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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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scheidenden, die wir doch mit Fug und Recht eine Zierde der Jugend nennen,
und die unter allen menschlichen Tugenden vielleicht die deutscheste ist. Dennoch
empfinden mir ihre Abwesenheit an diesen: urwüchsigen Charakter kaum als
einen Mangel; so reich entschädigt er für alles Versagen seiner Natur durch
seine unwiderstehliche Kraft, deren Ausbrüche jedes Durchschnittsmaßes zu spotten
scheinen. Einen Abkömmling Thors glauben wir vor uns zu sehen oder einen
von Shakespeares ungestümen Helden aus Englands Heroenzeit. Wir begreifen,
daß von diesen: Juugburschen Bescheidenheit erwarten sein Wesen und sein
Daseinsrecht verkennen heißt. Alle Fasern seines Wesens wiesen ihn auf Kampf
und Sieg.

So verkörperte Bismarck nach dem ganzen Zuschnitt seines Wesens eine
neue Mischung des deutschen Charakters. Und wie verschieden auch diese Mischung
von der Goethes ausfiel, in dem Verhältnis des väterlichen und des mütter¬
lichen Elements besteht zwischen Bismarck und Goethe eine auffallende Überein¬
stimmung. Denn ganz augenscheinlich verdanken beide Männer ihren Vätern
den kräftigen Bau ihres Körpers wie ihres Willens und ebenso die bestimmende
Richtung dieses Willens auf das Positive: auf die Bezähmung ihrer leiden¬
schaftlichen Natur und auf die endliche Einfügung ihrer selbstherrlichen Sinnesart
in die vorgefundene Staats- und Gesellschaftsordnung. Dies ist es, was Goethe
in seiner bekannten Strophe "des Lebens ernstes Führen" nennt. Dagegen
verraten sich ihre geistigen Anlagen nicht minder deutlich als mütterliches Erbteil.
Bismarcks Vorfahren von mütterlicher Seite waren Gelehrte und Hofbeamte.
Der Großvater Mencken hatte auch eine diplomatische Stellung in Stockholm mit
Ehren bekleidet. Aus mehrfachen Äußerungen Bismarcks wissen wir -- die aus¬
führlichste enthält wohl sein Brief an Kaiser Wilhelm vom 24. Dezember 1872 --,
daß er trotz seiner beispiellosen Erfolge als Diplomat und Staatsmann im Gründe
doch seine militärischen Anlagen für die ursprünglich überwiegenden hielt. Un¬
willkürlich erinnern wir uns dabei an Friedrich den Großen, der ebenfalls, nur
in umgekehrter Richtung wie Bismarck, seine Leistungen als Herrscher und Feldherr
geringer bewertete als seine Liebhabereien und auf seine ruhmreichsten Siege
nicht so stolz war als auf einen gelungenen Versuch in Versen. Vielleicht
beobachtete sich Bismarck richtiger als König Friedrich, wenn er auf dem Grunde
seines Herzens eine größere Vorliebe für das Schwert entdeckte als für die Feder.
Das darf uns indessen nicht abhalten, schon an den: Jüngling eine auffallende
Federgewandtheit festzustellen, wie sie in seinen: Stande selten anzutreffen war.
Ohne Frage haben wir in dieser Begabung, die für Bismarcks Laufbahn ent¬
scheidend wurde, ein mütterliches Erbteil zu erblicken. Marcks bezeichnet die
Briefe des Vaters als gemütvoll und verständig, aber nicht frei von Verstößen
gegen Grammatik und Rechtschreibung, während die Briefe der Mutter die
geistige Kultur ihrer Zeit an sich trugen, wein: sie auch an Wärme der Empfindung
den Briefen des Vaters nachstanden. Bismarcks eigenes Verhältnis zur deutschen
Schriftsprache ist das des geborenen Schriftstellers. Das gilt zunächst schon für


