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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Parteien aus dem Sattel hebt; unglücklicherweise sind aber alle Parteien gleich¬
mäßig an den Skandalen beteiligt. Außerdem ist der Einfluß der Wiener
Regierung auf die galizische Verwaltung doch sehr beschränkt, sonst wäre es
natürlich nicht allzu schwer, einer der Regierung genehmen Partei den Sieg zu
verschaffen. Aber Baron Bienerth ist gar nicht in der Lage, seinen Willen durch¬
zusetzen, wenn der Statthalter von Galizien, der tatsächlich eine Art Satrapen-
stellung hat, nicht der gleichen Meinung ist. Würde Baron Bienerth einen
anderen der Wiener Regierung gefügigen ernennen, so wäre noch lange nicht
gesagt, daß die Beamtenschaft ihm bedingungslos gehorchen würde. Ob also
die Stellung des Ministeriums sich dadurch verbessern wird, daß die Polen
einheitlicher und für die Regierung lenkbarer ins neue Haus einziehen werden,
ist eine ganz offene Frage.

Aber nehmen wir selbst das an. Das alte Haus ist indes nicht deshalb
aufgelöst worden, weil die Regierung bei einer Abstimmung unterlegen wäre,
sondern weil ein paar Tschechen bei dem auf einen bestimmten Termin gestellten
Budgetprovisorium im Ausschuß obstruierten. Man wird auch bei einer Regierungs¬
mehrheit von zwanzig Stimmen im neuen Hause obstruieren können, trotz der
provisorischen Geschäftsordnung, die vor etwas mehr als einem Jahre angenommen
wurde; und wenn es irgendeine Geschäftsordnung gibt, die die Obstruktion
wirklich verhindern kann (woran man füglich zweifeln darf), so ist es jedenfalls
todsicher, daß kein österreichischer Reichsrat sie auf gesetzlichem Wege, d. h. unter
Beachtung der jetzt gültigen Geschäftsordnung annehmen wird. So gelangt
man wieder dorthin, wo man war.

Nun eine kleine Skizze der Methode, nach der der österreichische Reichsrat
bisher gearbeitet hat! Man rühmt dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten nach,
daß er im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Handelsbude im Reichsrat, den
"luoZ0 al trMico", wie er schon zu Taaffes Zeiten hieß, zugemacht hat und
in nationalen Fragen ein objektives Regiment führt. Nun ist gewiß gegenüber
seinem unmittelbaren Vorgänger ein Unterschied zu bemerken im Vergleich zu
seinem Vorgänger Baron Beck. Daß er aber der Herkules ist, der die parla¬
mentarische Korruption aus den Regierungsmethoden in Österreich ausgeschaltet
hat, ist eine Fabel. War es denn nicht ein Rückfall in die Trinkgelder¬
politik, als Baron Bienerth lediglich in der schüchternen Hoffnung, die Tschechen
würden doch von der Obstruktion ablassen, was sie vier Wochen taten, das
Arbeitsministerium einem tschechischen Beamten anvertraute, daß er den Polen
bei der letzten Rekonstruktion halb und halb den Bau der galizischen Kanäle
und noch ganz kürzlich nach der Bewilligung der Militärkredite durch die Dele¬
gationen die Einbringung einer Lokalbahnvorlage versprach, angeblich um "Volks-
notwendigkeiten" zu befriedigen? Sie haben freilich nur allzu oft verzweifelte
Ähnlichkeit mit der Notwendigkeit, den Wählern ein Geschenk nach Hause zu
bringen. Unwillkürlich muß ich dabei an den klassischen Tag denken, der in:
preußischen Abgeordnetenhause jedes Jahr wiederkehrt. Der Zeitungsbericht weiß


Reichsspiegel

Parteien aus dem Sattel hebt; unglücklicherweise sind aber alle Parteien gleich¬
mäßig an den Skandalen beteiligt. Außerdem ist der Einfluß der Wiener
Regierung auf die galizische Verwaltung doch sehr beschränkt, sonst wäre es
natürlich nicht allzu schwer, einer der Regierung genehmen Partei den Sieg zu
verschaffen. Aber Baron Bienerth ist gar nicht in der Lage, seinen Willen durch¬
zusetzen, wenn der Statthalter von Galizien, der tatsächlich eine Art Satrapen-
stellung hat, nicht der gleichen Meinung ist. Würde Baron Bienerth einen
anderen der Wiener Regierung gefügigen ernennen, so wäre noch lange nicht
gesagt, daß die Beamtenschaft ihm bedingungslos gehorchen würde. Ob also
die Stellung des Ministeriums sich dadurch verbessern wird, daß die Polen
einheitlicher und für die Regierung lenkbarer ins neue Haus einziehen werden,
ist eine ganz offene Frage.

Aber nehmen wir selbst das an. Das alte Haus ist indes nicht deshalb
aufgelöst worden, weil die Regierung bei einer Abstimmung unterlegen wäre,
sondern weil ein paar Tschechen bei dem auf einen bestimmten Termin gestellten
Budgetprovisorium im Ausschuß obstruierten. Man wird auch bei einer Regierungs¬
mehrheit von zwanzig Stimmen im neuen Hause obstruieren können, trotz der
provisorischen Geschäftsordnung, die vor etwas mehr als einem Jahre angenommen
wurde; und wenn es irgendeine Geschäftsordnung gibt, die die Obstruktion
wirklich verhindern kann (woran man füglich zweifeln darf), so ist es jedenfalls
todsicher, daß kein österreichischer Reichsrat sie auf gesetzlichem Wege, d. h. unter
Beachtung der jetzt gültigen Geschäftsordnung annehmen wird. So gelangt
man wieder dorthin, wo man war.

