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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

des Gartens, aber nirgends ihre einheitliche Bindung durch ein formales Prinzip,
und verlieren bald nicht allein an den Grenzen, wo die "Wildnis" beginnt,
sondern auch inmitten des Parkes das Gefühl, vor einer gewollten Schöpfung
des menschlichen Geistes zu stehen.

In der Tat vermochte auch die Säuberung des landschaftlichen Parkes von
allein szenarischen und architektonischen Beiwerk den Untergang des Gartens nicht
aufzuhalten. Nachdem feine Grundlage einmal zerstört war, verlor sich auch bald
die Liebe zu ihm; nachdem er aus seiner ihm notwendigen Bindung mit dem
Hause gelöst war, fand er auch keine Künstler mehr, die sich seiner Gestaltung
mit leidenschaftlichem Eifer angenommen hätten. Ja, was schlimmer war, auch
die belebende Begeisterung der Gartenliebhaber schwand seit der Mitte des neun¬
zehnten Jahrhunderts, wenigstens auf dem Kontinent, immer mehr, und die
Pflege des Gartens wurde völlig der kalten Sachlichkeit des Fachmanns über¬
lassen, der in staatlichen Gärtnerschulen den "englischen Gartenstil" gelernt hatte,
der in keinen: Zusammenhang mehr mit den anderen Künsten, vor allem der
Baukunst und Plastik, stand und der immer mehr an die Stelle einer künstlerischen
Gestaltungskraft ein technisches Wissen setzte").

Freilich folgte er damit ganz den Tendenzen seiner Zeit, die immer rück¬
sichtsloser die Lebenskräfte zersplitterte und sie durch Begriffe zu ersetzen suchte;
und was hätte der Gartenkunst der Zusammenhang mit einer Baukunst geholfen,
die immer mehr zu einer historischen Wissenschaft und einer ntilitarisch an¬
gewandten Technik herabsank. Die Verderbnis beider Künste zeitigte dann jenen
furchtbaren Villenstil, der nur durch Scheußlichkeit und Unverstand alle bisherigen
Zeiten übertraf. Das Haus wurde aus der ebenen Fläche gehoben und auch
nicht etwa, wie es die Berg- oder Hügellandschaft erfordert, an einen Hang
gelehnt, sondern um der erlernten "Naturlandschaft" willen auf eine völlig
unnatürliche Erdanhäufung gesetzt; das umgebende Gartenland, selbst wenn es
nur ein achtet Morgen groß war, wurde in Berg und Tal verwandelt, die
Wege in krampfhaften Verschlingungen -- um Größe und Natürlichkeit vorzu¬
täuschen -- um unschöne Gebüsche geschlungen, ein Teich an einem willkürlichen
Fleck -- uni eine landschaftliche Zufälligkeit vorzulügen -- mit ausgefransten
"natürlichen Ufern" angelegt, so daß er meist einer geplatzten Zementwurst
ähnlicher sah als einem Wasserbecken; die ruhige Wiese wurde in lächerliche
Abhänge umgewandelt, von denen die Blumenbeete, die manchmal allein noch
eine unüberwindlich strenge Form aus dem jahrtausendalteu Erbe hinüberretteten,
fast hinabzurutschen drohten; und um den Horror vollkommen zu machen, befleckte
man das heilige Grün des Rasens mit einem Geschmeiß von eklen "niedlichen"
Figuren, aus denen nur die greulichste aller Geschmacksverirrungen noch immer
"Natur" zu lesen vermag.



") Vgl. dazu S. 21 u. S8 ff. der "Park- und Gartenstudien" von A. Lichtwnrk (Berlin,
Bruno Cassirers Verlag, 1909), einem Buche, dem wir für das Folgende manche An¬
regungen danken.
Die neue Gartenkunst

des Gartens, aber nirgends ihre einheitliche Bindung durch ein formales Prinzip,
und verlieren bald nicht allein an den Grenzen, wo die „Wildnis" beginnt,
sondern auch inmitten des Parkes das Gefühl, vor einer gewollten Schöpfung
des menschlichen Geistes zu stehen.

In der Tat vermochte auch die Säuberung des landschaftlichen Parkes von
allein szenarischen und architektonischen Beiwerk den Untergang des Gartens nicht
aufzuhalten. Nachdem feine Grundlage einmal zerstört war, verlor sich auch bald
die Liebe zu ihm; nachdem er aus seiner ihm notwendigen Bindung mit dem
Hause gelöst war, fand er auch keine Künstler mehr, die sich seiner Gestaltung
mit leidenschaftlichem Eifer angenommen hätten. Ja, was schlimmer war, auch
die belebende Begeisterung der Gartenliebhaber schwand seit der Mitte des neun¬
zehnten Jahrhunderts, wenigstens auf dem Kontinent, immer mehr, und die
Pflege des Gartens wurde völlig der kalten Sachlichkeit des Fachmanns über¬
lassen, der in staatlichen Gärtnerschulen den „englischen Gartenstil" gelernt hatte,
der in keinen: Zusammenhang mehr mit den anderen Künsten, vor allem der
Baukunst und Plastik, stand und der immer mehr an die Stelle einer künstlerischen
Gestaltungskraft ein technisches Wissen setzte").

