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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

schöpferischen Kraft, die aus den ewig gleichen Stoffgewalten ein Gebild zu formen
vermag, und ohne dieseKraft verliert der Geist sich auf den Wassern und Wolken jener
Stoffgewalten ins schwärmerische, ja bis ins Chaotische. Die Gartenkunst ging,
wie die meisten anderen Künste, seit dem Zerfall der einheitlichen Kultur des
Rokoko langsam diesen Weg. Zunächst schien es freilich den Zeitgenossen, als
ob das schwärmerische Gefühl und die Anbetung der Natur selbst die Formungs¬
kräfte seien, die ein neues schönes Leben gestalten könnten, und man begann,
mit allen Zeiten Abrechnung zu halten, indem man sie vor das Urteil Rousseauscher
Ideale zog. Vor diesen bestanden sie alle nicht. Die hängenden Gärten Babylons,
die Paradiese der Perser, die griechischen und römischen Gärten mit ihren strengen
Formen fanden keine Gnade vor den Geistern, denen die möglichste Annäherung
an die natürliche Landschaft das erste Gebot der Gartenkunst wurde.

Die Gärten der neueren Zeit aber fielen mit einigen unwesentlichen nationalen
Abweichungen unter den Begriff des "französischen Gartens", den man der
größten Verachtung preisgab, während der natürliche Geschmack der Eng'ander
als einzig würdig der Nacheiferung gepriesen wurde. Man sah wohl, daß einige
Spielereien des Rokokogartens mehr ein Zeitliches und Zufälliges seien, die den
Verfall einer adligen Kultur andeuteten und die eine neue Gestaltungskraft
leicht hätte vernichten können, um den alten großen Grundgedanken des schönen
Gartenbaues Entfaltung zu verschaffen; aber da diese Gestaltungskraft fehlte, so
richtete sich die Kritik geradezu gegen diese Grundgedanken selbst. Einschränkung
und Regelmäßigkeit, Ruhe und Symmetrie wurden als die herrschenden Gesetze
aller Gärten der alten und neuen Zeit erkannt und verdammt. Man konnte
der Kunst des Le Untre. die den Geist Ludwigs des Vierzehnten spiegelte und
die oft den Eigensinn der Natur mit ungeheueren Kräften und Kosten über¬
wältigte, nicht völlig Pracht und Größe absprechen, aber man erklärte sie für
unerträglich und ekelhaft, weil sie der "natürlichen" Pracht und Größe der
Briten widerspräche und auf der völlig falschen Vorstellung beruhe, daß der
Garten aus seiner nahen Verbindung mit dem Gebäude entwickelt und den
Grundsätzen der Baukunst mit unterworfen würde. Daß dieser "Irrtum", weil
der Garten ja mit den: Hause ursprünglich als Einheit geschaffen wurde, ehemals
entstehen und durch die Jahrtausende großer Kulturepochen unverändert bestehen
konnte, schien nicht verwunderlich, wenn man die Bequemlichkeit des nachahmenden
menschlichen Geistes betrachtete, der die einmal gefundene und leicht zu hand¬
habende Regel der Symmetrie der Mühe vorzog, welche die Ausbildung eines
mit der Natur übereinstimmenden Geschmackes erforderte; aber verwunderlich
erschien freilich, daß das aufgeklärte Jahrhundert so langer Zeit zu der Einsicht
bedürfte, daß die Gesetze der Gartenkunst denen der Baukunst völlig entgegen¬
gesetzt seien, daß diese es mit der Gestaltung einer Vertikal-, jene es mit der
Gestaltung einer Horizontalfläche zu tun habe, die nicht die leichte Überschau
regelmäßiger Teile und Verhältnisse, sondern eine Verhüllung des Gesamtplanes,
eine absichtliche Verwicklung der Anlagen durch Ungleichheiten und regellose


Die neue Gartenkunst

schöpferischen Kraft, die aus den ewig gleichen Stoffgewalten ein Gebild zu formen
vermag, und ohne dieseKraft verliert der Geist sich auf den Wassern und Wolken jener
Stoffgewalten ins schwärmerische, ja bis ins Chaotische. Die Gartenkunst ging,
wie die meisten anderen Künste, seit dem Zerfall der einheitlichen Kultur des
Rokoko langsam diesen Weg. Zunächst schien es freilich den Zeitgenossen, als
ob das schwärmerische Gefühl und die Anbetung der Natur selbst die Formungs¬
kräfte seien, die ein neues schönes Leben gestalten könnten, und man begann,
mit allen Zeiten Abrechnung zu halten, indem man sie vor das Urteil Rousseauscher
Ideale zog. Vor diesen bestanden sie alle nicht. Die hängenden Gärten Babylons,
die Paradiese der Perser, die griechischen und römischen Gärten mit ihren strengen
Formen fanden keine Gnade vor den Geistern, denen die möglichste Annäherung
an die natürliche Landschaft das erste Gebot der Gartenkunst wurde.

