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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Aatnrorkenntms und Iveltanschcmung

Er erkannte, daß die Bahnen Ellipsen sind und sprach das aus in dem ersten
seiner drei noch heute vollgültigen und grundlegenden Gesetze, durch die der
Lauf eines jeden Planeten bestimmt wird.

So lüftete sich immer mehr der Schleier, der das mysteriöse Getriebe der
Weltenuhr solange verhüllt hatte. Völlig gehoben wurde er in der zweiten
Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durch Jsaak Newton, der den Beweis dafür
führte, daß dasselbe Gesetz, das den Fall eines Apfels vom Baume regelt,
auch der bestimmende Faktor für die Bewegungen der Gestirne ist. Newtons
Gravitationsgesetz, wie man es nennt, warf ein so Helles Licht in die ent¬
ferntesten Räume des Weltalls, daß seitdem die Bewegung eines jeden Welt¬
körpers, soweit er überhaupt der Messung zugänglich ist, auf die Minute und
Sekunde berechnet werden kann. Bekannt ist ja die durch Adams und durch
Leverrier ausgeführte Errechnung des bis dahin noch unbekannten Planeten
Neptun aus Störungen der Uranusbewegung, und wie der neue Planet daun
tatsächlich von Galle in Breslau an der vorher bestimmten Stelle gefunden
wurde. Seit den letzten fünfzig Jahren bietet die Spektroskopie in der sogenannten
Dopplerschen Linienverschiebuug ein Mittel, um auch noch Bewegungen solcher
Gestirne genau zu messen, die das Auge nicht mehr von den Nachbarn unter¬
scheiden kann und die jeder Winkelbestimmung infolge ihrer allzu enormen Ent¬
fernung unzugänglich sind.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Wirkung, die das so gewonnene
Weltbild auf die Weltanschauung ausüben mußte, so können wir uns die
Schwierigkeiten nicht verhehlen, die dieser durch jenes entstanden.

Es war ein im Mittelalter mit besonderer Vorliebe gepflegter Glaube, daß
Gottes Hand den Lauf der Gestirne nach seinem Wohlgefallen lenke, ja daß er sie
benutze, mu den Beherrschern des Weltenmittelpunktes, den erdbewohnenden Menschen,
seine Absichten kundzutuu. Dieser Glaube war nun stark erschüttert, die welt-
beherrschende Rolle der Erde war ausgespielt, und wenn sich früher der Blick
andachtsvoll zu den Gestirnen erhob, um Gottes Allmacht zu bewundern, so sah
er jetzt dort nur noch eine zwar unbegreiflich große, aber sklavisch einem ehernen
Gesetze folgende Maschine, die der Phantasie wenig Spielraum übrig ließ.
Und wenn wir Rudolf Otto, dessen hervorragendes Buch über naturalistische
und religiöse Weltansicht warm empfohlen werden kann, darin recht geben müssen,
daß religiöses Gefühl das Geheimnisvolle und Übernatürliche auch in der Natur
nicht ganz entbehren kann, so mag man die Schwierigkeit schätzen, die dem
Kirchenglauben dadurch erwuchs, daß nun nicht mehr Gott, sondern die Zahl
herrschen sollte im Weltenraum.

Im Laufe der kommenden Jahrhunderte aber wurde das Geheimnis nicht
nur aus dem gestirnten Himmel, sondern auch von unserer Erde Schritt für
Schritt zurückgedrängt. Was schon in den ältesten Zeiten der griechischen
Philosophie, namentlich von Empedokles und den Atomisten, behauptet worden
war, nämlich die Ewigkeit der Materie, deren kein Teilchen hinzukommen noch


Aatnrorkenntms und Iveltanschcmung

Er erkannte, daß die Bahnen Ellipsen sind und sprach das aus in dem ersten
seiner drei noch heute vollgültigen und grundlegenden Gesetze, durch die der
Lauf eines jeden Planeten bestimmt wird.

So lüftete sich immer mehr der Schleier, der das mysteriöse Getriebe der
Weltenuhr solange verhüllt hatte. Völlig gehoben wurde er in der zweiten
Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durch Jsaak Newton, der den Beweis dafür
führte, daß dasselbe Gesetz, das den Fall eines Apfels vom Baume regelt,
auch der bestimmende Faktor für die Bewegungen der Gestirne ist. Newtons
Gravitationsgesetz, wie man es nennt, warf ein so Helles Licht in die ent¬
ferntesten Räume des Weltalls, daß seitdem die Bewegung eines jeden Welt¬
körpers, soweit er überhaupt der Messung zugänglich ist, auf die Minute und
Sekunde berechnet werden kann. Bekannt ist ja die durch Adams und durch
Leverrier ausgeführte Errechnung des bis dahin noch unbekannten Planeten
Neptun aus Störungen der Uranusbewegung, und wie der neue Planet daun
tatsächlich von Galle in Breslau an der vorher bestimmten Stelle gefunden
wurde. Seit den letzten fünfzig Jahren bietet die Spektroskopie in der sogenannten
Dopplerschen Linienverschiebuug ein Mittel, um auch noch Bewegungen solcher
Gestirne genau zu messen, die das Auge nicht mehr von den Nachbarn unter¬
scheiden kann und die jeder Winkelbestimmung infolge ihrer allzu enormen Ent¬
fernung unzugänglich sind.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Wirkung, die das so gewonnene
Weltbild auf die Weltanschauung ausüben mußte, so können wir uns die
Schwierigkeiten nicht verhehlen, die dieser durch jenes entstanden.

Es war ein im Mittelalter mit besonderer Vorliebe gepflegter Glaube, daß
Gottes Hand den Lauf der Gestirne nach seinem Wohlgefallen lenke, ja daß er sie
benutze, mu den Beherrschern des Weltenmittelpunktes, den erdbewohnenden Menschen,
seine Absichten kundzutuu. Dieser Glaube war nun stark erschüttert, die welt-
beherrschende Rolle der Erde war ausgespielt, und wenn sich früher der Blick
andachtsvoll zu den Gestirnen erhob, um Gottes Allmacht zu bewundern, so sah
er jetzt dort nur noch eine zwar unbegreiflich große, aber sklavisch einem ehernen
Gesetze folgende Maschine, die der Phantasie wenig Spielraum übrig ließ.
Und wenn wir Rudolf Otto, dessen hervorragendes Buch über naturalistische
und religiöse Weltansicht warm empfohlen werden kann, darin recht geben müssen,
daß religiöses Gefühl das Geheimnisvolle und Übernatürliche auch in der Natur
nicht ganz entbehren kann, so mag man die Schwierigkeit schätzen, die dem
Kirchenglauben dadurch erwuchs, daß nun nicht mehr Gott, sondern die Zahl
herrschen sollte im Weltenraum.

Im Laufe der kommenden Jahrhunderte aber wurde das Geheimnis nicht
nur aus dem gestirnten Himmel, sondern auch von unserer Erde Schritt für
Schritt zurückgedrängt. Was schon in den ältesten Zeiten der griechischen
Philosophie, namentlich von Empedokles und den Atomisten, behauptet worden
war, nämlich die Ewigkeit der Materie, deren kein Teilchen hinzukommen noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/20>, abgerufen am 01.07.2024.