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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Biologie und Politik

zurückversetzt, fallen unsere Züchtungen in die Urform zurück oder sie sterben
aus; ja sogar innerhalb der Kulturbedingungen sind sie von beschränkter Dauer.
Und selbst diese Dauer haben sie nur durch die fortgesetzte positive Auslese der
erwünschten Anlagen zur Nachzucht und Erhaltung unter künstlichen Bedingungen,
während die unerwünschten Formen nicht zur Fortpflanzung zugelassen und
beseitigt oder verbraucht werden. Beim Menschen dagegen führt, wie schon
auseinandergesetzt, gerade die Auslese der Rassetüchtigen für die Kulturzwecke
zum Verbrauch, und das Minderwertige läßt man sich ungehindert vermehren.

Nun sind die hervorragendsten Züchtungsergebnisse von Kulturpflanzen
und Haustieren durch Kreuzung von Naturarten erzielt; man empfiehlt diese
also auch für den Menschen zum Zweck der Höherzüchtung. Es liegt aber in
der Natur der Sache und ist durch unzählige Einzelerfahrungen bestätigt, daß
die Kombination verschiedenartiger Anlagen, weil sie in den Nachkommen nur
selten zu einer gleichförmigen "Mischung" gelangen, sondern zum größten Teil
gesondert vererbt werden, zu einem disharmonischen "Gemenge" von Merkmalen
führt, das die Lebensfähigkeit und Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Träger beein¬
trächtigt. Unzählige solche unbrauchbaren Mischlinge sondert der Züchter aus,
bis er gelegentlich einmal eine ihm zusagende Kreuzung erhalten hat. Diese
ist aber, wenn überhaupt, nur bei weiterer Inzucht und unter sorgfältiger
Hegung lebens- und fortpflanzungsfähig. Beide Tätigkeiten des Züchters würden
beim Menschen naturgemäß fortfallen; was könnte auf diesem Wege also wohl
erreicht werden, selbst wenn wir annehmen, daß wir uns über das Züchtungsideal
verständigten und es durch lange Zeiträume beibehielten! Ja sogar, wenn
dieses Ideal einem bestimmten ehemals reinen Rassebestandteil entspräche und
es gelänge, diese Rasse wieder rein herauszubringen, so würde diese Form unter
den heutigen Lebensbedingungen nicht mehr lebensfähig sein. Es kann sich
also für uns nur darum handeln, die Träger günstiger Rasseeigenschaften in ihrer
Fortpflanzung zu begünstigen, also eine gute Heiratspolitik zu treiben und
ihre Lebensbedingungen zu verbessern, nicht aber gerade umgekehrt die minder¬
wertigen Bestandteile zu hegen und zu fördern und durch Zulassung weiteren
Zuzugs zu vermehren.

Also nicht Höherzüchtung ist das Ziel biologisch verständiger Politik, sondern
Erhaltung und Weiterzüchtung der rassetüchtigen Volksbestandteile. Dazu sind
vor allen Dingen die Frauen nötig. Aber die heutige "Frauenbewegung"
fördert die negative Auslese der Tüchtigen, indem sie die erwerbstätigen
Frauen von der Fortpflanzung fernhält. Das gilt zunächst von den
Frauen, mittelbar aber auch von den Männern. Gewiß zwingt die Notlage
der Umstände dazu, den Frauen mehr Gelegenheit zu selbständiger Betätigung
im Berufsleben zu eröffnen, aber über der Fürsorge für das vergängliche
Individuum dürfen wir nicht die Fürsorge für die dauerfähige Art außer acht
lassen. "Man zerbricht sich den Kopf," sagt E. Hasse ("Deutsche Politik"), um
immer neue Berufe für Frauen zu finden und zu erfinden. Unsere gesamte


Biologie und Politik

zurückversetzt, fallen unsere Züchtungen in die Urform zurück oder sie sterben
aus; ja sogar innerhalb der Kulturbedingungen sind sie von beschränkter Dauer.
Und selbst diese Dauer haben sie nur durch die fortgesetzte positive Auslese der
erwünschten Anlagen zur Nachzucht und Erhaltung unter künstlichen Bedingungen,
während die unerwünschten Formen nicht zur Fortpflanzung zugelassen und
beseitigt oder verbraucht werden. Beim Menschen dagegen führt, wie schon
auseinandergesetzt, gerade die Auslese der Rassetüchtigen für die Kulturzwecke
zum Verbrauch, und das Minderwertige läßt man sich ungehindert vermehren.

Nun sind die hervorragendsten Züchtungsergebnisse von Kulturpflanzen
und Haustieren durch Kreuzung von Naturarten erzielt; man empfiehlt diese
also auch für den Menschen zum Zweck der Höherzüchtung. Es liegt aber in
der Natur der Sache und ist durch unzählige Einzelerfahrungen bestätigt, daß
die Kombination verschiedenartiger Anlagen, weil sie in den Nachkommen nur
selten zu einer gleichförmigen „Mischung" gelangen, sondern zum größten Teil
gesondert vererbt werden, zu einem disharmonischen „Gemenge" von Merkmalen
führt, das die Lebensfähigkeit und Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Träger beein¬
trächtigt. Unzählige solche unbrauchbaren Mischlinge sondert der Züchter aus,
bis er gelegentlich einmal eine ihm zusagende Kreuzung erhalten hat. Diese
ist aber, wenn überhaupt, nur bei weiterer Inzucht und unter sorgfältiger
Hegung lebens- und fortpflanzungsfähig. Beide Tätigkeiten des Züchters würden
beim Menschen naturgemäß fortfallen; was könnte auf diesem Wege also wohl
erreicht werden, selbst wenn wir annehmen, daß wir uns über das Züchtungsideal
verständigten und es durch lange Zeiträume beibehielten! Ja sogar, wenn
dieses Ideal einem bestimmten ehemals reinen Rassebestandteil entspräche und
es gelänge, diese Rasse wieder rein herauszubringen, so würde diese Form unter
den heutigen Lebensbedingungen nicht mehr lebensfähig sein. Es kann sich
also für uns nur darum handeln, die Träger günstiger Rasseeigenschaften in ihrer
Fortpflanzung zu begünstigen, also eine gute Heiratspolitik zu treiben und
ihre Lebensbedingungen zu verbessern, nicht aber gerade umgekehrt die minder¬
wertigen Bestandteile zu hegen und zu fördern und durch Zulassung weiteren
Zuzugs zu vermehren.

