Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Naturcrkenntnis und Weltanschauung

Das wurde anders im Zeitalter des Humanismus. Um 1400 fing man
nach dem Vorgange Petrarcas und Boccaccios zuerst in Italien an, sich wieder
mit der griechischen Sprache zu beschäftigen, und sah sich, namentlich nachdem
griechische Gelehrte, aus Konstantinopel vor den Türken fliehend, die Geistes-
schätze ihrer Sprache nach Italien gebracht hatten, einer ganzen neuen Literatur
gegenüber, die nicht nur an dichterischer Schönheit, sondern auch an wissen¬
schaftlicher Tiefe alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellte. Man lernte
jetzt nicht nur den Aristoteles und die anderen griechischen Philosophen in der
Ursprache kennen, sondern las unter anderen auch die geographischen und
astronomischen Werke der Alexandriner Aristarch, Eratosthenes und Hipparch,
des Strabo und des Ptolemäus.

Auf diese Weise lernte man neben vielem anderen auch die Ansicht von
der Kugelgestalt der Erde kennen. Sie war schon den Pythagoräern um
500 v. Chr. geläufig, und der erwähnte Eratosthenes berechnete schon um
200 v. Chr. in scharfsinniger Weise den Erddurchmesser. Nun wurde der
Gedanke bald Allgemeingut vieler Gebildeten und rief in zahlreichen Schriften
Spekulationen über die Möglichkeit eines westlichen Weges nach dein ersehnten
Wunderlande Indien hervor. Aber es ist etwas Grundverschiedenes, ob man
an feinem Schreibtisch die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit solcher Ansicht
versieht, oder ob man sein Leben aufs Spiel setzt, um sie zu beweisen. Dies
tat Christoph Kolumbus, der so, wie Ladenburg in seiner bekannten
Kasseler Rede hervorhob, als erster das Experiment im großen Stil in die
Wissenschaft einführte. Hatte die Kirchenlehre recht, dann war sein Schicksal
besiegelt; er mußte, an dem Rande der Erdscheibe angelangt, den großen
Wasserberg mit seinen Schiffen hinuntersausen, wahrscheinlich direkt in die Hölle.
Mindestens aber war eine Rückkehr dann ausgeschlossen. -- Die Kirchenlehre
hatte aber nicht recht, und so wurde durch diese Tat die erste Bresche gelegt
in das vorhin geschilderte Gefüge überkommener Weltansicht. Dreißig Jahre
nach der ersten Fahrt desKolumbus brachte die erste Weltumsegelung durch Magelan
resp. Sebastian deDelcano den unumstößlichen Beweis für die Kugelgestalt der Erde.

Nachdem nun der Zweifel wach geworden, blieben einschneidendere Gedanken-
rcvolutionen uicht aus.

Schau 1543 veröffentlichte Nikolaus Kopernikus sein Lebenswerk, das die
Erde aus dem Mittelpunkte der Welt verwies in die Rolle eines bescheidenen
Trabanten der Sonne. Wenn auch die kopernikanische Lehre, daß die Erde
wie die anderen Planeten sich im Kreise um die Sonne drehe und nur der
Mond um die Erde, noch nicht ganz frei von Fehlern war, so besiegte sie doch
bald das System des Ptolemäus durch ihre Einfachheit, die die beobachteten
Planetenbewegungen verständlich machte, ohne die Komplikationen der Exzen¬
trizitäten und Epizukel.

Kopernikus irrte in der Annahme, daß die Planeten Kreisbahnen beschrieben,
und dieser Irrtum wurde fast hundert Jahre später durch Kepler berichtigt.


Naturcrkenntnis und Weltanschauung

Das wurde anders im Zeitalter des Humanismus. Um 1400 fing man
nach dem Vorgange Petrarcas und Boccaccios zuerst in Italien an, sich wieder
mit der griechischen Sprache zu beschäftigen, und sah sich, namentlich nachdem
griechische Gelehrte, aus Konstantinopel vor den Türken fliehend, die Geistes-
schätze ihrer Sprache nach Italien gebracht hatten, einer ganzen neuen Literatur
gegenüber, die nicht nur an dichterischer Schönheit, sondern auch an wissen¬
schaftlicher Tiefe alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellte. Man lernte
jetzt nicht nur den Aristoteles und die anderen griechischen Philosophen in der
Ursprache kennen, sondern las unter anderen auch die geographischen und
astronomischen Werke der Alexandriner Aristarch, Eratosthenes und Hipparch,
des Strabo und des Ptolemäus.