Die Gärten der neueren Zeit aber fielen mit einigen unwesentlichen nationalen
Abweichungen unter den Begriff des „französischen Gartens", den man der
größten Verachtung preisgab, während der natürliche Geschmack der Eng'ander
als einzig würdig der Nacheiferung gepriesen wurde. Man sah wohl, daß einige
Spielereien des Rokokogartens mehr ein Zeitliches und Zufälliges seien, die den
Verfall einer adligen Kultur andeuteten und die eine neue Gestaltungskraft
leicht hätte vernichten können, um den alten großen Grundgedanken des schönen
Gartenbaues Entfaltung zu verschaffen; aber da diese Gestaltungskraft fehlte, so
richtete sich die Kritik geradezu gegen diese Grundgedanken selbst. Einschränkung
und Regelmäßigkeit, Ruhe und Symmetrie wurden als die herrschenden Gesetze
aller Gärten der alten und neuen Zeit erkannt und verdammt. Man konnte
der Kunst des Le Untre. die den Geist Ludwigs des Vierzehnten spiegelte und
die oft den Eigensinn der Natur mit ungeheueren Kräften und Kosten über¬
wältigte, nicht völlig Pracht und Größe absprechen, aber man erklärte sie für
unerträglich und ekelhaft, weil sie der „natürlichen" Pracht und Größe der
Briten widerspräche und auf der völlig falschen Vorstellung beruhe, daß der
Garten aus seiner nahen Verbindung mit dem Gebäude entwickelt und den
Grundsätzen der Baukunst mit unterworfen würde. Daß dieser „Irrtum", weil
der Garten ja mit den: Hause ursprünglich als Einheit geschaffen wurde, ehemals
entstehen und durch die Jahrtausende großer Kulturepochen unverändert bestehen
konnte, schien nicht verwunderlich, wenn man die Bequemlichkeit des nachahmenden
menschlichen Geistes betrachtete, der die einmal gefundene und leicht zu hand¬
habende Regel der Symmetrie der Mühe vorzog, welche die Ausbildung eines
mit der Natur übereinstimmenden Geschmackes erforderte; aber verwunderlich
erschien freilich, daß das aufgeklärte Jahrhundert so langer Zeit zu der Einsicht
bedürfte, daß die Gesetze der Gartenkunst denen der Baukunst völlig entgegen¬
gesetzt seien, daß diese es mit der Gestaltung einer Vertikal-, jene es mit der
Gestaltung einer Horizontalfläche zu tun habe, die nicht die leichte Überschau
regelmäßiger Teile und Verhältnisse, sondern eine Verhüllung des Gesamtplanes,
eine absichtliche Verwicklung der Anlagen durch Ungleichheiten und regellose


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[0119] Die neue Gartenkunst schöpferischen Kraft, die aus den ewig gleichen Stoffgewalten ein Gebild zu formen vermag, und ohne dieseKraft verliert der Geist sich auf den Wassern und Wolken jener Stoffgewalten ins schwärmerische, ja bis ins Chaotische. Die Gartenkunst ging, wie die meisten anderen Künste, seit dem Zerfall der einheitlichen Kultur des Rokoko langsam diesen Weg. Zunächst schien es freilich den Zeitgenossen, als ob das schwärmerische Gefühl und die Anbetung der Natur selbst die Formungs¬ kräfte seien, die ein neues schönes Leben gestalten könnten, und man begann, mit allen Zeiten Abrechnung zu halten, indem man sie vor das Urteil Rousseauscher Ideale zog. Vor diesen bestanden sie alle nicht. Die hängenden Gärten Babylons, die Paradiese der Perser, die griechischen und römischen Gärten mit ihren strengen Formen fanden keine Gnade vor den Geistern, denen die möglichste Annäherung an die natürliche Landschaft das erste Gebot der Gartenkunst wurde. Die Gärten der neueren Zeit aber fielen mit einigen unwesentlichen nationalen Abweichungen unter den Begriff des „französischen Gartens", den man der größten Verachtung preisgab, während der natürliche Geschmack der Eng'ander als einzig würdig der Nacheiferung gepriesen wurde. Man sah wohl, daß einige Spielereien des Rokokogartens mehr ein Zeitliches und Zufälliges seien, die den Verfall einer adligen Kultur andeuteten und die eine neue Gestaltungskraft leicht hätte vernichten können, um den alten großen Grundgedanken des schönen Gartenbaues Entfaltung zu verschaffen; aber da diese Gestaltungskraft fehlte, so richtete sich die Kritik geradezu gegen diese Grundgedanken selbst. Einschränkung und Regelmäßigkeit, Ruhe und Symmetrie wurden als die herrschenden Gesetze aller Gärten der alten und neuen Zeit erkannt und verdammt. Man konnte der Kunst des Le Untre. die den Geist Ludwigs des Vierzehnten spiegelte und die oft den Eigensinn der Natur mit ungeheueren Kräften und Kosten über¬ wältigte, nicht völlig Pracht und Größe absprechen, aber man erklärte sie für unerträglich und ekelhaft, weil sie der „natürlichen" Pracht und Größe der Briten widerspräche und auf der völlig falschen Vorstellung beruhe, daß der Garten aus seiner nahen Verbindung mit dem Gebäude entwickelt und den Grundsätzen der Baukunst mit unterworfen würde. Daß dieser „Irrtum", weil der Garten ja mit den: Hause ursprünglich als Einheit geschaffen wurde, ehemals entstehen und durch die Jahrtausende großer Kulturepochen unverändert bestehen konnte, schien nicht verwunderlich, wenn man die Bequemlichkeit des nachahmenden menschlichen Geistes betrachtete, der die einmal gefundene und leicht zu hand¬ habende Regel der Symmetrie der Mühe vorzog, welche die Ausbildung eines mit der Natur übereinstimmenden Geschmackes erforderte; aber verwunderlich erschien freilich, daß das aufgeklärte Jahrhundert so langer Zeit zu der Einsicht bedürfte, daß die Gesetze der Gartenkunst denen der Baukunst völlig entgegen¬ gesetzt seien, daß diese es mit der Gestaltung einer Vertikal-, jene es mit der Gestaltung einer Horizontalfläche zu tun habe, die nicht die leichte Überschau regelmäßiger Teile und Verhältnisse, sondern eine Verhüllung des Gesamtplanes, eine absichtliche Verwicklung der Anlagen durch Ungleichheiten und regellose

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/119>, abgerufen am 03.07.2024.