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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

noch vielfach erhielten und nie so völlig entarteten wie im Haus- und Villen¬
garten des Festlandes, so ward doch mit der Erklärung der Landschaft zum
Vorbild des Gartens die Zerstörung der Grundform des Gartens begonnen, und
aus der falschen Verkuppelung mit der Landschaftsmalerei konnten sich dann
immer mehr entartend die Bastarde des neunzehnten Jahrhunderts entwickeln.

Wir zeichnen diesen Gang der Entwicklung in aller Kürze auf.

Als mit dem Tode Ludwigs des Vierzehnten die letzten Neste einer wenigstens
im Repräsentativen heroischen Lebenshaltung zerfielen, schlugen bei den neuen
Generationen alle Bedürfnisse der Größe und Strenge in die der Selbstbescheidung
und Wärme um. Es dauerte freilich noch ein halbes Jahrhundert, ehe der Bau
völlig zerbröckelte, und die Generation, welche noch darin wohnte, konnte sich nicht
durch einen Sprung seinen gewaltigen Maßen entziehen, sondern suchte sie durch Ver¬
kleinerung und Verweichlichung langsam aufzulösen und für sich wohnlich zu machen.

Die Menschen dieser Zeit, die wir unter dem Rokoko verstehen, setzten an
die Stelle des großen Prunkes und der feierlichen Gebärde die reizvolle Intimität
und die zierliche Delikatesse; alles Wuchtige und Gemessene wurde von einem
beweglichen Geiste ins Leichte und Momentane übertragen; an die Stelle der
einsamen fürstlichen Erhabenheit traten die geselligen witzigen Zirkel, an die
Stelle der großen Unternehmungen das Spiel mit tausend neuen menschheits-
beglückenden Projekten. Das Leben spielte sich in kleineren traulicheren Räumen
ab, die nicht mehr durch den steifen Außengang, sondern alle durch Türen ver¬
bunden waren und in tausend Spiegeln tausende noch in der Form gebundene,
aber immer mehr sich lockernde Willkürlichkeiten widerwarfen. Alles von der
Liebe bis zur Politik wurde koketter und nuancierter; noch lagen zwar "Gefühl"
und "Natur" als Grundkräfte unter den Formen, aber sie schimmerten schon
deutlich hindurch: alles wurde wärmer, schmelzender, weiblicher, bis um die Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts alle Dämme brachen und die chaotischen Fluten
über Europa gingen, in denen nur so ungeheuere Körper wie Napoleon und
Goethe aufrecht stehen blieben.

Der Garten ging mit den Zeiten seinem Untergange zu. Le Notre hatte
alle seine Teile zur höchsten Einheit zusammengefaßt und als ein gewaltiges
Bild von stolzester Wirkung für den stolzesten Sinn geformt; schon das Rokoko
lockerte die strenge Einheit auf, machte die Einzelteile wieder selbständig und zu
wesentlichen Trägern gefühlsmäßiger Zweckbestimmungen; von dieser Lockerung
war es nur noch wenige Schritte bis zum Gegensatz der Einheit, zur völligen
Auflösung der Form und zu der Erklärung, daß die Elemente (Gefühl und
Natur) die Führer und Vorbilder des formenden Geistes seien.

England ging, wie wir sahen, zuerst diesen Weg, und -- um von den
tieferen Ursachen, die wir hier nicht verfolgen können, nur noch eine zu streifen --
nicht zum wenigsten aus dem Gegensatze gegen Frankreich, der sich seit dem
spanischen Erbfolgekrieg immer schärfer heraushob und für zwei Jahrhunderte
das Verhalten der europäischen Völker zueinander wesentlich bestimmte.


Die neue Gartenkunst

noch vielfach erhielten und nie so völlig entarteten wie im Haus- und Villen¬
garten des Festlandes, so ward doch mit der Erklärung der Landschaft zum
Vorbild des Gartens die Zerstörung der Grundform des Gartens begonnen, und
aus der falschen Verkuppelung mit der Landschaftsmalerei konnten sich dann
immer mehr entartend die Bastarde des neunzehnten Jahrhunderts entwickeln.

Wir zeichnen diesen Gang der Entwicklung in aller Kürze auf.

Als mit dem Tode Ludwigs des Vierzehnten die letzten Neste einer wenigstens
im Repräsentativen heroischen Lebenshaltung zerfielen, schlugen bei den neuen
Generationen alle Bedürfnisse der Größe und Strenge in die der Selbstbescheidung
und Wärme um. Es dauerte freilich noch ein halbes Jahrhundert, ehe der Bau
völlig zerbröckelte, und die Generation, welche noch darin wohnte, konnte sich nicht
durch einen Sprung seinen gewaltigen Maßen entziehen, sondern suchte sie durch Ver¬
kleinerung und Verweichlichung langsam aufzulösen und für sich wohnlich zu machen.

