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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

war, einen würdigen Platz unter den alten zu geben. Die wenigen Verteidiger
der strengen Formen wurden verhöhnt und verspottet, und im seligschwimmenden
Gefühle, von den wahren Quellen des Lebens getrunken zu haben, wandelte
man schon nach wenigen Jahrzehnten allenthalben auf den krummen Schlängel¬
wegen durch die künstliche Natur und verging in Tränen vor den schwärmerischen
Inschriften, die überall die Steine und Bäume schmückten, oder verlor sich in
Schaudern vor einer umgestürzten Säule oder sehnte sich nach Fernen vor der
Hütte des Wilden und dem chinesischen Tempelchen.

Denn das war aus dem Garten geworden: das Scheinbild einer englischen
Landschaft meist auf zu engem Raum und darum mit lächerlich kleinen Hügeln,
Tälern und Schluchten, ein auf Überraschungseffekte angelegtes, alle Grenzen
möglichst verschleierndes Durcheinander von "heiteren und lachenden", "melan¬
cholischen und romantischen", "bezaubernden", "feierlichen" und anderen Sichten,
die zur Erweckung ebensolcher Gefühle dienen sollten und deren Gestaltung zur
Kunst gar kein Verhältnis mehr hatte. Da also weder das Ganze noch die
Teile ein eigenes künstlerisches Leben hatten, so mußte man sie, um ihnen den
Schein eines Lebens zu geben, möglichst reich an Beziehungen machen; man
setzte also möglichst viele Winkel und Blicke der Landschaft in Beziehung zu
irgend etwas, an dem sich das aufgelöste Gefühl verströmen konnte: zu ver¬
gangenen oder fernen Völkern, zur Einsamkeit, zur Freundschaft, zur Tugend,
zur Gesundheit, zur Freude, zur Trauer, zum Tode, zur Dichtung, zur Musik und
tausend anderen Dingen und Gefühlen, die man durch das Werk einer anderen
Kunst oder ein Symbol oder nur eine Inschrift dem Beschauer deutlich machte.

Alles wurde, mit einem Worte, "Szenerie", und der Garten zerfiel in eine
Anzahl von "Szenen", auf denen die eine oder andere theaterhafte Erregung
erweckt werden sollte.

Zunächst war es noch überwiegend die Antike, welche den Stoff zu solchen
Beziehungen gab. Denn die ebenfalls um die Mitte des Jahrhunderts und
ebenfalls zuerst in England stärker einsetzende klassizistische Bewegung nahm auch
die antike Kunst unter dem Begriff der "reinen Natur" wieder auf; wir finden
darin die ersten Andeutungen, daß auch der Baukunst ein lebendiges Form-
prinzip zu mangeln begann. Selbst das Vorbild wurde allmählich immer
weniger künstlerisch als wissenschaftlich beurteilt, aber ehe die Baukunst ganz dem
historischen Eklektizismus des neunzehnten Jahrhunderts verfiel, wurde sie noch eine
Weile von dem Rest lebendigen Formgefühles getragen, das die Meister des Barock
und Rokoko als Erbe ließen, und so sehen wir in den neuen Landschaftsgärten
das seltsame Bild einer Verbindung wildromantischer Gebüsche mit strengen
klassizistischen Tempelchen, Gartenhäusern und Pavillons, die in den künstlichen
Tälern, Einöden und Waldverstecken den Eindruck von Überresten einer hohen
Kunstepoche machten und -- machen sollten.

Denn die Sentimentalität der Zeit hätte die Gebäude mit der strengen
Umgebung, die sie forderten, nicht ertragen, sondern beseligte sich auch in der


Die neue Gartenkunst

war, einen würdigen Platz unter den alten zu geben. Die wenigen Verteidiger
der strengen Formen wurden verhöhnt und verspottet, und im seligschwimmenden
Gefühle, von den wahren Quellen des Lebens getrunken zu haben, wandelte
man schon nach wenigen Jahrzehnten allenthalben auf den krummen Schlängel¬
wegen durch die künstliche Natur und verging in Tränen vor den schwärmerischen
Inschriften, die überall die Steine und Bäume schmückten, oder verlor sich in
Schaudern vor einer umgestürzten Säule oder sehnte sich nach Fernen vor der
Hütte des Wilden und dem chinesischen Tempelchen.

Denn das war aus dem Garten geworden: das Scheinbild einer englischen
Landschaft meist auf zu engem Raum und darum mit lächerlich kleinen Hügeln,
Tälern und Schluchten, ein auf Überraschungseffekte angelegtes, alle Grenzen
möglichst verschleierndes Durcheinander von „heiteren und lachenden", „melan¬
cholischen und romantischen", „bezaubernden", „feierlichen" und anderen Sichten,
die zur Erweckung ebensolcher Gefühle dienen sollten und deren Gestaltung zur
Kunst gar kein Verhältnis mehr hatte. Da also weder das Ganze noch die
Teile ein eigenes künstlerisches Leben hatten, so mußte man sie, um ihnen den
Schein eines Lebens zu geben, möglichst reich an Beziehungen machen; man
setzte also möglichst viele Winkel und Blicke der Landschaft in Beziehung zu
irgend etwas, an dem sich das aufgelöste Gefühl verströmen konnte: zu ver¬
gangenen oder fernen Völkern, zur Einsamkeit, zur Freundschaft, zur Tugend,
zur Gesundheit, zur Freude, zur Trauer, zum Tode, zur Dichtung, zur Musik und
tausend anderen Dingen und Gefühlen, die man durch das Werk einer anderen
Kunst oder ein Symbol oder nur eine Inschrift dem Beschauer deutlich machte.

