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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Liologio und Politik

führen läßt, ist nicht wesentlich. Biologisch entscheidend ist nur die Verhinderung
der Fortpflanzung. Diese Verhinderung wenigstens statt der bloßen Erschwerung
durch die gesellschaftliche Achtung und das gerichtliche Verfahren müßten wir
durchzuhalten suchen. Die Überkultur mit ihrer Übertreibung des Humanitäts¬
begriffs hat uns da in falsche Bahnen gedrängt. Torinsk zugleich und anmaßend
ist es, wenn mit der juristischen Theorie der "Sühne" der Mensch sich zum
Hüter der göttlichen Weltordnung aufwirft. Praktischen Sinn hat nur die Theorie
der Abschreckung und die der Unschädlichmachung für die Gesamtheit. Wichtiger
aber als diese Sicherung vor weiteren Taten des einzelnen Verbrechers und
biologisch entscheidend ist allein die Verhinderung der Fortpflanzung seiner
Anlagen, die "erbliche Entlastung" des Volkes, wie Driesmanns sagt. Und
wenn ein Staat von Nordamerika für schwere Sittlichkeitsverbrechen Entmannung
statt Zuchthaus eingeführt hat, so gibt er damit nicht nur ein Beispiel praktischer
Durchführung biologischer Erkenntnis, sondern handelt "human" zugleich auch
gegen den Verbrecher. Wir dagegen glauben biologisch zu handeln, wenn wir
den Verbrecher für moralisch minderwertig oder entartet erklären und in Wider¬
spruch damit ihn nach einiger Zeit der Beobachtung als "geheilt" wieder
auf die Menschheit loslassen und ihn seine Anlagen fortpflanzen lassen. Im
Naturleben, das uns als Lehre dienen muß, entscheidet immer nur das Wohl
der Art, und das Individuum hat nur Wert als Träger oder mindestens
Förderer artgemäßer Vererbungstendenzen.

Diese negative Auslese, die Säuberung des Volkstums von direkt schäd¬
lichen Rasseanlagen, ist der eigentliche Kernpunkt der "Rassenhygiene". Sie
wird ergänzt durch die Erschwerung der Lebenshaltung und damit der Fort¬
pflanzung für die Untüchtigen. Diese natürliche Auslesewirkung der Gesellschafts¬
ordnung wird durchkreuzt durch die "humane" Fürsorge für das Verkommende,
das wir sorgfältiger zu erhalten bemüht sind als das rassenhaft Taugliche.
Krankhafte Anlagen von der Fortpflanzung oder wenigstens von der legalen
Fortpflanzung in der Ehe auszuschließen wäre biologische Politik. Aber es gibt
auch naturunkundige Schwärmer, die von "Höherzüchtung" der Rasse träumen.
Wir kennen noch nicht die Wege der Natur, wenn sie neue Rassen und Arten
schafft, jedenfalls sind sie dem Bereich menschlichen Könnens, ja nur menschlicher
Beeinflussung entrückt. Wenn wir bei unseren Haustieren von "Nasse" reden,
so ist das etwas anderes als eine Naturrasse. Es ist kein Schaffen von neuen
Eigenschaften, sondern ein Herausholen und Häufen einzelner schon vorhandener
Keimanlagen ohne Änderung der Grundlage, des Geblüts. Ein Hund würde
bei noch so guter Verkleidung und Anmalung einen Neger sofort von einem
Weißen durch den Geruch unterscheiden, mit derselben Sicherheit, wie er einen
viel fremdartiger gestalteten Hund einer anderen Nasse, dem er zum erstenmal
in seinein Leben begegnet, sofort als seinesgleichen erkennt und anerkennt. Jenes
Herausheben einzelner Keimanlagen bedingt aber eine Störung der Harmonie,
die zu einer Beeinträchtigung der Lebensfähigkeit führt. In das Naturleben


Liologio und Politik

führen läßt, ist nicht wesentlich. Biologisch entscheidend ist nur die Verhinderung
der Fortpflanzung. Diese Verhinderung wenigstens statt der bloßen Erschwerung
durch die gesellschaftliche Achtung und das gerichtliche Verfahren müßten wir
durchzuhalten suchen. Die Überkultur mit ihrer Übertreibung des Humanitäts¬
begriffs hat uns da in falsche Bahnen gedrängt. Torinsk zugleich und anmaßend
ist es, wenn mit der juristischen Theorie der „Sühne" der Mensch sich zum
Hüter der göttlichen Weltordnung aufwirft. Praktischen Sinn hat nur die Theorie
der Abschreckung und die der Unschädlichmachung für die Gesamtheit. Wichtiger
aber als diese Sicherung vor weiteren Taten des einzelnen Verbrechers und
biologisch entscheidend ist allein die Verhinderung der Fortpflanzung seiner
Anlagen, die „erbliche Entlastung" des Volkes, wie Driesmanns sagt. Und
wenn ein Staat von Nordamerika für schwere Sittlichkeitsverbrechen Entmannung
statt Zuchthaus eingeführt hat, so gibt er damit nicht nur ein Beispiel praktischer
Durchführung biologischer Erkenntnis, sondern handelt „human" zugleich auch
gegen den Verbrecher. Wir dagegen glauben biologisch zu handeln, wenn wir
den Verbrecher für moralisch minderwertig oder entartet erklären und in Wider¬
spruch damit ihn nach einiger Zeit der Beobachtung als „geheilt" wieder
auf die Menschheit loslassen und ihn seine Anlagen fortpflanzen lassen. Im
Naturleben, das uns als Lehre dienen muß, entscheidet immer nur das Wohl
der Art, und das Individuum hat nur Wert als Träger oder mindestens
Förderer artgemäßer Vererbungstendenzen.