Freilich folgte er damit ganz den Tendenzen seiner Zeit, die immer rück¬
sichtsloser die Lebenskräfte zersplitterte und sie durch Begriffe zu ersetzen suchte;
und was hätte der Gartenkunst der Zusammenhang mit einer Baukunst geholfen,
die immer mehr zu einer historischen Wissenschaft und einer ntilitarisch an¬
gewandten Technik herabsank. Die Verderbnis beider Künste zeitigte dann jenen
furchtbaren Villenstil, der nur durch Scheußlichkeit und Unverstand alle bisherigen
Zeiten übertraf. Das Haus wurde aus der ebenen Fläche gehoben und auch
nicht etwa, wie es die Berg- oder Hügellandschaft erfordert, an einen Hang
gelehnt, sondern um der erlernten „Naturlandschaft" willen auf eine völlig
unnatürliche Erdanhäufung gesetzt; das umgebende Gartenland, selbst wenn es
nur ein achtet Morgen groß war, wurde in Berg und Tal verwandelt, die
Wege in krampfhaften Verschlingungen — um Größe und Natürlichkeit vorzu¬
täuschen — um unschöne Gebüsche geschlungen, ein Teich an einem willkürlichen
Fleck — uni eine landschaftliche Zufälligkeit vorzulügen — mit ausgefransten
„natürlichen Ufern" angelegt, so daß er meist einer geplatzten Zementwurst
ähnlicher sah als einem Wasserbecken; die ruhige Wiese wurde in lächerliche
Abhänge umgewandelt, von denen die Blumenbeete, die manchmal allein noch
eine unüberwindlich strenge Form aus dem jahrtausendalteu Erbe hinüberretteten,
fast hinabzurutschen drohten; und um den Horror vollkommen zu machen, befleckte
man das heilige Grün des Rasens mit einem Geschmeiß von eklen „niedlichen"
Figuren, aus denen nur die greulichste aller Geschmacksverirrungen noch immer
„Natur" zu lesen vermag.



") Vgl. dazu S. 21 u. S8 ff. der „Park- und Gartenstudien" von A. Lichtwnrk (Berlin,
Bruno Cassirers Verlag, 1909), einem Buche, dem wir für das Folgende manche An¬
regungen danken.
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[0167] Die neue Gartenkunst des Gartens, aber nirgends ihre einheitliche Bindung durch ein formales Prinzip, und verlieren bald nicht allein an den Grenzen, wo die „Wildnis" beginnt, sondern auch inmitten des Parkes das Gefühl, vor einer gewollten Schöpfung des menschlichen Geistes zu stehen. In der Tat vermochte auch die Säuberung des landschaftlichen Parkes von allein szenarischen und architektonischen Beiwerk den Untergang des Gartens nicht aufzuhalten. Nachdem feine Grundlage einmal zerstört war, verlor sich auch bald die Liebe zu ihm; nachdem er aus seiner ihm notwendigen Bindung mit dem Hause gelöst war, fand er auch keine Künstler mehr, die sich seiner Gestaltung mit leidenschaftlichem Eifer angenommen hätten. Ja, was schlimmer war, auch die belebende Begeisterung der Gartenliebhaber schwand seit der Mitte des neun¬ zehnten Jahrhunderts, wenigstens auf dem Kontinent, immer mehr, und die Pflege des Gartens wurde völlig der kalten Sachlichkeit des Fachmanns über¬ lassen, der in staatlichen Gärtnerschulen den „englischen Gartenstil" gelernt hatte, der in keinen: Zusammenhang mehr mit den anderen Künsten, vor allem der Baukunst und Plastik, stand und der immer mehr an die Stelle einer künstlerischen Gestaltungskraft ein technisches Wissen setzte"). Freilich folgte er damit ganz den Tendenzen seiner Zeit, die immer rück¬ sichtsloser die Lebenskräfte zersplitterte und sie durch Begriffe zu ersetzen suchte; und was hätte der Gartenkunst der Zusammenhang mit einer Baukunst geholfen, die immer mehr zu einer historischen Wissenschaft und einer ntilitarisch an¬ gewandten Technik herabsank. Die Verderbnis beider Künste zeitigte dann jenen furchtbaren Villenstil, der nur durch Scheußlichkeit und Unverstand alle bisherigen Zeiten übertraf. Das Haus wurde aus der ebenen Fläche gehoben und auch nicht etwa, wie es die Berg- oder Hügellandschaft erfordert, an einen Hang gelehnt, sondern um der erlernten „Naturlandschaft" willen auf eine völlig unnatürliche Erdanhäufung gesetzt; das umgebende Gartenland, selbst wenn es nur ein achtet Morgen groß war, wurde in Berg und Tal verwandelt, die Wege in krampfhaften Verschlingungen — um Größe und Natürlichkeit vorzu¬ täuschen — um unschöne Gebüsche geschlungen, ein Teich an einem willkürlichen Fleck — uni eine landschaftliche Zufälligkeit vorzulügen — mit ausgefransten „natürlichen Ufern" angelegt, so daß er meist einer geplatzten Zementwurst ähnlicher sah als einem Wasserbecken; die ruhige Wiese wurde in lächerliche Abhänge umgewandelt, von denen die Blumenbeete, die manchmal allein noch eine unüberwindlich strenge Form aus dem jahrtausendalteu Erbe hinüberretteten, fast hinabzurutschen drohten; und um den Horror vollkommen zu machen, befleckte man das heilige Grün des Rasens mit einem Geschmeiß von eklen „niedlichen" Figuren, aus denen nur die greulichste aller Geschmacksverirrungen noch immer „Natur" zu lesen vermag. ") Vgl. dazu S. 21 u. S8 ff. der „Park- und Gartenstudien" von A. Lichtwnrk (Berlin, Bruno Cassirers Verlag, 1909), einem Buche, dem wir für das Folgende manche An¬ regungen danken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/167>, abgerufen am 26.06.2024.