Auf diese Weise lernte man neben vielem anderen auch die Ansicht von
der Kugelgestalt der Erde kennen. Sie war schon den Pythagoräern um
500 v. Chr. geläufig, und der erwähnte Eratosthenes berechnete schon um
200 v. Chr. in scharfsinniger Weise den Erddurchmesser. Nun wurde der
Gedanke bald Allgemeingut vieler Gebildeten und rief in zahlreichen Schriften
Spekulationen über die Möglichkeit eines westlichen Weges nach dein ersehnten
Wunderlande Indien hervor. Aber es ist etwas Grundverschiedenes, ob man
an feinem Schreibtisch die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit solcher Ansicht
versieht, oder ob man sein Leben aufs Spiel setzt, um sie zu beweisen. Dies
tat Christoph Kolumbus, der so, wie Ladenburg in seiner bekannten
Kasseler Rede hervorhob, als erster das Experiment im großen Stil in die
Wissenschaft einführte. Hatte die Kirchenlehre recht, dann war sein Schicksal
besiegelt; er mußte, an dem Rande der Erdscheibe angelangt, den großen
Wasserberg mit seinen Schiffen hinuntersausen, wahrscheinlich direkt in die Hölle.
Mindestens aber war eine Rückkehr dann ausgeschlossen. — Die Kirchenlehre
hatte aber nicht recht, und so wurde durch diese Tat die erste Bresche gelegt
in das vorhin geschilderte Gefüge überkommener Weltansicht. Dreißig Jahre
nach der ersten Fahrt desKolumbus brachte die erste Weltumsegelung durch Magelan
resp. Sebastian deDelcano den unumstößlichen Beweis für die Kugelgestalt der Erde.

Nachdem nun der Zweifel wach geworden, blieben einschneidendere Gedanken-
rcvolutionen uicht aus.

Schau 1543 veröffentlichte Nikolaus Kopernikus sein Lebenswerk, das die
Erde aus dem Mittelpunkte der Welt verwies in die Rolle eines bescheidenen
Trabanten der Sonne. Wenn auch die kopernikanische Lehre, daß die Erde
wie die anderen Planeten sich im Kreise um die Sonne drehe und nur der
Mond um die Erde, noch nicht ganz frei von Fehlern war, so besiegte sie doch
bald das System des Ptolemäus durch ihre Einfachheit, die die beobachteten
Planetenbewegungen verständlich machte, ohne die Komplikationen der Exzen¬
trizitäten und Epizukel.

