Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.T>er rote Rausch Und das Schicksal griff rasch zu, das Schicksal, das sich der fromme Glaube Eine Schreckenskunde durchlief das Land und bewirkte ein jähes Ausschäumen Was, entflohen? Ja doch, Richard behauptet es. Nein, Freunde, er ist nach Paris gereist, die gerechte Sache mit der Regierung ZweiFremde waren in Perpignan erschienen, hatten sich zuerst im HauseRichards Das graue, festungsartige Gebäude, darin die Präfektur untergebracht war, "Die Polizeihunde heraus!" heulte es durch die Gassen. Neue Haufen'wälzten An einem niedrigen Nachbarhause wurde eine Leiter angelegt, und plötzlich Sofort brüllte die Menge: "Hoch, Jeanne, die HeldenjungfrauI Hoch die Jeanne winkte mit einem weißen Fetzen Papier. Stille trat ein, sie sprach. Eben noch hatte sich der Nachemund aufgetan und Tod und Vernichtung Zum zweitenmal war die Jungfrau als Retterin erschienen und hatte das T>er rote Rausch Und das Schicksal griff rasch zu, das Schicksal, das sich der fromme Glaube Eine Schreckenskunde durchlief das Land und bewirkte ein jähes Ausschäumen Was, entflohen? Ja doch, Richard behauptet es. Nein, Freunde, er ist nach Paris gereist, die gerechte Sache mit der Regierung ZweiFremde waren in Perpignan erschienen, hatten sich zuerst im HauseRichards Das graue, festungsartige Gebäude, darin die Präfektur untergebracht war, „Die Polizeihunde heraus!" heulte es durch die Gassen. Neue Haufen'wälzten An einem niedrigen Nachbarhause wurde eine Leiter angelegt, und plötzlich Sofort brüllte die Menge: „Hoch, Jeanne, die HeldenjungfrauI Hoch die Jeanne winkte mit einem weißen Fetzen Papier. Stille trat ein, sie sprach. Eben noch hatte sich der Nachemund aufgetan und Tod und Vernichtung Zum zweitenmal war die Jungfrau als Retterin erschienen und hatte das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318417"/> <fw type="header" place="top"> T>er rote Rausch</fw><lb/> <p xml:id="ID_583"> Und das Schicksal griff rasch zu, das Schicksal, das sich der fromme Glaube<lb/> gern mit verbundenen Augen oder blind vorstellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_584"> Eine Schreckenskunde durchlief das Land und bewirkte ein jähes Ausschäumen<lb/> im Volke. Rouqui6 war verhaftet worden, nicht nur Rouqui6, sondern mit ihm<lb/> sämtliche Mitglieder des Aktionskomitees zum Schutz der Winzerinteressen und<lb/> alle Bürgermeister, die ihr Amt im Stiche gelassen hatten. Nur Richard, der<lb/> wichtige Mann, der die Protokolle des Komitees führte, war frei. Und Marcellin,<lb/> das Haupt der Bewegung? Marcellin war auf die Kunde der Verhaftung entflohen.</p><lb/> <p xml:id="ID_585"> Was, entflohen? Ja doch, Richard behauptet es.</p><lb/> <p xml:id="ID_586"> Nein, Freunde, er ist nach Paris gereist, die gerechte Sache mit der Regierung<lb/> selbst zu führen. Hoch, Marcellin, sonst</p><lb/> <p xml:id="ID_587"> ZweiFremde waren in Perpignan erschienen, hatten sich zuerst im HauseRichards<lb/> aufgehalten und waren dann geradewegs nach dem Weingut Marcellins gegangen.<lb/> Sie trafen den Hausherrn nicht mehr an. In den Straßen verbreitete sich das<lb/> Gerücht, daß es Polizeiagenten wären, die gekommen seien, den Winzerapostel<lb/> abzuführen. Als die beiden Fremden ihren Fuß wieder auf die Straße setzten,<lb/> wurden sie von einer aufgeregten Volksmenge empfangen, die mit Steinen und<lb/> Stöcken auf die beiden Fremden eindrang. Zerschunden und zerschlagen, aus<lb/> vielen Wunden blutend, konnten sich die beiden mit knapper Not in die Prä-<lb/> fektur retjen.</p><lb/> <p xml:id="ID_588"> Das graue, festungsartige Gebäude, darin die Präfektur untergebracht war,<lb/> lag mit geschlossenen Augen da, wehrhaft und abweisend, das eiserne Gittertor<lb/> zugezogen, stachelbewehrt wie ein zusammengerollter Igel. Und davor, kläffend<lb/> wie ein zorniger Köter, stand die entfesselte Menge.</p><lb/> <p xml:id="ID_589"> „Die Polizeihunde heraus!" heulte es durch die Gassen. Neue Haufen'wälzten<lb/> herab und stimmten in den Ruf ein. Hacke und Schaufel, das friedliche Arbetts-<lb/> gerät, wurden herbeigeschafft, auf der Schulter hoch getragen, als drohende<lb/> Waffen geschwungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_590"> An einem niedrigen Nachbarhause wurde eine Leiter angelegt, und plötzlich<lb/> sah man wehende Kleider, eine Frauengestalt. 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Möge<lb/> Gott sie alle beschützen!</p><lb/> <p xml:id="ID_593"> Eben noch hatte sich der Nachemund aufgetan und Tod und Vernichtung<lb/> verkündet, und im nächsten Augenblick sang derselbe Mund den verklärenden Hymnus<lb/> der Begeisterung für Marcellin und seine ebenbürtige Tochter Jeanne.</p><lb/> <p xml:id="ID_594" next="#ID_595"> Zum zweitenmal war die Jungfrau als Retterin erschienen und hatte das<lb/> Schicksal gewendet. Die Huldigungen steigerten sich zu einem Triumph, der jenen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
T>er rote Rausch
Und das Schicksal griff rasch zu, das Schicksal, das sich der fromme Glaube
gern mit verbundenen Augen oder blind vorstellt.
