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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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auch für die letzte Motivierung seiner späteren geschichtlichen Taten find nichts¬
destoweniger seine Anfänge bestimmend.

Es ist sicher kein Zufall, daß sich an die ebenso schwere wie lohnende
Aufgabe einer wissenschaftlichen Bearbeitung von Bismarcks Leben derselbe
Gelehrte gewagt hat, dem wir die beste Biographie Kaiser Wilhelms des Ersten
verdanken: Professor Erich Marcks"). Denn das einzigartige Verhältnis Bismarcks
zu Kaiser Wilhelm dem Ersten, das wir mit den überkommenen Wendungen
von dem treuen Paladin oder Vasallen nur andeutend umschreiben, erscheint
immer bewundernswerter und rühmlicher für beide Teile, je mehr es in seinen
Zusammenhängen bekannt wird. So viel steht fest: in dem Gesamtbild der
Persönlichkeit Bismarcks ist die freiwillige Unterordnung dieses Genius unter
seinen königlichen Herrn der wichtigste und schönste Zug, die Seite seines Ver¬
haltens, von der die hellsten und wärmendstcn Lichtstrahlen auf seinen Charakter
fallen. Er hatte wohl selbst ein deutliches Gefühl davon. Seine Größe lag
sonst nicht in der Richtung eines sittlichen Ideals; die Politik absorbierte ihn.
Wenn er wiederholt den alten Ausspruch auf sich anwandte: patrias mserviericlo
Lor8umor, so dachte er dabei vermutlich nicht nur an seine leibliche Gesundheit.
Um so aufrichtender war dann für ihn selbst der Rückblick auf das eine, niemals
getrübte Lebensverhältnis, in dessen Wandlungen sich der edle Kern seines
Charakters gegen alle äußeren und inneren Anfechtungen behauptet hatte. "Ein
treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten" -- das war der
Ruhmestitel, den kein Geringerer als er selbst für seine Grabschrift wählte.

Der erste Band des Werkes behandelt Bismarcks Jugend. Er zeigt den
Verfasser auf der Höhe seiner Aufgabe. In die handschriftlichen Schätze des
Bismarckschen Hauses haben ihn: dessen Angehörige bereitwillig Einblick vergönnt,
an ihrer Spitze noch Fürst Herbert Bismarck, dessen Andenken Marcks sein Buch
in dankbarer Pietät gewidmet hat.

Auf diesen urkundlichen Grundlagen läßt er mit Hilfe einer glänzenden
Darstellungskunst, die oft an Dahlmann gemahnt, die Gestalt des jungen Bis¬
marck vor unseren Augen emporwachsen. Und kein nachdenklicher Leser wird sich
des Staunens darüber erwehren können, wie scharf und deutlich an dem unfertigen
Jüngling schon die entscheidenden Charakterzüge des Mannes hervortreten --
in dem, was er war, und fast noch mehr in dem, was er nicht war. Denn
es ist einmal so: mit allem, was vor ihm als deutsche Typen gelten mochte,
hat dieser Bismarck verschwindend wenig gemein. Da ist keine Spur vom Dichter
oder Denker; da ist weder eine technische Anlage noch ein persönliches Verhältnis
zu irgendeiner Kunst oder Wissenschaft mit alleiniger Ausnahme der Geschicht¬
schreibung. Auch vom deutschen Träumer ist nichts zu entdecken, nicht im
schlimmen und auch nicht im guten Sinne. Dieser Junker Bismarck ist kein
blöder Tor; aber vergeblich suchen wir auch bei ihm jene liebenswürdige Be-



*) Bismarck. Eine Biographie. Von Erich Marcks. Erster Band! Bismarcks Jugend.
Stuttgart und Berlin. I. G. Cottasche Buchhandlung Nachf.
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auch für die letzte Motivierung seiner späteren geschichtlichen Taten find nichts¬
destoweniger seine Anfänge bestimmend.