Alles wurde, mit einem Worte, „Szenerie", und der Garten zerfiel in eine
Anzahl von „Szenen", auf denen die eine oder andere theaterhafte Erregung
erweckt werden sollte.

Zunächst war es noch überwiegend die Antike, welche den Stoff zu solchen
Beziehungen gab. Denn die ebenfalls um die Mitte des Jahrhunderts und
ebenfalls zuerst in England stärker einsetzende klassizistische Bewegung nahm auch
die antike Kunst unter dem Begriff der „reinen Natur" wieder auf; wir finden
darin die ersten Andeutungen, daß auch der Baukunst ein lebendiges Form-
prinzip zu mangeln begann. Selbst das Vorbild wurde allmählich immer
weniger künstlerisch als wissenschaftlich beurteilt, aber ehe die Baukunst ganz dem
historischen Eklektizismus des neunzehnten Jahrhunderts verfiel, wurde sie noch eine
Weile von dem Rest lebendigen Formgefühles getragen, das die Meister des Barock
und Rokoko als Erbe ließen, und so sehen wir in den neuen Landschaftsgärten
das seltsame Bild einer Verbindung wildromantischer Gebüsche mit strengen
klassizistischen Tempelchen, Gartenhäusern und Pavillons, die in den künstlichen
Tälern, Einöden und Waldverstecken den Eindruck von Überresten einer hohen
Kunstepoche machten und — machen sollten.

Denn die Sentimentalität der Zeit hätte die Gebäude mit der strengen
Umgebung, die sie forderten, nicht ertragen, sondern beseligte sich auch in der


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[0124] Die neue Gartenkunst war, einen würdigen Platz unter den alten zu geben. Die wenigen Verteidiger der strengen Formen wurden verhöhnt und verspottet, und im seligschwimmenden Gefühle, von den wahren Quellen des Lebens getrunken zu haben, wandelte man schon nach wenigen Jahrzehnten allenthalben auf den krummen Schlängel¬ wegen durch die künstliche Natur und verging in Tränen vor den schwärmerischen Inschriften, die überall die Steine und Bäume schmückten, oder verlor sich in Schaudern vor einer umgestürzten Säule oder sehnte sich nach Fernen vor der Hütte des Wilden und dem chinesischen Tempelchen. Denn das war aus dem Garten geworden: das Scheinbild einer englischen Landschaft meist auf zu engem Raum und darum mit lächerlich kleinen Hügeln, Tälern und Schluchten, ein auf Überraschungseffekte angelegtes, alle Grenzen möglichst verschleierndes Durcheinander von „heiteren und lachenden", „melan¬ cholischen und romantischen", „bezaubernden", „feierlichen" und anderen Sichten, die zur Erweckung ebensolcher Gefühle dienen sollten und deren Gestaltung zur Kunst gar kein Verhältnis mehr hatte. Da also weder das Ganze noch die Teile ein eigenes künstlerisches Leben hatten, so mußte man sie, um ihnen den Schein eines Lebens zu geben, möglichst reich an Beziehungen machen; man setzte also möglichst viele Winkel und Blicke der Landschaft in Beziehung zu irgend etwas, an dem sich das aufgelöste Gefühl verströmen konnte: zu ver¬ gangenen oder fernen Völkern, zur Einsamkeit, zur Freundschaft, zur Tugend, zur Gesundheit, zur Freude, zur Trauer, zum Tode, zur Dichtung, zur Musik und tausend anderen Dingen und Gefühlen, die man durch das Werk einer anderen Kunst oder ein Symbol oder nur eine Inschrift dem Beschauer deutlich machte. Alles wurde, mit einem Worte, „Szenerie", und der Garten zerfiel in eine Anzahl von „Szenen", auf denen die eine oder andere theaterhafte Erregung erweckt werden sollte. Zunächst war es noch überwiegend die Antike, welche den Stoff zu solchen Beziehungen gab. Denn die ebenfalls um die Mitte des Jahrhunderts und ebenfalls zuerst in England stärker einsetzende klassizistische Bewegung nahm auch die antike Kunst unter dem Begriff der „reinen Natur" wieder auf; wir finden darin die ersten Andeutungen, daß auch der Baukunst ein lebendiges Form- prinzip zu mangeln begann. Selbst das Vorbild wurde allmählich immer weniger künstlerisch als wissenschaftlich beurteilt, aber ehe die Baukunst ganz dem historischen Eklektizismus des neunzehnten Jahrhunderts verfiel, wurde sie noch eine Weile von dem Rest lebendigen Formgefühles getragen, das die Meister des Barock und Rokoko als Erbe ließen, und so sehen wir in den neuen Landschaftsgärten das seltsame Bild einer Verbindung wildromantischer Gebüsche mit strengen klassizistischen Tempelchen, Gartenhäusern und Pavillons, die in den künstlichen Tälern, Einöden und Waldverstecken den Eindruck von Überresten einer hohen Kunstepoche machten und — machen sollten. Denn die Sentimentalität der Zeit hätte die Gebäude mit der strengen Umgebung, die sie forderten, nicht ertragen, sondern beseligte sich auch in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/124>, abgerufen am 03.07.2024.