Also nicht Höherzüchtung ist das Ziel biologisch verständiger Politik, sondern
Erhaltung und Weiterzüchtung der rassetüchtigen Volksbestandteile. Dazu sind
vor allen Dingen die Frauen nötig. Aber die heutige „Frauenbewegung"
fördert die negative Auslese der Tüchtigen, indem sie die erwerbstätigen
Frauen von der Fortpflanzung fernhält. Das gilt zunächst von den
Frauen, mittelbar aber auch von den Männern. Gewiß zwingt die Notlage
der Umstände dazu, den Frauen mehr Gelegenheit zu selbständiger Betätigung
im Berufsleben zu eröffnen, aber über der Fürsorge für das vergängliche
Individuum dürfen wir nicht die Fürsorge für die dauerfähige Art außer acht
lassen. „Man zerbricht sich den Kopf," sagt E. Hasse („Deutsche Politik"), um
immer neue Berufe für Frauen zu finden und zu erfinden. Unsere gesamte


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[0163] Biologie und Politik zurückversetzt, fallen unsere Züchtungen in die Urform zurück oder sie sterben aus; ja sogar innerhalb der Kulturbedingungen sind sie von beschränkter Dauer. Und selbst diese Dauer haben sie nur durch die fortgesetzte positive Auslese der erwünschten Anlagen zur Nachzucht und Erhaltung unter künstlichen Bedingungen, während die unerwünschten Formen nicht zur Fortpflanzung zugelassen und beseitigt oder verbraucht werden. Beim Menschen dagegen führt, wie schon auseinandergesetzt, gerade die Auslese der Rassetüchtigen für die Kulturzwecke zum Verbrauch, und das Minderwertige läßt man sich ungehindert vermehren. Nun sind die hervorragendsten Züchtungsergebnisse von Kulturpflanzen und Haustieren durch Kreuzung von Naturarten erzielt; man empfiehlt diese also auch für den Menschen zum Zweck der Höherzüchtung. Es liegt aber in der Natur der Sache und ist durch unzählige Einzelerfahrungen bestätigt, daß die Kombination verschiedenartiger Anlagen, weil sie in den Nachkommen nur selten zu einer gleichförmigen „Mischung" gelangen, sondern zum größten Teil gesondert vererbt werden, zu einem disharmonischen „Gemenge" von Merkmalen führt, das die Lebensfähigkeit und Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Träger beein¬ trächtigt. Unzählige solche unbrauchbaren Mischlinge sondert der Züchter aus, bis er gelegentlich einmal eine ihm zusagende Kreuzung erhalten hat. Diese ist aber, wenn überhaupt, nur bei weiterer Inzucht und unter sorgfältiger Hegung lebens- und fortpflanzungsfähig. Beide Tätigkeiten des Züchters würden beim Menschen naturgemäß fortfallen; was könnte auf diesem Wege also wohl erreicht werden, selbst wenn wir annehmen, daß wir uns über das Züchtungsideal verständigten und es durch lange Zeiträume beibehielten! Ja sogar, wenn dieses Ideal einem bestimmten ehemals reinen Rassebestandteil entspräche und es gelänge, diese Rasse wieder rein herauszubringen, so würde diese Form unter den heutigen Lebensbedingungen nicht mehr lebensfähig sein. Es kann sich also für uns nur darum handeln, die Träger günstiger Rasseeigenschaften in ihrer Fortpflanzung zu begünstigen, also eine gute Heiratspolitik zu treiben und ihre Lebensbedingungen zu verbessern, nicht aber gerade umgekehrt die minder¬ wertigen Bestandteile zu hegen und zu fördern und durch Zulassung weiteren Zuzugs zu vermehren. Also nicht Höherzüchtung ist das Ziel biologisch verständiger Politik, sondern Erhaltung und Weiterzüchtung der rassetüchtigen Volksbestandteile. Dazu sind vor allen Dingen die Frauen nötig. Aber die heutige „Frauenbewegung" fördert die negative Auslese der Tüchtigen, indem sie die erwerbstätigen Frauen von der Fortpflanzung fernhält. Das gilt zunächst von den Frauen, mittelbar aber auch von den Männern. Gewiß zwingt die Notlage der Umstände dazu, den Frauen mehr Gelegenheit zu selbständiger Betätigung im Berufsleben zu eröffnen, aber über der Fürsorge für das vergängliche Individuum dürfen wir nicht die Fürsorge für die dauerfähige Art außer acht lassen. „Man zerbricht sich den Kopf," sagt E. Hasse („Deutsche Politik"), um immer neue Berufe für Frauen zu finden und zu erfinden. Unsere gesamte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/163>, abgerufen am 26.06.2024.