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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

Wer in dieser Forderung eine allzu große Vergewaltigung der Natur erblickt,
dem sei zunächst geantwortet, daß ein menschliches Werk allein der Natur des
menschlichen Geistes zu entsprechen hat und nicht irgendeiner örtlichen Zufälligkeit,
für die jeder nach seiner Weise den Namen der Natur mißbraucht; und weiter:
wer wirklich den Blick für das Wesen der Pflanzenwelt offen hat, kann bald
erkennen, daß auch der Wald unserer Ebenen und Berge nicht den unregel¬
mäßigen und geschlängelten Abschluß liebt, sondern ein Streben nach festbegrenzter
Abdachung hat, das in der Natur der Bäume durch die jedem Forstmann
bekannte Abwölbung der Kronen nach oben und nach der offenen Seite bedingt
ist. Der lebendige Organismus des Waldes kommt bei der Gruppenwirkung
des symmetrischen, räumebildenden Gartens stärker zur Geltung als bei dem
wellenlinigen Buschwerk des englischen Gartens, und es ist Le Untre, der durch
den starken Gegensatz von flachem Parterre und mächtigen Kronengruppen bisher
die stärkste Waldwirkuug erzielt hat. Wir wollen damit nicht der Nachahmung
des Barockgartens das Wort sprechen, sondern nur an den grundsätzlichen
Forderungen die Ziele der neuen Gartenkunst klarer kennzeichnen.

Diese Forderungen sind vorläufig noch notwendig allgemeiner Natur, wie
wir im folgenden erläutern werden, und zielen also nach unserem ersten Prinzip
zunächst alle auf die räumliche Gestaltung der Grundstoffe des Gartens, also
des Rasens, des Wassers, der Blume, des Baumes in der sicher umgrenzten
Wiese, dem regelmäßigen Weiher, Brunnen oder Lauf, den streng gezeichneten
Beeten oder Schmuckstreifen, dem geschlossenen Hain oder dem festumhegten Laub¬
und Baumgang (Allee), und in allen möglichen Abwandlungen und Verbindungen
unter sich und mit den Werken der Plastik und Architektur.

Der Gartenkünstler müßte also eine große Erfahrung auf den verschiedensten
Stoffgebieten und vor allem in der pflanzlichen Welt nicht allein ein Wissen um die
gegenwärtige Verwendung der Pflanzen haben, sondern auch um ihre zukünftigen
Entwicklungsmöglichkeiten im Einzelstand und im Schluß, damit das harmonische
Gleichgewicht aller Teile auch mit der Entfaltung des Wachstums stabil bleibt.

Das zweite wesentliche Problem der neuen Gartenkunst liegt im Verhältnis
des Gartens zu der ihn tragenden Landschaft begriffen; ihre Bodenbeschaffenheit,
ihr Klima, ihre Pflanzenwelt werden immer bestimmte Grenzen der gärtnerischen
Gestaltung bedingen, die Formation des Bodens wird vom Künstler in jedem
einzelnen Falle eine besondere Lösung erheischen; je stärker sein Formprinzip ist,
um so größer wird der Zwang sein, den er darauf ausübt, aber immer wird
sein Werk eine aus dem besonderen Wesen der Landschaft gewonnene Einheit
darstellen. Dies offenbart sich noch deutlicher an den botanischen Zusammen¬
hängen, und wenn mau heute einem "landschaftlichen" Garten in dem Sinne
das Wort redet, daß der Garten die wesentlichen stofflichen Grundelemente mit
der umgebenden Landschaft gemein haben soll, so ist damit der Begriff auf
seinen rechten und guten Inhalt zurückgeführt. Der pflanzliche Charakter beider
kann freilich nur im Ursprung gleicher Art sein, und der Garten ist nicht aus-


Die neue Gartenkunst

Wer in dieser Forderung eine allzu große Vergewaltigung der Natur erblickt,
dem sei zunächst geantwortet, daß ein menschliches Werk allein der Natur des
menschlichen Geistes zu entsprechen hat und nicht irgendeiner örtlichen Zufälligkeit,
für die jeder nach seiner Weise den Namen der Natur mißbraucht; und weiter:
wer wirklich den Blick für das Wesen der Pflanzenwelt offen hat, kann bald
erkennen, daß auch der Wald unserer Ebenen und Berge nicht den unregel¬
mäßigen und geschlängelten Abschluß liebt, sondern ein Streben nach festbegrenzter
Abdachung hat, das in der Natur der Bäume durch die jedem Forstmann
bekannte Abwölbung der Kronen nach oben und nach der offenen Seite bedingt
ist. Der lebendige Organismus des Waldes kommt bei der Gruppenwirkung
des symmetrischen, räumebildenden Gartens stärker zur Geltung als bei dem
wellenlinigen Buschwerk des englischen Gartens, und es ist Le Untre, der durch
den starken Gegensatz von flachem Parterre und mächtigen Kronengruppen bisher
die stärkste Waldwirkuug erzielt hat. Wir wollen damit nicht der Nachahmung
des Barockgartens das Wort sprechen, sondern nur an den grundsätzlichen
Forderungen die Ziele der neuen Gartenkunst klarer kennzeichnen.

Diese Forderungen sind vorläufig noch notwendig allgemeiner Natur, wie
wir im folgenden erläutern werden, und zielen also nach unserem ersten Prinzip
zunächst alle auf die räumliche Gestaltung der Grundstoffe des Gartens, also
des Rasens, des Wassers, der Blume, des Baumes in der sicher umgrenzten
Wiese, dem regelmäßigen Weiher, Brunnen oder Lauf, den streng gezeichneten
Beeten oder Schmuckstreifen, dem geschlossenen Hain oder dem festumhegten Laub¬
und Baumgang (Allee), und in allen möglichen Abwandlungen und Verbindungen
unter sich und mit den Werken der Plastik und Architektur.