Kopernikus irrte in der Annahme, daß die Planeten Kreisbahnen beschrieben,
und dieser Irrtum wurde fast hundert Jahre später durch Kepler berichtigt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318302"/>
          <fw type="header" place="top"> Naturcrkenntnis und Weltanschauung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_33"> Das wurde anders im Zeitalter des Humanismus. Um 1400 fing man<lb/>
nach dem Vorgange Petrarcas und Boccaccios zuerst in Italien an, sich wieder<lb/>
mit der griechischen Sprache zu beschäftigen, und sah sich, namentlich nachdem<lb/>
griechische Gelehrte, aus Konstantinopel vor den Türken fliehend, die Geistes-<lb/>
schätze ihrer Sprache nach Italien gebracht hatten, einer ganzen neuen Literatur<lb/>
gegenüber, die nicht nur an dichterischer Schönheit, sondern auch an wissen¬<lb/>
schaftlicher Tiefe alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellte. Man lernte<lb/>
jetzt nicht nur den Aristoteles und die anderen griechischen Philosophen in der<lb/>
Ursprache kennen, sondern las unter anderen auch die geographischen und<lb/>
astronomischen Werke der Alexandriner Aristarch, Eratosthenes und Hipparch,<lb/>
des Strabo und des Ptolemäus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_34"> Auf diese Weise lernte man neben vielem anderen auch die Ansicht von<lb/>
der Kugelgestalt der Erde kennen. Sie war schon den Pythagoräern um<lb/>
500 v. Chr. geläufig, und der erwähnte Eratosthenes berechnete schon um<lb/>
200 v. Chr. in scharfsinniger Weise den Erddurchmesser. Nun wurde der<lb/>
Gedanke bald Allgemeingut vieler Gebildeten und rief in zahlreichen Schriften<lb/>
Spekulationen über die Möglichkeit eines westlichen Weges nach dein ersehnten<lb/>
Wunderlande Indien hervor. Aber es ist etwas Grundverschiedenes, ob man<lb/>
an feinem Schreibtisch die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit solcher Ansicht<lb/>
versieht, oder ob man sein Leben aufs Spiel setzt, um sie zu beweisen. Dies<lb/>
tat Christoph Kolumbus, der so, wie Ladenburg in seiner bekannten<lb/>
Kasseler Rede hervorhob, als erster das Experiment im großen Stil in die<lb/>
Wissenschaft einführte. Hatte die Kirchenlehre recht, dann war sein Schicksal<lb/>
besiegelt; er mußte, an dem Rande der Erdscheibe angelangt, den großen<lb/>
Wasserberg mit seinen Schiffen hinuntersausen, wahrscheinlich direkt in die Hölle.<lb/>
Mindestens aber war eine Rückkehr dann ausgeschlossen. &#x2014; Die Kirchenlehre<lb/>
hatte aber nicht recht, und so wurde durch diese Tat die erste Bresche gelegt<lb/>
in das vorhin geschilderte Gefüge überkommener Weltansicht. Dreißig Jahre<lb/>
nach der ersten Fahrt desKolumbus brachte die erste Weltumsegelung durch Magelan<lb/>
resp. Sebastian deDelcano den unumstößlichen Beweis für die Kugelgestalt der Erde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_35"> Nachdem nun der Zweifel wach geworden, blieben einschneidendere Gedanken-<lb/>
rcvolutionen uicht aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_36"> Schau 1543 veröffentlichte Nikolaus Kopernikus sein Lebenswerk, das die<lb/>
Erde aus dem Mittelpunkte der Welt verwies in die Rolle eines bescheidenen<lb/>
Trabanten der Sonne. Wenn auch die kopernikanische Lehre, daß die Erde<lb/>
wie die anderen Planeten sich im Kreise um die Sonne drehe und nur der<lb/>
Mond um die Erde, noch nicht ganz frei von Fehlern war, so besiegte sie doch<lb/>
bald das System des Ptolemäus durch ihre Einfachheit, die die beobachteten<lb/>
Planetenbewegungen verständlich machte, ohne die Komplikationen der Exzen¬<lb/>
trizitäten und Epizukel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_37" next="#ID_38"> Kopernikus irrte in der Annahme, daß die Planeten Kreisbahnen beschrieben,<lb/>
und dieser Irrtum wurde fast hundert Jahre später durch Kepler berichtigt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Naturcrkenntnis und Weltanschauung Das wurde anders im Zeitalter des Humanismus. Um 1400 fing man nach dem Vorgange Petrarcas und Boccaccios zuerst in Italien an, sich wieder mit der griechischen Sprache zu beschäftigen, und sah sich, namentlich nachdem griechische Gelehrte, aus Konstantinopel vor den Türken fliehend, die Geistes- schätze ihrer Sprache nach Italien gebracht hatten, einer ganzen neuen Literatur gegenüber, die nicht nur an dichterischer Schönheit, sondern auch an wissen¬ schaftlicher Tiefe alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellte. Man lernte jetzt nicht nur den Aristoteles und die anderen griechischen Philosophen in der Ursprache kennen, sondern las unter anderen auch die geographischen und astronomischen Werke der Alexandriner Aristarch, Eratosthenes und Hipparch, des Strabo und des Ptolemäus. Auf diese Weise lernte man neben vielem anderen auch die Ansicht von der Kugelgestalt der Erde kennen. Sie war schon den Pythagoräern um 500 v. Chr. geläufig, und der erwähnte Eratosthenes berechnete schon um 200 v. Chr. in scharfsinniger Weise den Erddurchmesser. Nun wurde der Gedanke bald Allgemeingut vieler Gebildeten und rief in zahlreichen Schriften Spekulationen über die Möglichkeit eines westlichen Weges nach dein ersehnten Wunderlande Indien hervor. Aber es ist etwas Grundverschiedenes, ob man an feinem Schreibtisch die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit solcher Ansicht versieht, oder ob man sein Leben aufs Spiel setzt, um sie zu beweisen. Dies tat Christoph Kolumbus, der so, wie Ladenburg in seiner bekannten Kasseler Rede hervorhob, als erster das Experiment im großen Stil in die Wissenschaft einführte. Hatte die Kirchenlehre recht, dann war sein Schicksal besiegelt; er mußte, an dem Rande der Erdscheibe angelangt, den großen Wasserberg mit seinen Schiffen hinuntersausen, wahrscheinlich direkt in die Hölle. Mindestens aber war eine Rückkehr dann ausgeschlossen. — Die Kirchenlehre hatte aber nicht recht, und so wurde durch diese Tat die erste Bresche gelegt in das vorhin geschilderte Gefüge überkommener Weltansicht. Dreißig Jahre nach der ersten Fahrt desKolumbus brachte die erste Weltumsegelung durch Magelan resp. Sebastian deDelcano den unumstößlichen Beweis für die Kugelgestalt der Erde. Nachdem nun der Zweifel wach geworden, blieben einschneidendere Gedanken- rcvolutionen uicht aus. Schau 1543 veröffentlichte Nikolaus Kopernikus sein Lebenswerk, das die Erde aus dem Mittelpunkte der Welt verwies in die Rolle eines bescheidenen Trabanten der Sonne. Wenn auch die kopernikanische Lehre, daß die Erde wie die anderen Planeten sich im Kreise um die Sonne drehe und nur der Mond um die Erde, noch nicht ganz frei von Fehlern war, so besiegte sie doch bald das System des Ptolemäus durch ihre Einfachheit, die die beobachteten Planetenbewegungen verständlich machte, ohne die Komplikationen der Exzen¬ trizitäten und Epizukel. Kopernikus irrte in der Annahme, daß die Planeten Kreisbahnen beschrieben, und dieser Irrtum wurde fast hundert Jahre später durch Kepler berichtigt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/19>, abgerufen am 29.06.2024.