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scheidenden, die wir doch mit Fug und Recht eine Zierde der Jugend nennen,
und die unter allen menschlichen Tugenden vielleicht die deutscheste ist. Dennoch
empfinden mir ihre Abwesenheit an diesen: urwüchsigen Charakter kaum als
einen Mangel; so reich entschädigt er für alles Versagen seiner Natur durch
seine unwiderstehliche Kraft, deren Ausbrüche jedes Durchschnittsmaßes zu spotten
scheinen. Einen Abkömmling Thors glauben wir vor uns zu sehen oder einen
von Shakespeares ungestümen Helden aus Englands Heroenzeit. Wir begreifen,
daß von diesen: Juugburschen Bescheidenheit erwarten sein Wesen und sein
Daseinsrecht verkennen heißt. Alle Fasern seines Wesens wiesen ihn auf Kampf
und Sieg.

So verkörperte Bismarck nach dem ganzen Zuschnitt seines Wesens eine
neue Mischung des deutschen Charakters. Und wie verschieden auch diese Mischung
von der Goethes ausfiel, in dem Verhältnis des väterlichen und des mütter¬
lichen Elements besteht zwischen Bismarck und Goethe eine auffallende Überein¬
stimmung. Denn ganz augenscheinlich verdanken beide Männer ihren Vätern
den kräftigen Bau ihres Körpers wie ihres Willens und ebenso die bestimmende
Richtung dieses Willens auf das Positive: auf die Bezähmung ihrer leiden¬
schaftlichen Natur und auf die endliche Einfügung ihrer selbstherrlichen Sinnesart
in die vorgefundene Staats- und Gesellschaftsordnung. Dies ist es, was Goethe
in seiner bekannten Strophe „des Lebens ernstes Führen" nennt. Dagegen
verraten sich ihre geistigen Anlagen nicht minder deutlich als mütterliches Erbteil.
Bismarcks Vorfahren von mütterlicher Seite waren Gelehrte und Hofbeamte.
Der Großvater Mencken hatte auch eine diplomatische Stellung in Stockholm mit
Ehren bekleidet. Aus mehrfachen Äußerungen Bismarcks wissen wir — die aus¬
führlichste enthält wohl sein Brief an Kaiser Wilhelm vom 24. Dezember 1872 —,
daß er trotz seiner beispiellosen Erfolge als Diplomat und Staatsmann im Gründe
doch seine militärischen Anlagen für die ursprünglich überwiegenden hielt. Un¬
willkürlich erinnern wir uns dabei an Friedrich den Großen, der ebenfalls, nur
in umgekehrter Richtung wie Bismarck, seine Leistungen als Herrscher und Feldherr
geringer bewertete als seine Liebhabereien und auf seine ruhmreichsten Siege
nicht so stolz war als auf einen gelungenen Versuch in Versen. Vielleicht
beobachtete sich Bismarck richtiger als König Friedrich, wenn er auf dem Grunde
seines Herzens eine größere Vorliebe für das Schwert entdeckte als für die Feder.
Das darf uns indessen nicht abhalten, schon an den: Jüngling eine auffallende
Federgewandtheit festzustellen, wie sie in seinen: Stande selten anzutreffen war.
Ohne Frage haben wir in dieser Begabung, die für Bismarcks Laufbahn ent¬
scheidend wurde, ein mütterliches Erbteil zu erblicken. Marcks bezeichnet die
Briefe des Vaters als gemütvoll und verständig, aber nicht frei von Verstößen
gegen Grammatik und Rechtschreibung, während die Briefe der Mutter die
geistige Kultur ihrer Zeit an sich trugen, wein: sie auch an Wärme der Empfindung
den Briefen des Vaters nachstanden. Bismarcks eigenes Verhältnis zur deutschen
Schriftsprache ist das des geborenen Schriftstellers. Das gilt zunächst schon für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/617>, abgerufen am 04.07.2024.