Nun eine kleine Skizze der Methode, nach der der österreichische Reichsrat
bisher gearbeitet hat! Man rühmt dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten nach,
daß er im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Handelsbude im Reichsrat, den
„luoZ0 al trMico", wie er schon zu Taaffes Zeiten hieß, zugemacht hat und
in nationalen Fragen ein objektives Regiment führt. Nun ist gewiß gegenüber
seinem unmittelbaren Vorgänger ein Unterschied zu bemerken im Vergleich zu
seinem Vorgänger Baron Beck. Daß er aber der Herkules ist, der die parla¬
mentarische Korruption aus den Regierungsmethoden in Österreich ausgeschaltet
hat, ist eine Fabel. War es denn nicht ein Rückfall in die Trinkgelder¬
politik, als Baron Bienerth lediglich in der schüchternen Hoffnung, die Tschechen
würden doch von der Obstruktion ablassen, was sie vier Wochen taten, das
Arbeitsministerium einem tschechischen Beamten anvertraute, daß er den Polen
bei der letzten Rekonstruktion halb und halb den Bau der galizischen Kanäle
und noch ganz kürzlich nach der Bewilligung der Militärkredite durch die Dele¬
gationen die Einbringung einer Lokalbahnvorlage versprach, angeblich um „Volks-
notwendigkeiten" zu befriedigen? Sie haben freilich nur allzu oft verzweifelte
Ähnlichkeit mit der Notwendigkeit, den Wählern ein Geschenk nach Hause zu
bringen. Unwillkürlich muß ich dabei an den klassischen Tag denken, der in:
preußischen Abgeordnetenhause jedes Jahr wiederkehrt. Der Zeitungsbericht weiß


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[0148] Reichsspiegel Parteien aus dem Sattel hebt; unglücklicherweise sind aber alle Parteien gleich¬ mäßig an den Skandalen beteiligt. Außerdem ist der Einfluß der Wiener Regierung auf die galizische Verwaltung doch sehr beschränkt, sonst wäre es natürlich nicht allzu schwer, einer der Regierung genehmen Partei den Sieg zu verschaffen. Aber Baron Bienerth ist gar nicht in der Lage, seinen Willen durch¬ zusetzen, wenn der Statthalter von Galizien, der tatsächlich eine Art Satrapen- stellung hat, nicht der gleichen Meinung ist. Würde Baron Bienerth einen anderen der Wiener Regierung gefügigen ernennen, so wäre noch lange nicht gesagt, daß die Beamtenschaft ihm bedingungslos gehorchen würde. Ob also die Stellung des Ministeriums sich dadurch verbessern wird, daß die Polen einheitlicher und für die Regierung lenkbarer ins neue Haus einziehen werden, ist eine ganz offene Frage. Aber nehmen wir selbst das an. Das alte Haus ist indes nicht deshalb aufgelöst worden, weil die Regierung bei einer Abstimmung unterlegen wäre, sondern weil ein paar Tschechen bei dem auf einen bestimmten Termin gestellten Budgetprovisorium im Ausschuß obstruierten. Man wird auch bei einer Regierungs¬ mehrheit von zwanzig Stimmen im neuen Hause obstruieren können, trotz der provisorischen Geschäftsordnung, die vor etwas mehr als einem Jahre angenommen wurde; und wenn es irgendeine Geschäftsordnung gibt, die die Obstruktion wirklich verhindern kann (woran man füglich zweifeln darf), so ist es jedenfalls todsicher, daß kein österreichischer Reichsrat sie auf gesetzlichem Wege, d. h. unter Beachtung der jetzt gültigen Geschäftsordnung annehmen wird. So gelangt man wieder dorthin, wo man war. Nun eine kleine Skizze der Methode, nach der der österreichische Reichsrat bisher gearbeitet hat! Man rühmt dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten nach, daß er im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Handelsbude im Reichsrat, den „luoZ0 al trMico", wie er schon zu Taaffes Zeiten hieß, zugemacht hat und in nationalen Fragen ein objektives Regiment führt. Nun ist gewiß gegenüber seinem unmittelbaren Vorgänger ein Unterschied zu bemerken im Vergleich zu seinem Vorgänger Baron Beck. Daß er aber der Herkules ist, der die parla¬ mentarische Korruption aus den Regierungsmethoden in Österreich ausgeschaltet hat, ist eine Fabel. War es denn nicht ein Rückfall in die Trinkgelder¬ politik, als Baron Bienerth lediglich in der schüchternen Hoffnung, die Tschechen würden doch von der Obstruktion ablassen, was sie vier Wochen taten, das Arbeitsministerium einem tschechischen Beamten anvertraute, daß er den Polen bei der letzten Rekonstruktion halb und halb den Bau der galizischen Kanäle und noch ganz kürzlich nach der Bewilligung der Militärkredite durch die Dele¬ gationen die Einbringung einer Lokalbahnvorlage versprach, angeblich um „Volks- notwendigkeiten" zu befriedigen? Sie haben freilich nur allzu oft verzweifelte Ähnlichkeit mit der Notwendigkeit, den Wählern ein Geschenk nach Hause zu bringen. Unwillkürlich muß ich dabei an den klassischen Tag denken, der in: preußischen Abgeordnetenhause jedes Jahr wiederkehrt. Der Zeitungsbericht weiß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/148>, abgerufen am 22.07.2024.