Die Menschen dieser Zeit, die wir unter dem Rokoko verstehen, setzten an
die Stelle des großen Prunkes und der feierlichen Gebärde die reizvolle Intimität
und die zierliche Delikatesse; alles Wuchtige und Gemessene wurde von einem
beweglichen Geiste ins Leichte und Momentane übertragen; an die Stelle der
einsamen fürstlichen Erhabenheit traten die geselligen witzigen Zirkel, an die
Stelle der großen Unternehmungen das Spiel mit tausend neuen menschheits-
beglückenden Projekten. Das Leben spielte sich in kleineren traulicheren Räumen
ab, die nicht mehr durch den steifen Außengang, sondern alle durch Türen ver¬
bunden waren und in tausend Spiegeln tausende noch in der Form gebundene,
aber immer mehr sich lockernde Willkürlichkeiten widerwarfen. Alles von der
Liebe bis zur Politik wurde koketter und nuancierter; noch lagen zwar „Gefühl"
und „Natur" als Grundkräfte unter den Formen, aber sie schimmerten schon
deutlich hindurch: alles wurde wärmer, schmelzender, weiblicher, bis um die Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts alle Dämme brachen und die chaotischen Fluten
über Europa gingen, in denen nur so ungeheuere Körper wie Napoleon und
Goethe aufrecht stehen blieben.

Der Garten ging mit den Zeiten seinem Untergange zu. Le Notre hatte
alle seine Teile zur höchsten Einheit zusammengefaßt und als ein gewaltiges
Bild von stolzester Wirkung für den stolzesten Sinn geformt; schon das Rokoko
lockerte die strenge Einheit auf, machte die Einzelteile wieder selbständig und zu
wesentlichen Trägern gefühlsmäßiger Zweckbestimmungen; von dieser Lockerung
war es nur noch wenige Schritte bis zum Gegensatz der Einheit, zur völligen
Auflösung der Form und zu der Erklärung, daß die Elemente (Gefühl und
Natur) die Führer und Vorbilder des formenden Geistes seien.

England ging, wie wir sahen, zuerst diesen Weg, und — um von den
tieferen Ursachen, die wir hier nicht verfolgen können, nur noch eine zu streifen —
nicht zum wenigsten aus dem Gegensatze gegen Frankreich, der sich seit dem
spanischen Erbfolgekrieg immer schärfer heraushob und für zwei Jahrhunderte
das Verhalten der europäischen Völker zueinander wesentlich bestimmte.


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[0122] Die neue Gartenkunst noch vielfach erhielten und nie so völlig entarteten wie im Haus- und Villen¬ garten des Festlandes, so ward doch mit der Erklärung der Landschaft zum Vorbild des Gartens die Zerstörung der Grundform des Gartens begonnen, und aus der falschen Verkuppelung mit der Landschaftsmalerei konnten sich dann immer mehr entartend die Bastarde des neunzehnten Jahrhunderts entwickeln. Wir zeichnen diesen Gang der Entwicklung in aller Kürze auf. Als mit dem Tode Ludwigs des Vierzehnten die letzten Neste einer wenigstens im Repräsentativen heroischen Lebenshaltung zerfielen, schlugen bei den neuen Generationen alle Bedürfnisse der Größe und Strenge in die der Selbstbescheidung und Wärme um. Es dauerte freilich noch ein halbes Jahrhundert, ehe der Bau völlig zerbröckelte, und die Generation, welche noch darin wohnte, konnte sich nicht durch einen Sprung seinen gewaltigen Maßen entziehen, sondern suchte sie durch Ver¬ kleinerung und Verweichlichung langsam aufzulösen und für sich wohnlich zu machen. Die Menschen dieser Zeit, die wir unter dem Rokoko verstehen, setzten an die Stelle des großen Prunkes und der feierlichen Gebärde die reizvolle Intimität und die zierliche Delikatesse; alles Wuchtige und Gemessene wurde von einem beweglichen Geiste ins Leichte und Momentane übertragen; an die Stelle der einsamen fürstlichen Erhabenheit traten die geselligen witzigen Zirkel, an die Stelle der großen Unternehmungen das Spiel mit tausend neuen menschheits- beglückenden Projekten. Das Leben spielte sich in kleineren traulicheren Räumen ab, die nicht mehr durch den steifen Außengang, sondern alle durch Türen ver¬ bunden waren und in tausend Spiegeln tausende noch in der Form gebundene, aber immer mehr sich lockernde Willkürlichkeiten widerwarfen. Alles von der Liebe bis zur Politik wurde koketter und nuancierter; noch lagen zwar „Gefühl" und „Natur" als Grundkräfte unter den Formen, aber sie schimmerten schon deutlich hindurch: alles wurde wärmer, schmelzender, weiblicher, bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts alle Dämme brachen und die chaotischen Fluten über Europa gingen, in denen nur so ungeheuere Körper wie Napoleon und Goethe aufrecht stehen blieben. Der Garten ging mit den Zeiten seinem Untergange zu. Le Notre hatte alle seine Teile zur höchsten Einheit zusammengefaßt und als ein gewaltiges Bild von stolzester Wirkung für den stolzesten Sinn geformt; schon das Rokoko lockerte die strenge Einheit auf, machte die Einzelteile wieder selbständig und zu wesentlichen Trägern gefühlsmäßiger Zweckbestimmungen; von dieser Lockerung war es nur noch wenige Schritte bis zum Gegensatz der Einheit, zur völligen Auflösung der Form und zu der Erklärung, daß die Elemente (Gefühl und Natur) die Führer und Vorbilder des formenden Geistes seien. England ging, wie wir sahen, zuerst diesen Weg, und — um von den tieferen Ursachen, die wir hier nicht verfolgen können, nur noch eine zu streifen — nicht zum wenigsten aus dem Gegensatze gegen Frankreich, der sich seit dem spanischen Erbfolgekrieg immer schärfer heraushob und für zwei Jahrhunderte das Verhalten der europäischen Völker zueinander wesentlich bestimmte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/122>, abgerufen am 03.07.2024.