcher Mächtigkeit
sind, daß an einzelnen Stellen die dicken Erzadern offen zutage treten. Welche
Erze der Hauptstock des Gebirges enthält, konnte bisher noch nicht mit genügender
Sicherheit festgestellt werden, weil ein Eindringen in diese Gebirgsgegenden
Zentralmarokkos wegen der Feindseligkeit der völlig unabhängigen, sich selbst
in blutigen Fehden bekämpfenden Berberstämme bisher nur wenigen unerschrockenen
Forschern, neuerdings dem Marquis de SSgonzac, geglückt ist. Daß aber auch
diese Gebirgszüge Erze enthalten, lassen viele aufgegebene Stollen vermuten.
Der heutige Marokkaner gibt sich nicht gern mit Bergbau ab; er steht auf dem
Standpunkt, daß der Mensch das nicht vorwitzig an die Oberfläche schaffen
soll, was Gott mit weisem Vorbedacht in den Schoß der Erde versenkt hat.

Trotzdem wird aber der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo die Schätze
des marokkanischen Bodens systematisch ausgebeutet werden. Daß hierbei unsere
deutschen Interessenten nicht zu kurz kommen, sondern nach Maßgabe der von
ihnen bisher aufgewendeten Mühen beteiligt werden, kann das deutsche Volk als
erste größere Frucht des Februarabkommens mit Recht verlangen, um so mehr,
als vou französischer Seite zu den verzweifeltsten Mitteln gegriffen worden


Marokkanischer Brief

Anderseits hat Frankreich mit seinem bisherigen Grundsatz der „penötration
pa,cikique" so gute Erfolge erzielt, daß es gar nicht wünschen kann, etwas
anderes an dessen Stelle zu setzen. Denn die wenigen Jahre seit seiner Fest¬
setzung im Lande haben genügt, aus diesem ein zweites Tunis nach verbessertem
Rezept zu machen; der Sultan ist in der Tat zum willenlosen Werkzeug der
Franzosen geworden. In der wirtschaftlichen Erschließung des Landes fühlt sich
Frankreich durch die internationalen Abmachungen, namentlich durch das Februar¬
abkommen mit Deutschland, allerdings noch recht beengt und sucht deshalb durch
allerlei Maßnahmen und Maßnähmchen auch sein wirtschaftliches Übergewicht zu
sichern. Daß es hierbei durch seine politische Oberherrschaft auf das glücklichste
unterstützt wird, bedarf keiner Erläuterung. Um so mehr hat aber Deutschland
die Pflicht, auf die rigoroseste Ausnutzung der ihm vertraglich zugestandenen
Rechte zu sehen, wenn anders ihm nicht der marokkanische Markt allmählich,
aber sicher gesperrt werden soll.

Wie leicht die französische Vorherrschaft zur unberechtigten Bevorzugung
französischer Interessenten führt, hat erst vor einiger Zeit der Zwischenfall von
Agadir gezeigt, wo unter dem Schutze eines französischen Kreuzers der Boden
für wirtschaftliche Unternehmungen, besonders für Bergbau, im Sus geebnet
werden sollte. Erfreulicherweise hat der neue Staatssekretär sofort die Situation
durchschaut und eine nicht mißzuverstehende Warnung nach Paris gerichtet.

Gerade das Susgebiet ist eine der reichsten Provinzen Marokkos, weil es
zahlreiche Erzlager enthält; einzelne Erzproben von dort, die mir vorlagen, ent¬
hielten nach wissenschaftlicher Untersuchung 63 bis 65 "/<> reines Kupfer. Das
andere Erzgebiet liegt im Nordosten des Landes, wo der Atlas in steilem Abfall
bis an das Mittelnieer herantritt. Hier, im Nis, liegen in der Hauptsache die
in letzter Zeit so heiß umstrittenen Eisenminen, die von solcher Mächtigkeit
sind, daß an einzelnen Stellen die dicken Erzadern offen zutage treten. Welche
Erze der Hauptstock des Gebirges enthält, konnte bisher noch nicht mit genügender
Sicherheit festgestellt werden, weil ein Eindringen in diese Gebirgsgegenden
Zentralmarokkos wegen der Feindseligkeit der völlig unabhängigen, sich selbst
in blutigen Fehden bekämpfenden Berberstämme bisher nur wenigen unerschrockenen
Forschern, neuerdings dem Marquis de SSgonzac, geglückt ist. Daß aber auch
diese Gebirgszüge Erze enthalten, lassen viele aufgegebene Stollen vermuten.
Der heutige Marokkaner gibt sich nicht gern mit Bergbau ab; er steht auf dem
Standpunkt, daß der Mensch das nicht vorwitzig an die Oberfläche schaffen
soll, was Gott mit weisem Vorbedacht in den Schoß der Erde versenkt hat.

