Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neue Gartenkunst

Zufälligkeiten erforderte, und daß daher der Gartenkünstler am glücklichsten
arbeite, wenn "er überall das Gegenteil von dem tue, was der Baumeister
beobachte".

Man blieb freilich nicht bei diesen reinen Negationen stehen, sondern suchte
an die Stelle des verhaßten architektonischen Prinzips der Symmetrie ein anderes
zu setzen, dessen sich eine "bescheidene" Kunst vor der schönen Natur allein
bedienen dürfe: nämlich das malerische Prinzip. Man fiel also von der
behaupteten künstlichen Abhängigkeit nur in eine andere und gab den Gartenbau,
nachdem man ihn aus einem Jahrtausende alten Bunde, in dem sein Ursprung
und seine Bedingnisse ruhten, gelöst hatte, in die Knechtschaft der Landschafts¬
malerei, mit der ihn kein lebendiges Band verknüpft noch je verknüpfen kann --
was hat ein Gemälde mit einem Garten zu tun!? Nach der neuen Lehre lag
die Einheit darin, daß beide ausgewählte Darstellungen der Natur zu geben
hätten: der Gartenkünstler soll wie der Landschaftsmaler einen Reichtum länd¬
licher Ideen aufspeichern, eine genaue Kenntnis der Gegenstände und Charaktere
der Landschaft und der mannigfachen Wirkungen haben, die sie in ihren ver¬
schiedenen Zusammensetzungen auf die menschliche Seele ausüben; er soll wie
dieser eine Fähigkeit haben, gute Verhältnisse wahrzunehmen, die Gesetze der
Perspektive und die Mittel ihrer Darstellung sowohl in Gestalt wie in Farbe
kennen, damit er dem Auge vor den einzelnen Teilen Ruhe und Befriedigung
gewähren und die Teile wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammen¬
schließen könne; er soll ein feines Gefühl für Farben haben, um nach dem ersten
Gesetz der Natur Wechsel und Mannigfaltigkeit hervorzurufen und durch die
Kontraste vom Heiteren bis zum Finsteren das Gemüt zu beeinflussen; vor
allem aber soll er, wie der Maler den Schein der Bewegung und des Lebens
schafft, wirkliche Bewegung schaffen: durch stürzendes Wasser, durch Viehtriften,
Gebäude, Ruinen, alles, was die Gegenwart des Menschen vermuten läßt, und
besonders durch die ausgiebigste Verwendung der Wellenlinie.

Es ist leicht einzusehen, aber es tut heute, wo nach hundertfünfzig Jahren
das freilich völlig verkommene Ideal des englischen Gartens noch allgemein
herrschend ist, sehr not zu betonen, daß fast alle diese Forderungen ebenso für
den Künstler des alten symmetrischen Gartens Geltung haben, das heißt, daß
sie kein besonderes neues Formprinzip aufstellen, sondern die freilich immer
notwendige Kenntnis der Grundstoffe betonen; nur im Verlangen nach Bewegung
durch das Mittel der Wellenlinie offenbart sich der schärfste Gegensatz zur
Grundform des alten, ja des Gartens überhaupt!

Der festbegrenzte, für das Auge meßbare und darum allein künstlerische,
schöne Verhältnisse ermöglichende Raum soll auf jeden Fall verflüchtigt werden.
Die regelmäßige runde Linie, der Kreis oder das Oval, die geschlossene Räume
von großer, ruhiger Monumentalität erlauben, wird ebenso wie die gerade Linie
der Verachtung preisgegeben und die kulissenartig gewundene Wellenlinie, die
haltloseste aller Linien, als das höchste Mittel der Schönheit, der "Naturschönheit",


Die neue Gartenkunst

Zufälligkeiten erforderte, und daß daher der Gartenkünstler am glücklichsten
arbeite, wenn „er überall das Gegenteil von dem tue, was der Baumeister
beobachte".

Man blieb freilich nicht bei diesen reinen Negationen stehen, sondern suchte
an die Stelle des verhaßten architektonischen Prinzips der Symmetrie ein anderes
zu setzen, dessen sich eine „bescheidene" Kunst vor der schönen Natur allein
bedienen dürfe: nämlich das malerische Prinzip. Man fiel also von der
behaupteten künstlichen Abhängigkeit nur in eine andere und gab den Gartenbau,
nachdem man ihn aus einem Jahrtausende alten Bunde, in dem sein Ursprung
und seine Bedingnisse ruhten, gelöst hatte, in die Knechtschaft der Landschafts¬
malerei, mit der ihn kein lebendiges Band verknüpft noch je verknüpfen kann —
was hat ein Gemälde mit einem Garten zu tun!? Nach der neuen Lehre lag
die Einheit darin, daß beide ausgewählte Darstellungen der Natur zu geben
hätten: der Gartenkünstler soll wie der Landschaftsmaler einen Reichtum länd¬
licher Ideen aufspeichern, eine genaue Kenntnis der Gegenstände und Charaktere
der Landschaft und der mannigfachen Wirkungen haben, die sie in ihren ver¬
schiedenen Zusammensetzungen auf die menschliche Seele ausüben; er soll wie
dieser eine Fähigkeit haben, gute Verhältnisse wahrzunehmen, die Gesetze der
Perspektive und die Mittel ihrer Darstellung sowohl in Gestalt wie in Farbe
kennen, damit er dem Auge vor den einzelnen Teilen Ruhe und Befriedigung
gewähren und die Teile wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammen¬
schließen könne; er soll ein feines Gefühl für Farben haben, um nach dem ersten
Gesetz der Natur Wechsel und Mannigfaltigkeit hervorzurufen und durch die
Kontraste vom Heiteren bis zum Finsteren das Gemüt zu beeinflussen; vor
allem aber soll er, wie der Maler den Schein der Bewegung und des Lebens
schafft, wirkliche Bewegung schaffen: durch stürzendes Wasser, durch Viehtriften,
Gebäude, Ruinen, alles, was die Gegenwart des Menschen vermuten läßt, und
besonders durch die ausgiebigste Verwendung der Wellenlinie.