Der Gartenkünstler müßte also eine große Erfahrung auf den verschiedensten
Stoffgebieten und vor allem in der pflanzlichen Welt nicht allein ein Wissen um die
gegenwärtige Verwendung der Pflanzen haben, sondern auch um ihre zukünftigen
Entwicklungsmöglichkeiten im Einzelstand und im Schluß, damit das harmonische
Gleichgewicht aller Teile auch mit der Entfaltung des Wachstums stabil bleibt.

Das zweite wesentliche Problem der neuen Gartenkunst liegt im Verhältnis
des Gartens zu der ihn tragenden Landschaft begriffen; ihre Bodenbeschaffenheit,
ihr Klima, ihre Pflanzenwelt werden immer bestimmte Grenzen der gärtnerischen
Gestaltung bedingen, die Formation des Bodens wird vom Künstler in jedem
einzelnen Falle eine besondere Lösung erheischen; je stärker sein Formprinzip ist,
um so größer wird der Zwang sein, den er darauf ausübt, aber immer wird
sein Werk eine aus dem besonderen Wesen der Landschaft gewonnene Einheit
darstellen. Dies offenbart sich noch deutlicher an den botanischen Zusammen¬
hängen, und wenn mau heute einem „landschaftlichen" Garten in dem Sinne
das Wort redet, daß der Garten die wesentlichen stofflichen Grundelemente mit
der umgebenden Landschaft gemein haben soll, so ist damit der Begriff auf
seinen rechten und guten Inhalt zurückgeführt. Der pflanzliche Charakter beider
kann freilich nur im Ursprung gleicher Art sein, und der Garten ist nicht aus-


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[0169] Die neue Gartenkunst Wer in dieser Forderung eine allzu große Vergewaltigung der Natur erblickt, dem sei zunächst geantwortet, daß ein menschliches Werk allein der Natur des menschlichen Geistes zu entsprechen hat und nicht irgendeiner örtlichen Zufälligkeit, für die jeder nach seiner Weise den Namen der Natur mißbraucht; und weiter: wer wirklich den Blick für das Wesen der Pflanzenwelt offen hat, kann bald erkennen, daß auch der Wald unserer Ebenen und Berge nicht den unregel¬ mäßigen und geschlängelten Abschluß liebt, sondern ein Streben nach festbegrenzter Abdachung hat, das in der Natur der Bäume durch die jedem Forstmann bekannte Abwölbung der Kronen nach oben und nach der offenen Seite bedingt ist. Der lebendige Organismus des Waldes kommt bei der Gruppenwirkung des symmetrischen, räumebildenden Gartens stärker zur Geltung als bei dem wellenlinigen Buschwerk des englischen Gartens, und es ist Le Untre, der durch den starken Gegensatz von flachem Parterre und mächtigen Kronengruppen bisher die stärkste Waldwirkuug erzielt hat. Wir wollen damit nicht der Nachahmung des Barockgartens das Wort sprechen, sondern nur an den grundsätzlichen Forderungen die Ziele der neuen Gartenkunst klarer kennzeichnen. Diese Forderungen sind vorläufig noch notwendig allgemeiner Natur, wie wir im folgenden erläutern werden, und zielen also nach unserem ersten Prinzip zunächst alle auf die räumliche Gestaltung der Grundstoffe des Gartens, also des Rasens, des Wassers, der Blume, des Baumes in der sicher umgrenzten Wiese, dem regelmäßigen Weiher, Brunnen oder Lauf, den streng gezeichneten Beeten oder Schmuckstreifen, dem geschlossenen Hain oder dem festumhegten Laub¬ und Baumgang (Allee), und in allen möglichen Abwandlungen und Verbindungen unter sich und mit den Werken der Plastik und Architektur. Der Gartenkünstler müßte also eine große Erfahrung auf den verschiedensten Stoffgebieten und vor allem in der pflanzlichen Welt nicht allein ein Wissen um die gegenwärtige Verwendung der Pflanzen haben, sondern auch um ihre zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten im Einzelstand und im Schluß, damit das harmonische Gleichgewicht aller Teile auch mit der Entfaltung des Wachstums stabil bleibt. Das zweite wesentliche Problem der neuen Gartenkunst liegt im Verhältnis des Gartens zu der ihn tragenden Landschaft begriffen; ihre Bodenbeschaffenheit, ihr Klima, ihre Pflanzenwelt werden immer bestimmte Grenzen der gärtnerischen Gestaltung bedingen, die Formation des Bodens wird vom Künstler in jedem einzelnen Falle eine besondere Lösung erheischen; je stärker sein Formprinzip ist, um so größer wird der Zwang sein, den er darauf ausübt, aber immer wird sein Werk eine aus dem besonderen Wesen der Landschaft gewonnene Einheit darstellen. Dies offenbart sich noch deutlicher an den botanischen Zusammen¬ hängen, und wenn mau heute einem „landschaftlichen" Garten in dem Sinne das Wort redet, daß der Garten die wesentlichen stofflichen Grundelemente mit der umgebenden Landschaft gemein haben soll, so ist damit der Begriff auf seinen rechten und guten Inhalt zurückgeführt. Der pflanzliche Charakter beider kann freilich nur im Ursprung gleicher Art sein, und der Garten ist nicht aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/169>, abgerufen am 01.07.2024.