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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

Aus der Zusammenhanglosigkeit von Haus und Garten entstand auch die
sogenannte gärtnerische Anlage, die zunächst als ein wilder Schößling an un¬
bebauten Straßenecken und -kreuzungen -- oft als Lockung von Bauspekulanten
unter dem Schein der Volkshygiene -- aufwuchs, dadurch von vornherein die
Bildung neuer guter Stadtplätze verhinderte und dann weiterwuchernd auch die
ruhige, offene Schönheit der alten Stadtplätze durch ihr Buschwerk vernichtete.

Aber erst nach dein völligen Bankerott merkte man, daß überhaupt kein
Garten mehr da sei, daß auch keine Gartenkünstler mehr da seien und daß
einem gelernten Gärtner die Anlage eines Gartens übertragen heute so viel
hieß, als dem Maurer und Hauswart den Entwurf und Aufbau eines Hauses
zumuten.

In der völligen Leere nach der Erschöpfung aller historischen Stile erzeugte
die vernichtende Kritik an der Zeit und die Setzung eines tieferen Lebenswillens,
als sie die Verbindung von leerer Begrifflichkeit mit utilitarischer Technik gab,
in einer neuen Generation eine Sehnsucht nach eigenen lebendigen Wirklichkeiten,
und in der Baukunst suchen wieder künstlerische Kräfte einen formalen Ausdruck
für ihr neues Lebensgefühl: der Raum als rhythmisches Gebild wird einigen
wenigen wieder Ziel der Gestaltung!

Damit mußte notwendig zugleich der Gedanke eines neuen Gartens geboren
werden, und das Geschehnis selbst drückt deutlich die Unzertrennlichkeit der Grund¬
zusammenhänge aus. Dieser Anfang gibt wenigstens eine wenn auch kleine Hoffnung
auf die wirkliche Bildung eines neuen Gartens; denn jetzt ist noch alles "Frage",
ein Terminus, der ja hier, wie auf fast allen Gebieten des Lebens, Zustand und
Charakter dieser Zeit verrät.

Die Künstler selbst sind zunächst seit einigen Jahrzehnten wieder an die
Untersuchung der natürlichen und künstlerischen Bedingtheiten gegangen. Man
hat wieder Anknüpfung an das alte Erbe gesucht, ohne in die Nachahmung des
Historischen zu fallen, hat die Irrwege des neunzehnten Jahrhunderts aufgezeigt,
ohne zu verachten, was es durch die botanische Wissenschaft oder gärtnerische
Praxis für die stofflichen Grundelemente gewonnen hat.

Dinge, die einer Zeit lebendigen künstlerischen Wachstums selbstverständlich
sind, drängen sich als Probleme auf und erfordern vielleicht die geistige Arbeit
mehrerer Generationen, ehe sie wieder als Selbstverständlichkeiten im Blute ruhen.

Das Verhältnis des Gartens zur Wohnung ist das erste und ursprüngliche,
wie wir sahen, und kann nur durch eine neue künstlerische Raumgestaltung gelöst
werden, die beide in einem rhythmischen Ganzen bindet. Jedes einzelne von
ihnen aber hat wieder seine besondere, von seinen Stoffen und Teilen abhängige
Raumeinheit. Denn auch der Garten hat es nicht nur mit der geraden oder
krummen Linie, sondern mit der geraden und krummen Linie, nicht nach dem
Irrtum der malerischen Theorie allein mit der horizontalen Fläche im Gegensatz
zur vertikalen, die allein der Baukunst eigen sei, zu tun, sondern mit der hori¬
zontalen und vertikalen Fläche, das heißt: mit dem begrenzten Raum!


Die neue Gartenkunst

Aus der Zusammenhanglosigkeit von Haus und Garten entstand auch die
sogenannte gärtnerische Anlage, die zunächst als ein wilder Schößling an un¬
bebauten Straßenecken und -kreuzungen — oft als Lockung von Bauspekulanten
unter dem Schein der Volkshygiene — aufwuchs, dadurch von vornherein die
Bildung neuer guter Stadtplätze verhinderte und dann weiterwuchernd auch die
ruhige, offene Schönheit der alten Stadtplätze durch ihr Buschwerk vernichtete.

Aber erst nach dein völligen Bankerott merkte man, daß überhaupt kein
Garten mehr da sei, daß auch keine Gartenkünstler mehr da seien und daß
einem gelernten Gärtner die Anlage eines Gartens übertragen heute so viel
hieß, als dem Maurer und Hauswart den Entwurf und Aufbau eines Hauses
zumuten.

In der völligen Leere nach der Erschöpfung aller historischen Stile erzeugte
die vernichtende Kritik an der Zeit und die Setzung eines tieferen Lebenswillens,
als sie die Verbindung von leerer Begrifflichkeit mit utilitarischer Technik gab,
in einer neuen Generation eine Sehnsucht nach eigenen lebendigen Wirklichkeiten,
und in der Baukunst suchen wieder künstlerische Kräfte einen formalen Ausdruck
für ihr neues Lebensgefühl: der Raum als rhythmisches Gebild wird einigen
wenigen wieder Ziel der Gestaltung!

Damit mußte notwendig zugleich der Gedanke eines neuen Gartens geboren
werden, und das Geschehnis selbst drückt deutlich die Unzertrennlichkeit der Grund¬
zusammenhänge aus. Dieser Anfang gibt wenigstens eine wenn auch kleine Hoffnung
auf die wirkliche Bildung eines neuen Gartens; denn jetzt ist noch alles „Frage",
ein Terminus, der ja hier, wie auf fast allen Gebieten des Lebens, Zustand und
Charakter dieser Zeit verrät.