Diese negative Auslese, die Säuberung des Volkstums von direkt schäd¬
lichen Rasseanlagen, ist der eigentliche Kernpunkt der „Rassenhygiene". Sie
wird ergänzt durch die Erschwerung der Lebenshaltung und damit der Fort¬
pflanzung für die Untüchtigen. Diese natürliche Auslesewirkung der Gesellschafts¬
ordnung wird durchkreuzt durch die „humane" Fürsorge für das Verkommende,
das wir sorgfältiger zu erhalten bemüht sind als das rassenhaft Taugliche.
Krankhafte Anlagen von der Fortpflanzung oder wenigstens von der legalen
Fortpflanzung in der Ehe auszuschließen wäre biologische Politik. Aber es gibt
auch naturunkundige Schwärmer, die von „Höherzüchtung" der Rasse träumen.
Wir kennen noch nicht die Wege der Natur, wenn sie neue Rassen und Arten
schafft, jedenfalls sind sie dem Bereich menschlichen Könnens, ja nur menschlicher
Beeinflussung entrückt. Wenn wir bei unseren Haustieren von „Nasse" reden,
so ist das etwas anderes als eine Naturrasse. Es ist kein Schaffen von neuen
Eigenschaften, sondern ein Herausholen und Häufen einzelner schon vorhandener
Keimanlagen ohne Änderung der Grundlage, des Geblüts. Ein Hund würde
bei noch so guter Verkleidung und Anmalung einen Neger sofort von einem
Weißen durch den Geruch unterscheiden, mit derselben Sicherheit, wie er einen
viel fremdartiger gestalteten Hund einer anderen Nasse, dem er zum erstenmal
in seinein Leben begegnet, sofort als seinesgleichen erkennt und anerkennt. Jenes
Herausheben einzelner Keimanlagen bedingt aber eine Störung der Harmonie,
die zu einer Beeinträchtigung der Lebensfähigkeit führt. In das Naturleben


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[0162] Liologio und Politik führen läßt, ist nicht wesentlich. Biologisch entscheidend ist nur die Verhinderung der Fortpflanzung. Diese Verhinderung wenigstens statt der bloßen Erschwerung durch die gesellschaftliche Achtung und das gerichtliche Verfahren müßten wir durchzuhalten suchen. Die Überkultur mit ihrer Übertreibung des Humanitäts¬ begriffs hat uns da in falsche Bahnen gedrängt. Torinsk zugleich und anmaßend ist es, wenn mit der juristischen Theorie der „Sühne" der Mensch sich zum Hüter der göttlichen Weltordnung aufwirft. Praktischen Sinn hat nur die Theorie der Abschreckung und die der Unschädlichmachung für die Gesamtheit. Wichtiger aber als diese Sicherung vor weiteren Taten des einzelnen Verbrechers und biologisch entscheidend ist allein die Verhinderung der Fortpflanzung seiner Anlagen, die „erbliche Entlastung" des Volkes, wie Driesmanns sagt. Und wenn ein Staat von Nordamerika für schwere Sittlichkeitsverbrechen Entmannung statt Zuchthaus eingeführt hat, so gibt er damit nicht nur ein Beispiel praktischer Durchführung biologischer Erkenntnis, sondern handelt „human" zugleich auch gegen den Verbrecher. Wir dagegen glauben biologisch zu handeln, wenn wir den Verbrecher für moralisch minderwertig oder entartet erklären und in Wider¬ spruch damit ihn nach einiger Zeit der Beobachtung als „geheilt" wieder auf die Menschheit loslassen und ihn seine Anlagen fortpflanzen lassen. Im Naturleben, das uns als Lehre dienen muß, entscheidet immer nur das Wohl der Art, und das Individuum hat nur Wert als Träger oder mindestens Förderer artgemäßer Vererbungstendenzen. Diese negative Auslese, die Säuberung des Volkstums von direkt schäd¬ lichen Rasseanlagen, ist der eigentliche Kernpunkt der „Rassenhygiene". Sie wird ergänzt durch die Erschwerung der Lebenshaltung und damit der Fort¬ pflanzung für die Untüchtigen. Diese natürliche Auslesewirkung der Gesellschafts¬ ordnung wird durchkreuzt durch die „humane" Fürsorge für das Verkommende, das wir sorgfältiger zu erhalten bemüht sind als das rassenhaft Taugliche. Krankhafte Anlagen von der Fortpflanzung oder wenigstens von der legalen Fortpflanzung in der Ehe auszuschließen wäre biologische Politik. Aber es gibt auch naturunkundige Schwärmer, die von „Höherzüchtung" der Rasse träumen. Wir kennen noch nicht die Wege der Natur, wenn sie neue Rassen und Arten schafft, jedenfalls sind sie dem Bereich menschlichen Könnens, ja nur menschlicher Beeinflussung entrückt. Wenn wir bei unseren Haustieren von „Nasse" reden, so ist das etwas anderes als eine Naturrasse. Es ist kein Schaffen von neuen Eigenschaften, sondern ein Herausholen und Häufen einzelner schon vorhandener Keimanlagen ohne Änderung der Grundlage, des Geblüts. Ein Hund würde bei noch so guter Verkleidung und Anmalung einen Neger sofort von einem Weißen durch den Geruch unterscheiden, mit derselben Sicherheit, wie er einen viel fremdartiger gestalteten Hund einer anderen Nasse, dem er zum erstenmal in seinein Leben begegnet, sofort als seinesgleichen erkennt und anerkennt. Jenes Herausheben einzelner Keimanlagen bedingt aber eine Störung der Harmonie, die zu einer Beeinträchtigung der Lebensfähigkeit führt. In das Naturleben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/162>, abgerufen am 29.06.2024.