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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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das Mechanische des Handwerks, dessen Wert so oft unterschätzt wird. Wir
hören von Bismarck selbst, daß er als junger Auskultator am Berliner Kriminal¬
gericht über Gebühr zum Protokollführ en herangezogen wurde, weil er besonders
schnell und lesbar schrieb. Die charakteristische Schönheit seiner Handschrift ist
heute wohl jedem gebildeten Deutschen vertraut. Wichtiger als sie ist Bismarcks
stilistische Begabung. Auch auf diesem Felde kündigt sich die Meisterschaft des
Mannes in seinen Jugendjahren deutlich an. Bismarcks Briefe an Eltern und
Geschwister, an Verwandte und Freunde sind von Anfang an lebendig und
fesselnd geschrieben. Ihre bekannten Vorzüge sind schon den Jugendbriefen eigen:
Reichtum des Ausdrucks, Anschaulichkeit der Schilderung und ein sprudelnder
Humor. Von den frühesten Meistern des Briefstils, den Franzosen, stammt die
goldene Regel: "Schreibe, wie du sprichst." In dieser Kunst ist Bismarck
unübertroffen.

Seine stilistische Begabung zeigt sich aber nicht nur in Briefen. Im
Februar 1843 schrieb er seinen ersten Zeitungsaufsatz; nach der Gründung der
Kreuzzeitung im Jahre 1848 hat Bismarck einige Jahre zu ihren ständigen
Mitarbeitern gehört. Talent und Übung vereinigten sich so, um zuletzt die
vollendete Beherrschung des schriftlichen Ausdrucks hervorzubringen, die den
späteren Bismarck auszeichnete.

Daß diese ausgesprochene schriftstellerische Befähigung auf Bismarcks mütter¬
liche Vorfahren zurückweist, leuchtet ohne weiteres ein. Sie war übrigens keine
vereinzelte Fähigkeit. Otto v. Bismarck zeigte schon auf der Schule einen
ungewöhnlich offenen Kopf; erst siebzehnjährig verließ er sie Ostern 1832 mit
dem Reifezeugnis, ohne sich doch sonderlich angestrengt zu haben. Wenn von
Wissensdurst bei ihm gesprochen werden kann, so äußerte sich dieser vornehmlich
in einem ausgeprägten Lesebedürfnis. Geschichte und Literatur, auch ausländische
Dichter beschäftigten ihn viel. Liebe zur Wissenschaft hat ihm selbst die Hoch¬
schule nicht einzuflößen vermocht. Hervorragende Gelehrte wie Dahlmann in
Göttingen und Savigny in Berlin haben Bismarck nicht merklich beeinflußt.
Der Schule verdankte er wenig, dem Leben mehr, das meiste seiner angeborenen
Naturkraft. Der Schwerpunkt seines Daseins lag auch während der Universitäts¬
jahre nicht in den Hörsälen, sondern in dem studentischen Leben mit der Devise:
"Frei ist der Bursch". In den drei ersten Semestern bestand er fünfundzwanzig
Mensuren. Nach einem Konflikt zwischen den Göttinger Korps und der Universitäts¬
behörde übernahm Bismarck freiwillig die Rolle des Sündenbocks, weil die
Strafen der Georgia August" für ihn als Preußen weniger nachteilige Folgen
hatten als für seine hannoverschen Korpsbrüder.

Ein unmittelbares Vorgefühl seines Berufes äußert sich in Bismarcks
Neigung zum Verkehr mit Engländern und Ungko-Amerikanern, wie in Göttingen
so später in Aachen. Sie verhalf ihm zu einer anregenden Freundschaft mit
dem nachmaligen Historiker John Lothrop Motley, der beide Teile eine folgen¬
reiche Erweiterung ihres Gesichtskreises verdankten. Diese amerikanischen Freund--


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das Mechanische des Handwerks, dessen Wert so oft unterschätzt wird. Wir
hören von Bismarck selbst, daß er als junger Auskultator am Berliner Kriminal¬
gericht über Gebühr zum Protokollführ en herangezogen wurde, weil er besonders
schnell und lesbar schrieb. Die charakteristische Schönheit seiner Handschrift ist
heute wohl jedem gebildeten Deutschen vertraut. Wichtiger als sie ist Bismarcks
stilistische Begabung. Auch auf diesem Felde kündigt sich die Meisterschaft des
Mannes in seinen Jugendjahren deutlich an. Bismarcks Briefe an Eltern und
Geschwister, an Verwandte und Freunde sind von Anfang an lebendig und
fesselnd geschrieben. Ihre bekannten Vorzüge sind schon den Jugendbriefen eigen:
Reichtum des Ausdrucks, Anschaulichkeit der Schilderung und ein sprudelnder
Humor. Von den frühesten Meistern des Briefstils, den Franzosen, stammt die
goldene Regel: „Schreibe, wie du sprichst." In dieser Kunst ist Bismarck
unübertroffen.

Seine stilistische Begabung zeigt sich aber nicht nur in Briefen. Im
Februar 1843 schrieb er seinen ersten Zeitungsaufsatz; nach der Gründung der
Kreuzzeitung im Jahre 1848 hat Bismarck einige Jahre zu ihren ständigen
Mitarbeitern gehört. Talent und Übung vereinigten sich so, um zuletzt die
vollendete Beherrschung des schriftlichen Ausdrucks hervorzubringen, die den
späteren Bismarck auszeichnete.