Die Künstler selbst sind zunächst seit einigen Jahrzehnten wieder an die
Untersuchung der natürlichen und künstlerischen Bedingtheiten gegangen. Man
hat wieder Anknüpfung an das alte Erbe gesucht, ohne in die Nachahmung des
Historischen zu fallen, hat die Irrwege des neunzehnten Jahrhunderts aufgezeigt,
ohne zu verachten, was es durch die botanische Wissenschaft oder gärtnerische
Praxis für die stofflichen Grundelemente gewonnen hat.

Dinge, die einer Zeit lebendigen künstlerischen Wachstums selbstverständlich
sind, drängen sich als Probleme auf und erfordern vielleicht die geistige Arbeit
mehrerer Generationen, ehe sie wieder als Selbstverständlichkeiten im Blute ruhen.

Das Verhältnis des Gartens zur Wohnung ist das erste und ursprüngliche,
wie wir sahen, und kann nur durch eine neue künstlerische Raumgestaltung gelöst
werden, die beide in einem rhythmischen Ganzen bindet. Jedes einzelne von
ihnen aber hat wieder seine besondere, von seinen Stoffen und Teilen abhängige
Raumeinheit. Denn auch der Garten hat es nicht nur mit der geraden oder
krummen Linie, sondern mit der geraden und krummen Linie, nicht nach dem
Irrtum der malerischen Theorie allein mit der horizontalen Fläche im Gegensatz
zur vertikalen, die allein der Baukunst eigen sei, zu tun, sondern mit der hori¬
zontalen und vertikalen Fläche, das heißt: mit dem begrenzten Raum!


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[0168] Die neue Gartenkunst Aus der Zusammenhanglosigkeit von Haus und Garten entstand auch die sogenannte gärtnerische Anlage, die zunächst als ein wilder Schößling an un¬ bebauten Straßenecken und -kreuzungen — oft als Lockung von Bauspekulanten unter dem Schein der Volkshygiene — aufwuchs, dadurch von vornherein die Bildung neuer guter Stadtplätze verhinderte und dann weiterwuchernd auch die ruhige, offene Schönheit der alten Stadtplätze durch ihr Buschwerk vernichtete. Aber erst nach dein völligen Bankerott merkte man, daß überhaupt kein Garten mehr da sei, daß auch keine Gartenkünstler mehr da seien und daß einem gelernten Gärtner die Anlage eines Gartens übertragen heute so viel hieß, als dem Maurer und Hauswart den Entwurf und Aufbau eines Hauses zumuten. In der völligen Leere nach der Erschöpfung aller historischen Stile erzeugte die vernichtende Kritik an der Zeit und die Setzung eines tieferen Lebenswillens, als sie die Verbindung von leerer Begrifflichkeit mit utilitarischer Technik gab, in einer neuen Generation eine Sehnsucht nach eigenen lebendigen Wirklichkeiten, und in der Baukunst suchen wieder künstlerische Kräfte einen formalen Ausdruck für ihr neues Lebensgefühl: der Raum als rhythmisches Gebild wird einigen wenigen wieder Ziel der Gestaltung! Damit mußte notwendig zugleich der Gedanke eines neuen Gartens geboren werden, und das Geschehnis selbst drückt deutlich die Unzertrennlichkeit der Grund¬ zusammenhänge aus. Dieser Anfang gibt wenigstens eine wenn auch kleine Hoffnung auf die wirkliche Bildung eines neuen Gartens; denn jetzt ist noch alles „Frage", ein Terminus, der ja hier, wie auf fast allen Gebieten des Lebens, Zustand und Charakter dieser Zeit verrät. Die Künstler selbst sind zunächst seit einigen Jahrzehnten wieder an die Untersuchung der natürlichen und künstlerischen Bedingtheiten gegangen. Man hat wieder Anknüpfung an das alte Erbe gesucht, ohne in die Nachahmung des Historischen zu fallen, hat die Irrwege des neunzehnten Jahrhunderts aufgezeigt, ohne zu verachten, was es durch die botanische Wissenschaft oder gärtnerische Praxis für die stofflichen Grundelemente gewonnen hat. Dinge, die einer Zeit lebendigen künstlerischen Wachstums selbstverständlich sind, drängen sich als Probleme auf und erfordern vielleicht die geistige Arbeit mehrerer Generationen, ehe sie wieder als Selbstverständlichkeiten im Blute ruhen. Das Verhältnis des Gartens zur Wohnung ist das erste und ursprüngliche, wie wir sahen, und kann nur durch eine neue künstlerische Raumgestaltung gelöst werden, die beide in einem rhythmischen Ganzen bindet. Jedes einzelne von ihnen aber hat wieder seine besondere, von seinen Stoffen und Teilen abhängige Raumeinheit. Denn auch der Garten hat es nicht nur mit der geraden oder krummen Linie, sondern mit der geraden und krummen Linie, nicht nach dem Irrtum der malerischen Theorie allein mit der horizontalen Fläche im Gegensatz zur vertikalen, die allein der Baukunst eigen sei, zu tun, sondern mit der hori¬ zontalen und vertikalen Fläche, das heißt: mit dem begrenzten Raum!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/168>, abgerufen am 29.06.2024.