Es ist leicht einzusehen, aber es tut heute, wo nach hundertfünfzig Jahren
das freilich völlig verkommene Ideal des englischen Gartens noch allgemein
herrschend ist, sehr not zu betonen, daß fast alle diese Forderungen ebenso für
den Künstler des alten symmetrischen Gartens Geltung haben, das heißt, daß
sie kein besonderes neues Formprinzip aufstellen, sondern die freilich immer
notwendige Kenntnis der Grundstoffe betonen; nur im Verlangen nach Bewegung
durch das Mittel der Wellenlinie offenbart sich der schärfste Gegensatz zur
Grundform des alten, ja des Gartens überhaupt!

Der festbegrenzte, für das Auge meßbare und darum allein künstlerische,
schöne Verhältnisse ermöglichende Raum soll auf jeden Fall verflüchtigt werden.
Die regelmäßige runde Linie, der Kreis oder das Oval, die geschlossene Räume
von großer, ruhiger Monumentalität erlauben, wird ebenso wie die gerade Linie
der Verachtung preisgegeben und die kulissenartig gewundene Wellenlinie, die
haltloseste aller Linien, als das höchste Mittel der Schönheit, der „Naturschönheit",


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318403"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neue Gartenkunst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_505" prev="#ID_504"> Zufälligkeiten erforderte, und daß daher der Gartenkünstler am glücklichsten<lb/>
arbeite, wenn &#x201E;er überall das Gegenteil von dem tue, was der Baumeister<lb/>
beobachte".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_506"> Man blieb freilich nicht bei diesen reinen Negationen stehen, sondern suchte<lb/>
an die Stelle des verhaßten architektonischen Prinzips der Symmetrie ein anderes<lb/>
zu setzen, dessen sich eine &#x201E;bescheidene" Kunst vor der schönen Natur allein<lb/>
bedienen dürfe: nämlich das malerische Prinzip. Man fiel also von der<lb/>
behaupteten künstlichen Abhängigkeit nur in eine andere und gab den Gartenbau,<lb/>
nachdem man ihn aus einem Jahrtausende alten Bunde, in dem sein Ursprung<lb/>
und seine Bedingnisse ruhten, gelöst hatte, in die Knechtschaft der Landschafts¬<lb/>
malerei, mit der ihn kein lebendiges Band verknüpft noch je verknüpfen kann &#x2014;<lb/>
was hat ein Gemälde mit einem Garten zu tun!? Nach der neuen Lehre lag<lb/>
die Einheit darin, daß beide ausgewählte Darstellungen der Natur zu geben<lb/>
hätten: der Gartenkünstler soll wie der Landschaftsmaler einen Reichtum länd¬<lb/>
licher Ideen aufspeichern, eine genaue Kenntnis der Gegenstände und Charaktere<lb/>
der Landschaft und der mannigfachen Wirkungen haben, die sie in ihren ver¬<lb/>
schiedenen Zusammensetzungen auf die menschliche Seele ausüben; er soll wie<lb/>
dieser eine Fähigkeit haben, gute Verhältnisse wahrzunehmen, die Gesetze der<lb/>
Perspektive und die Mittel ihrer Darstellung sowohl in Gestalt wie in Farbe<lb/>
kennen, damit er dem Auge vor den einzelnen Teilen Ruhe und Befriedigung<lb/>
gewähren und die Teile wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammen¬<lb/>
schließen könne; er soll ein feines Gefühl für Farben haben, um nach dem ersten<lb/>
Gesetz der Natur Wechsel und Mannigfaltigkeit hervorzurufen und durch die<lb/>
Kontraste vom Heiteren bis zum Finsteren das Gemüt zu beeinflussen; vor<lb/>
allem aber soll er, wie der Maler den Schein der Bewegung und des Lebens<lb/>
schafft, wirkliche Bewegung schaffen: durch stürzendes Wasser, durch Viehtriften,<lb/>
Gebäude, Ruinen, alles, was die Gegenwart des Menschen vermuten läßt, und<lb/>
besonders durch die ausgiebigste Verwendung der Wellenlinie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_507"> Es ist leicht einzusehen, aber es tut heute, wo nach hundertfünfzig Jahren<lb/>
das freilich völlig verkommene Ideal des englischen Gartens noch allgemein<lb/>
herrschend ist, sehr not zu betonen, daß fast alle diese Forderungen ebenso für<lb/>
den Künstler des alten symmetrischen Gartens Geltung haben, das heißt, daß<lb/>
sie kein besonderes neues Formprinzip aufstellen, sondern die freilich immer<lb/>