Trotzdem wird aber der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo die Schätze
des marokkanischen Bodens systematisch ausgebeutet werden. Daß hierbei unsere
deutschen Interessenten nicht zu kurz kommen, sondern nach Maßgabe der von
ihnen bisher aufgewendeten Mühen beteiligt werden, kann das deutsche Volk als
erste größere Frucht des Februarabkommens mit Recht verlangen, um so mehr,
als vou französischer Seite zu den verzweifeltsten Mitteln gegriffen worden


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[0206] Marokkanischer Brief Anderseits hat Frankreich mit seinem bisherigen Grundsatz der „penötration pa,cikique" so gute Erfolge erzielt, daß es gar nicht wünschen kann, etwas anderes an dessen Stelle zu setzen. Denn die wenigen Jahre seit seiner Fest¬ setzung im Lande haben genügt, aus diesem ein zweites Tunis nach verbessertem Rezept zu machen; der Sultan ist in der Tat zum willenlosen Werkzeug der Franzosen geworden. In der wirtschaftlichen Erschließung des Landes fühlt sich Frankreich durch die internationalen Abmachungen, namentlich durch das Februar¬ abkommen mit Deutschland, allerdings noch recht beengt und sucht deshalb durch allerlei Maßnahmen und Maßnähmchen auch sein wirtschaftliches Übergewicht zu sichern. Daß es hierbei durch seine politische Oberherrschaft auf das glücklichste unterstützt wird, bedarf keiner Erläuterung. Um so mehr hat aber Deutschland die Pflicht, auf die rigoroseste Ausnutzung der ihm vertraglich zugestandenen Rechte zu sehen, wenn anders ihm nicht der marokkanische Markt allmählich, aber sicher gesperrt werden soll. Wie leicht die französische Vorherrschaft zur unberechtigten Bevorzugung französischer Interessenten führt, hat erst vor einiger Zeit der Zwischenfall von Agadir gezeigt, wo unter dem Schutze eines französischen Kreuzers der Boden für wirtschaftliche Unternehmungen, besonders für Bergbau, im Sus geebnet werden sollte. Erfreulicherweise hat der neue Staatssekretär sofort die Situation durchschaut und eine nicht mißzuverstehende Warnung nach Paris gerichtet. Gerade das Susgebiet ist eine der reichsten Provinzen Marokkos, weil es zahlreiche Erzlager enthält; einzelne Erzproben von dort, die mir vorlagen, ent¬ hielten nach wissenschaftlicher Untersuchung 63 bis 65 "/<> reines Kupfer. Das andere Erzgebiet liegt im Nordosten des Landes, wo der Atlas in steilem Abfall bis an das Mittelnieer herantritt. Hier, im Nis, liegen in der Hauptsache die in letzter Zeit so heiß umstrittenen Eisenminen, die von solcher Mächtigkeit sind, daß an einzelnen Stellen die dicken Erzadern offen zutage treten. Welche Erze der Hauptstock des Gebirges enthält, konnte bisher noch nicht mit genügender Sicherheit festgestellt werden, weil ein Eindringen in diese Gebirgsgegenden Zentralmarokkos wegen der Feindseligkeit der völlig unabhängigen, sich selbst in blutigen Fehden bekämpfenden Berberstämme bisher nur wenigen unerschrockenen Forschern, neuerdings dem Marquis de SSgonzac, geglückt ist. Daß aber auch diese Gebirgszüge Erze enthalten, lassen viele aufgegebene Stollen vermuten. Der heutige Marokkaner gibt sich nicht gern mit Bergbau ab; er steht auf dem Standpunkt, daß der Mensch das nicht vorwitzig an die Oberfläche schaffen soll, was Gott mit weisem Vorbedacht in den Schoß der Erde versenkt hat. Trotzdem wird aber der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo die Schätze des marokkanischen Bodens systematisch ausgebeutet werden. Daß hierbei unsere deutschen Interessenten nicht zu kurz kommen, sondern nach Maßgabe der von ihnen bisher aufgewendeten Mühen beteiligt werden, kann das deutsche Volk als erste größere Frucht des Februarabkommens mit Recht verlangen, um so mehr, als vou französischer Seite zu den verzweifeltsten Mitteln gegriffen worden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/206>, abgerufen am 03.07.2024.