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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Hie neue Gartenkunst

dargestellt, die allein imstande sei, den Blick durch die immer erneute Aufrollung
des Mannigfaltigen zu befriedigen und ihn vor dem einzelnen Bilde etwa durch einen
hügeligen Abschluß zu beruhigen. In Wahrheit aber erzeugt die Wellenlinie eine
Beunruhigung und ein Sichverlieren! Während im symmetrischen Garten die
geschlossene Perspektive dem Beschauer für seinen Blickpunkt den Raum stets fest
zusammenfügt, ihm diesen im Weiterschreiten in immer neue Räume auflöst, die
aber als Teile im sichtbaren Gefüge eines Ganzen stehen, das uns seine ruhige
Beharrung mitteilt, verflüchtigt die durch Wellenlinien perspektivisch nachgeahmte
Landschaft jede feste Grenze: man kann sie von keinem Blickpunkte aus völlig
räumlich umfassen, da sie ja illusorisch ist; man verläßt sie, um sie zu umgehen,
und fühlt sich hintergangen, wird durch einen neuen Ausblick weitergelockt und
wieder getäuscht, bis uns zuletzt vielleicht die völlige Wildnis umfängt und uns
das frohe Gefühl durchdringt, wirklich in der Landschaft zu sein und nicht mehr
auf der Suche nach künstlichen landschaftlichen Reizen.

Denn hinter dein Garten, dem wirklichen Garten, beginnen deutlich, von
ihm geschieden, Feld und Wald, die sich nach anderen Notwendigkeiten abgrenzen,
nach anderen Gestaltungsgesetzen wachsen wie er. Die Landschaft steht im völligen
Gegensatz zu seiner Form (nicht zu seinen stofflichen Elementen, wie wir später
sehen werden) selbst noch, wenn ihr Charakter in den blühenden Tälern oder
Ebenen durch zahlreiche Gärten sein besonderes Gepräge bekommt. Der Garten
verhält sich etwa zur Landschaft wie die Statue zum Baun:: beide haben ihre
organischen Gesetzmäßigkeiten, aber völlig verschiedene Bedingtheiten des Ursprungs
und des Werdens. Wollte man einwenden, eine ganze Landschaft könne doch
in einem möglichen Falle zum Gegenstand eines künstlerischen Gartenplanes
gemacht werden, so wäre darauf zu antworten, daß dann die Landschaft nach
der Ausführung des Planes völlig verschwunden wäre.

Der englische Garten ist nicht aus solchen Absichten, noch überhaupt aus
Gründen einer künstlerischen Notwendigkeit entstanden, sondern die englische
Landschaft erhielt in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts -- mochte
man sie später in größerem oder kleinerem Umfange als Park bezeichnen oder
nicht -- durch besondere Boden- und Wirtschaftsbedingungen ein besonderes
Gepräge. Als die englischen Grundherren damals, wie später auch die fest¬
ländischen, zum Großpachtbetrieb und vielfach auch vom Getreidebau zu einer
ausgedehnten Viehzucht auf ihren Gütern übergingen, wurden die englischen
Wälder außerordentlich stark gelichtet, die Herrenhäuser bekamen in den sich
bildenden Wald- und Wiesenfluchten aus praktischen Gründen eine zentrale Sicht¬
stellung und gaben so der leichtgewellten Hügellandschaft langsam das bekannte
Bild. Erst mit dem Verfall der raumschöpferischen Gartenkunst und dem Herauf¬
schwärmen des Gefühlsrealismus wurde dieses Bild zum idealen Typus des
Gartens und so -- das erste Anzeichen des heutigen Amerikanismus -- das
wirtschaftlich Notwendige zur Norm des Schönen erhoben. Wenn sich auch in
England nahe um die Herrenhäuser die alten symmetrischen Teile des Gartens


Hie neue Gartenkunst

dargestellt, die allein imstande sei, den Blick durch die immer erneute Aufrollung
des Mannigfaltigen zu befriedigen und ihn vor dem einzelnen Bilde etwa durch einen
hügeligen Abschluß zu beruhigen. In Wahrheit aber erzeugt die Wellenlinie eine
Beunruhigung und ein Sichverlieren! Während im symmetrischen Garten die
geschlossene Perspektive dem Beschauer für seinen Blickpunkt den Raum stets fest
zusammenfügt, ihm diesen im Weiterschreiten in immer neue Räume auflöst, die
aber als Teile im sichtbaren Gefüge eines Ganzen stehen, das uns seine ruhige
Beharrung mitteilt, verflüchtigt die durch Wellenlinien perspektivisch nachgeahmte
Landschaft jede feste Grenze: man kann sie von keinem Blickpunkte aus völlig
räumlich umfassen, da sie ja illusorisch ist; man verläßt sie, um sie zu umgehen,
und fühlt sich hintergangen, wird durch einen neuen Ausblick weitergelockt und
wieder getäuscht, bis uns zuletzt vielleicht die völlige Wildnis umfängt und uns
das frohe Gefühl durchdringt, wirklich in der Landschaft zu sein und nicht mehr
auf der Suche nach künstlichen landschaftlichen Reizen.