notwendige Kenntnis der Grundstoffe betonen; nur im Verlangen nach Bewegung<lb/>
durch das Mittel der Wellenlinie offenbart sich der schärfste Gegensatz zur<lb/>
Grundform des alten, ja des Gartens überhaupt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> Der festbegrenzte, für das Auge meßbare und darum allein künstlerische,<lb/>
schöne Verhältnisse ermöglichende Raum soll auf jeden Fall verflüchtigt werden.<lb/>
Die regelmäßige runde Linie, der Kreis oder das Oval, die geschlossene Räume<lb/>
von großer, ruhiger Monumentalität erlauben, wird ebenso wie die gerade Linie<lb/>
der Verachtung preisgegeben und die kulissenartig gewundene Wellenlinie, die<lb/>
haltloseste aller Linien, als das höchste Mittel der Schönheit, der &#x201E;Naturschönheit",</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Die neue Gartenkunst Zufälligkeiten erforderte, und daß daher der Gartenkünstler am glücklichsten arbeite, wenn „er überall das Gegenteil von dem tue, was der Baumeister beobachte". Man blieb freilich nicht bei diesen reinen Negationen stehen, sondern suchte an die Stelle des verhaßten architektonischen Prinzips der Symmetrie ein anderes zu setzen, dessen sich eine „bescheidene" Kunst vor der schönen Natur allein bedienen dürfe: nämlich das malerische Prinzip. Man fiel also von der behaupteten künstlichen Abhängigkeit nur in eine andere und gab den Gartenbau, nachdem man ihn aus einem Jahrtausende alten Bunde, in dem sein Ursprung und seine Bedingnisse ruhten, gelöst hatte, in die Knechtschaft der Landschafts¬ malerei, mit der ihn kein lebendiges Band verknüpft noch je verknüpfen kann — was hat ein Gemälde mit einem Garten zu tun!? Nach der neuen Lehre lag die Einheit darin, daß beide ausgewählte Darstellungen der Natur zu geben hätten: der Gartenkünstler soll wie der Landschaftsmaler einen Reichtum länd¬ licher Ideen aufspeichern, eine genaue Kenntnis der Gegenstände und Charaktere der Landschaft und der mannigfachen Wirkungen haben, die sie in ihren ver¬ schiedenen Zusammensetzungen auf die menschliche Seele ausüben; er soll wie dieser eine Fähigkeit haben, gute Verhältnisse wahrzunehmen, die Gesetze der Perspektive und die Mittel ihrer Darstellung sowohl in Gestalt wie in Farbe kennen, damit er dem Auge vor den einzelnen Teilen Ruhe und Befriedigung gewähren und die Teile wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammen¬ schließen könne; er soll ein feines Gefühl für Farben haben, um nach dem ersten Gesetz der Natur Wechsel und Mannigfaltigkeit hervorzurufen und durch die Kontraste vom Heiteren bis zum Finsteren das Gemüt zu beeinflussen; vor allem aber soll er, wie der Maler den Schein der Bewegung und des Lebens schafft, wirkliche Bewegung schaffen: durch stürzendes Wasser, durch Viehtriften, Gebäude, Ruinen, alles, was die Gegenwart des Menschen vermuten läßt, und besonders durch die ausgiebigste Verwendung der Wellenlinie. Es ist leicht einzusehen, aber es tut heute, wo nach hundertfünfzig Jahren das freilich völlig verkommene Ideal des englischen Gartens noch allgemein herrschend ist, sehr not zu betonen, daß fast alle diese Forderungen ebenso für den Künstler des alten symmetrischen Gartens Geltung haben, das heißt, daß sie kein besonderes neues Formprinzip aufstellen, sondern die freilich immer notwendige Kenntnis der Grundstoffe betonen; nur im Verlangen nach Bewegung durch das Mittel der Wellenlinie offenbart sich der schärfste Gegensatz zur Grundform des alten, ja des Gartens überhaupt! Der festbegrenzte, für das Auge meßbare und darum allein künstlerische, schöne Verhältnisse ermöglichende Raum soll auf jeden Fall verflüchtigt werden. Die regelmäßige runde Linie, der Kreis oder das Oval, die geschlossene Räume von großer, ruhiger Monumentalität erlauben, wird ebenso wie die gerade Linie der Verachtung preisgegeben und die kulissenartig gewundene Wellenlinie, die haltloseste aller Linien, als das höchste Mittel der Schönheit, der „Naturschönheit",

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/120>, abgerufen am 03.07.2024.