Eine Schreckenskunde durchlief das Land und bewirkte ein jähes Ausschäumen
im Volke. Rouqui6 war verhaftet worden, nicht nur Rouqui6, sondern mit ihm
sämtliche Mitglieder des Aktionskomitees zum Schutz der Winzerinteressen und
alle Bürgermeister, die ihr Amt im Stiche gelassen hatten. Nur Richard, der
wichtige Mann, der die Protokolle des Komitees führte, war frei. Und Marcellin,
das Haupt der Bewegung? Marcellin war auf die Kunde der Verhaftung entflohen.
Was, entflohen? Ja doch, Richard behauptet es.
Nein, Freunde, er ist nach Paris gereist, die gerechte Sache mit der Regierung
selbst zu führen. Hoch, Marcellin, sonst
ZweiFremde waren in Perpignan erschienen, hatten sich zuerst im HauseRichards
aufgehalten und waren dann geradewegs nach dem Weingut Marcellins gegangen.
Sie trafen den Hausherrn nicht mehr an. In den Straßen verbreitete sich das
Gerücht, daß es Polizeiagenten wären, die gekommen seien, den Winzerapostel
abzuführen. Als die beiden Fremden ihren Fuß wieder auf die Straße setzten,
wurden sie von einer aufgeregten Volksmenge empfangen, die mit Steinen und
Stöcken auf die beiden Fremden eindrang. Zerschunden und zerschlagen, aus
vielen Wunden blutend, konnten sich die beiden mit knapper Not in die Prä-
fektur retjen.
Das graue, festungsartige Gebäude, darin die Präfektur untergebracht war,
lag mit geschlossenen Augen da, wehrhaft und abweisend, das eiserne Gittertor
zugezogen, stachelbewehrt wie ein zusammengerollter Igel. Und davor, kläffend
wie ein zorniger Köter, stand die entfesselte Menge.
„Die Polizeihunde heraus!" heulte es durch die Gassen. Neue Haufen'wälzten
herab und stimmten in den Ruf ein. Hacke und Schaufel, das friedliche Arbetts-
gerät, wurden herbeigeschafft, auf der Schulter hoch getragen, als drohende
Waffen geschwungen.
An einem niedrigen Nachbarhause wurde eine Leiter angelegt, und plötzlich
sah man wehende Kleider, eine Frauengestalt. Jeanne!
Sofort brüllte die Menge: „Hoch, Jeanne, die HeldenjungfrauI Hoch die
neue Jeanne d'Ural Hoedi"
Jeanne winkte mit einem weißen Fetzen Papier. Stille trat ein, sie sprach.
Von dem weißen Blatt ablesend verkündete sie, daß Vater Marcellin unterwegs
nach Paris seinen Genossen einen Gruß entbiete und die heilige Sache des Volkes
vor der Regierung mit aller Kraft verfechten und nicht ohne guten Erfolg zurück¬
kehren werde. Doch müsse er sein Volt an den Schwur erinnern und verlangen,
daß es Frieden und Ordnung aufrecht erhalte, Ausschreitungen sofort im Keime
unterdrücke, so lange wenigstens, bis er wieder vor seinen Mitkämpfern und Leidens-
genossen erscheine und die Ergebnisse seiner Reise werde mitteilen können. Möge
Gott sie alle beschützen!
Eben noch hatte sich der Nachemund aufgetan und Tod und Vernichtung
verkündet, und im nächsten Augenblick sang derselbe Mund den verklärenden Hymnus
der Begeisterung für Marcellin und seine ebenbürtige Tochter Jeanne.
Zum zweitenmal war die Jungfrau als Retterin erschienen und hatte das
Schicksal gewendet. Die Huldigungen steigerten sich zu einem Triumph, der jenen
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