Denn hinter dein Garten, dem wirklichen Garten, beginnen deutlich, von
ihm geschieden, Feld und Wald, die sich nach anderen Notwendigkeiten abgrenzen,
nach anderen Gestaltungsgesetzen wachsen wie er. Die Landschaft steht im völligen
Gegensatz zu seiner Form (nicht zu seinen stofflichen Elementen, wie wir später
sehen werden) selbst noch, wenn ihr Charakter in den blühenden Tälern oder
Ebenen durch zahlreiche Gärten sein besonderes Gepräge bekommt. Der Garten
verhält sich etwa zur Landschaft wie die Statue zum Baun:: beide haben ihre
organischen Gesetzmäßigkeiten, aber völlig verschiedene Bedingtheiten des Ursprungs
und des Werdens. Wollte man einwenden, eine ganze Landschaft könne doch
in einem möglichen Falle zum Gegenstand eines künstlerischen Gartenplanes
gemacht werden, so wäre darauf zu antworten, daß dann die Landschaft nach
der Ausführung des Planes völlig verschwunden wäre.

Der englische Garten ist nicht aus solchen Absichten, noch überhaupt aus
Gründen einer künstlerischen Notwendigkeit entstanden, sondern die englische
Landschaft erhielt in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts — mochte
man sie später in größerem oder kleinerem Umfange als Park bezeichnen oder
nicht — durch besondere Boden- und Wirtschaftsbedingungen ein besonderes
Gepräge. Als die englischen Grundherren damals, wie später auch die fest¬
ländischen, zum Großpachtbetrieb und vielfach auch vom Getreidebau zu einer
ausgedehnten Viehzucht auf ihren Gütern übergingen, wurden die englischen
Wälder außerordentlich stark gelichtet, die Herrenhäuser bekamen in den sich
bildenden Wald- und Wiesenfluchten aus praktischen Gründen eine zentrale Sicht¬
stellung und gaben so der leichtgewellten Hügellandschaft langsam das bekannte
Bild. Erst mit dem Verfall der raumschöpferischen Gartenkunst und dem Herauf¬
schwärmen des Gefühlsrealismus wurde dieses Bild zum idealen Typus des
Gartens und so — das erste Anzeichen des heutigen Amerikanismus — das
wirtschaftlich Notwendige zur Norm des Schönen erhoben. Wenn sich auch in
England nahe um die Herrenhäuser die alten symmetrischen Teile des Gartens


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[0121] Hie neue Gartenkunst dargestellt, die allein imstande sei, den Blick durch die immer erneute Aufrollung des Mannigfaltigen zu befriedigen und ihn vor dem einzelnen Bilde etwa durch einen hügeligen Abschluß zu beruhigen. In Wahrheit aber erzeugt die Wellenlinie eine Beunruhigung und ein Sichverlieren! Während im symmetrischen Garten die geschlossene Perspektive dem Beschauer für seinen Blickpunkt den Raum stets fest zusammenfügt, ihm diesen im Weiterschreiten in immer neue Räume auflöst, die aber als Teile im sichtbaren Gefüge eines Ganzen stehen, das uns seine ruhige Beharrung mitteilt, verflüchtigt die durch Wellenlinien perspektivisch nachgeahmte Landschaft jede feste Grenze: man kann sie von keinem Blickpunkte aus völlig räumlich umfassen, da sie ja illusorisch ist; man verläßt sie, um sie zu umgehen, und fühlt sich hintergangen, wird durch einen neuen Ausblick weitergelockt und wieder getäuscht, bis uns zuletzt vielleicht die völlige Wildnis umfängt und uns das frohe Gefühl durchdringt, wirklich in der Landschaft zu sein und nicht mehr auf der Suche nach künstlichen landschaftlichen Reizen. Denn hinter dein Garten, dem wirklichen Garten, beginnen deutlich, von ihm geschieden, Feld und Wald, die sich nach anderen Notwendigkeiten abgrenzen, nach anderen Gestaltungsgesetzen wachsen wie er. Die Landschaft steht im völligen Gegensatz zu seiner Form (nicht zu seinen stofflichen Elementen, wie wir später sehen werden) selbst noch, wenn ihr Charakter in den blühenden Tälern oder Ebenen durch zahlreiche Gärten sein besonderes Gepräge bekommt. Der Garten verhält sich etwa zur Landschaft wie die Statue zum Baun:: beide haben ihre organischen Gesetzmäßigkeiten, aber völlig verschiedene Bedingtheiten des Ursprungs und des Werdens. Wollte man einwenden, eine ganze Landschaft könne doch in einem möglichen Falle zum Gegenstand eines künstlerischen Gartenplanes gemacht werden, so wäre darauf zu antworten, daß dann die Landschaft nach der Ausführung des Planes völlig verschwunden wäre. Der englische Garten ist nicht aus solchen Absichten, noch überhaupt aus Gründen einer künstlerischen Notwendigkeit entstanden, sondern die englische Landschaft erhielt in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts — mochte man sie später in größerem oder kleinerem Umfange als Park bezeichnen oder nicht — durch besondere Boden- und Wirtschaftsbedingungen ein besonderes Gepräge. Als die englischen Grundherren damals, wie später auch die fest¬ ländischen, zum Großpachtbetrieb und vielfach auch vom Getreidebau zu einer ausgedehnten Viehzucht auf ihren Gütern übergingen, wurden die englischen Wälder außerordentlich stark gelichtet, die Herrenhäuser bekamen in den sich bildenden Wald- und Wiesenfluchten aus praktischen Gründen eine zentrale Sicht¬ stellung und gaben so der leichtgewellten Hügellandschaft langsam das bekannte Bild. Erst mit dem Verfall der raumschöpferischen Gartenkunst und dem Herauf¬ schwärmen des Gefühlsrealismus wurde dieses Bild zum idealen Typus des Gartens und so — das erste Anzeichen des heutigen Amerikanismus — das wirtschaftlich Notwendige zur Norm des Schönen erhoben. Wenn sich auch in England nahe um die Herrenhäuser die alten symmetrischen Teile des Gartens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/121>, abgerufen am 03.07.2024.