Daß diese ausgesprochene schriftstellerische Befähigung auf Bismarcks mütter¬
liche Vorfahren zurückweist, leuchtet ohne weiteres ein. Sie war übrigens keine
vereinzelte Fähigkeit. Otto v. Bismarck zeigte schon auf der Schule einen
ungewöhnlich offenen Kopf; erst siebzehnjährig verließ er sie Ostern 1832 mit
dem Reifezeugnis, ohne sich doch sonderlich angestrengt zu haben. Wenn von
Wissensdurst bei ihm gesprochen werden kann, so äußerte sich dieser vornehmlich
in einem ausgeprägten Lesebedürfnis. Geschichte und Literatur, auch ausländische
Dichter beschäftigten ihn viel. Liebe zur Wissenschaft hat ihm selbst die Hoch¬
schule nicht einzuflößen vermocht. Hervorragende Gelehrte wie Dahlmann in
Göttingen und Savigny in Berlin haben Bismarck nicht merklich beeinflußt.
Der Schule verdankte er wenig, dem Leben mehr, das meiste seiner angeborenen
Naturkraft. Der Schwerpunkt seines Daseins lag auch während der Universitäts¬
jahre nicht in den Hörsälen, sondern in dem studentischen Leben mit der Devise:
„Frei ist der Bursch". In den drei ersten Semestern bestand er fünfundzwanzig
Mensuren. Nach einem Konflikt zwischen den Göttinger Korps und der Universitäts¬
behörde übernahm Bismarck freiwillig die Rolle des Sündenbocks, weil die
Strafen der Georgia August« für ihn als Preußen weniger nachteilige Folgen
hatten als für seine hannoverschen Korpsbrüder.

Ein unmittelbares Vorgefühl seines Berufes äußert sich in Bismarcks
Neigung zum Verkehr mit Engländern und Ungko-Amerikanern, wie in Göttingen
so später in Aachen. Sie verhalf ihm zu einer anregenden Freundschaft mit
dem nachmaligen Historiker John Lothrop Motley, der beide Teile eine folgen¬
reiche Erweiterung ihres Gesichtskreises verdankten. Diese amerikanischen Freund--


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[0618] ^er junge Lismarck das Mechanische des Handwerks, dessen Wert so oft unterschätzt wird. Wir hören von Bismarck selbst, daß er als junger Auskultator am Berliner Kriminal¬ gericht über Gebühr zum Protokollführ en herangezogen wurde, weil er besonders schnell und lesbar schrieb. Die charakteristische Schönheit seiner Handschrift ist heute wohl jedem gebildeten Deutschen vertraut. Wichtiger als sie ist Bismarcks stilistische Begabung. Auch auf diesem Felde kündigt sich die Meisterschaft des Mannes in seinen Jugendjahren deutlich an. Bismarcks Briefe an Eltern und Geschwister, an Verwandte und Freunde sind von Anfang an lebendig und fesselnd geschrieben. Ihre bekannten Vorzüge sind schon den Jugendbriefen eigen: Reichtum des Ausdrucks, Anschaulichkeit der Schilderung und ein sprudelnder Humor. Von den frühesten Meistern des Briefstils, den Franzosen, stammt die goldene Regel: „Schreibe, wie du sprichst." In dieser Kunst ist Bismarck unübertroffen. Seine stilistische Begabung zeigt sich aber nicht nur in Briefen. Im Februar 1843 schrieb er seinen ersten Zeitungsaufsatz; nach der Gründung der Kreuzzeitung im Jahre 1848 hat Bismarck einige Jahre zu ihren ständigen Mitarbeitern gehört. Talent und Übung vereinigten sich so, um zuletzt die vollendete Beherrschung des schriftlichen Ausdrucks hervorzubringen, die den späteren Bismarck auszeichnete. Daß diese ausgesprochene schriftstellerische Befähigung auf Bismarcks mütter¬ liche Vorfahren zurückweist, leuchtet ohne weiteres ein. Sie war übrigens keine vereinzelte Fähigkeit. Otto v. Bismarck zeigte schon auf der Schule einen ungewöhnlich offenen Kopf; erst siebzehnjährig verließ er sie Ostern 1832 mit dem Reifezeugnis, ohne sich doch sonderlich angestrengt zu haben. Wenn von Wissensdurst bei ihm gesprochen werden kann, so äußerte sich dieser vornehmlich in einem ausgeprägten Lesebedürfnis. Geschichte und Literatur, auch ausländische Dichter beschäftigten ihn viel. Liebe zur Wissenschaft hat ihm selbst die Hoch¬ schule nicht einzuflößen vermocht. Hervorragende Gelehrte wie Dahlmann in Göttingen und Savigny in Berlin haben Bismarck nicht merklich beeinflußt. Der Schule verdankte er wenig, dem Leben mehr, das meiste seiner angeborenen Naturkraft. Der Schwerpunkt seines Daseins lag auch während der Universitäts¬ jahre nicht in den Hörsälen, sondern in dem studentischen Leben mit der Devise: „Frei ist der Bursch". In den drei ersten Semestern bestand er fünfundzwanzig Mensuren. Nach einem Konflikt zwischen den Göttinger Korps und der Universitäts¬ behörde übernahm Bismarck freiwillig die Rolle des Sündenbocks, weil die Strafen der Georgia August« für ihn als Preußen weniger nachteilige Folgen hatten als für seine hannoverschen Korpsbrüder. Ein unmittelbares Vorgefühl seines Berufes äußert sich in Bismarcks Neigung zum Verkehr mit Engländern und Ungko-Amerikanern, wie in Göttingen so später in Aachen. Sie verhalf ihm zu einer anregenden Freundschaft mit dem nachmaligen Historiker John Lothrop Motley, der beide Teile eine folgen¬ reiche Erweiterung ihres Gesichtskreises verdankten. Diese amerikanischen Freund--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/618>, abgerufen am 04.07.2024.