Es ist sicher kein Zufall, daß sich an die ebenso schwere wie lohnende
Aufgabe einer wissenschaftlichen Bearbeitung von Bismarcks Leben derselbe
Gelehrte gewagt hat, dem wir die beste Biographie Kaiser Wilhelms des Ersten
verdanken: Professor Erich Marcks"). Denn das einzigartige Verhältnis Bismarcks
zu Kaiser Wilhelm dem Ersten, das wir mit den überkommenen Wendungen
von dem treuen Paladin oder Vasallen nur andeutend umschreiben, erscheint
immer bewundernswerter und rühmlicher für beide Teile, je mehr es in seinen
Zusammenhängen bekannt wird. So viel steht fest: in dem Gesamtbild der
Persönlichkeit Bismarcks ist die freiwillige Unterordnung dieses Genius unter
seinen königlichen Herrn der wichtigste und schönste Zug, die Seite seines Ver¬
haltens, von der die hellsten und wärmendstcn Lichtstrahlen auf seinen Charakter
fallen. Er hatte wohl selbst ein deutliches Gefühl davon. Seine Größe lag
sonst nicht in der Richtung eines sittlichen Ideals; die Politik absorbierte ihn.
Wenn er wiederholt den alten Ausspruch auf sich anwandte: patrias mserviericlo
Lor8umor, so dachte er dabei vermutlich nicht nur an seine leibliche Gesundheit.
Um so aufrichtender war dann für ihn selbst der Rückblick auf das eine, niemals
getrübte Lebensverhältnis, in dessen Wandlungen sich der edle Kern seines
Charakters gegen alle äußeren und inneren Anfechtungen behauptet hatte. „Ein
treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten" — das war der
Ruhmestitel, den kein Geringerer als er selbst für seine Grabschrift wählte.

Der erste Band des Werkes behandelt Bismarcks Jugend. Er zeigt den
Verfasser auf der Höhe seiner Aufgabe. In die handschriftlichen Schätze des
Bismarckschen Hauses haben ihn: dessen Angehörige bereitwillig Einblick vergönnt,
an ihrer Spitze noch Fürst Herbert Bismarck, dessen Andenken Marcks sein Buch
in dankbarer Pietät gewidmet hat.

Auf diesen urkundlichen Grundlagen läßt er mit Hilfe einer glänzenden
Darstellungskunst, die oft an Dahlmann gemahnt, die Gestalt des jungen Bis¬
marck vor unseren Augen emporwachsen. Und kein nachdenklicher Leser wird sich
des Staunens darüber erwehren können, wie scharf und deutlich an dem unfertigen
Jüngling schon die entscheidenden Charakterzüge des Mannes hervortreten —
in dem, was er war, und fast noch mehr in dem, was er nicht war. Denn
es ist einmal so: mit allem, was vor ihm als deutsche Typen gelten mochte,
hat dieser Bismarck verschwindend wenig gemein. Da ist keine Spur vom Dichter
oder Denker; da ist weder eine technische Anlage noch ein persönliches Verhältnis
zu irgendeiner Kunst oder Wissenschaft mit alleiniger Ausnahme der Geschicht¬
schreibung. Auch vom deutschen Träumer ist nichts zu entdecken, nicht im
schlimmen und auch nicht im guten Sinne. Dieser Junker Bismarck ist kein
blöder Tor; aber vergeblich suchen wir auch bei ihm jene liebenswürdige Be-



*) Bismarck. Eine Biographie. Von Erich Marcks. Erster Band! Bismarcks Jugend.
Stuttgart und Berlin. I. G. Cottasche Buchhandlung Nachf.
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[0616] ?er junge Biimarck auch für die letzte Motivierung seiner späteren geschichtlichen Taten find nichts¬ destoweniger seine Anfänge bestimmend. Es ist sicher kein Zufall, daß sich an die ebenso schwere wie lohnende Aufgabe einer wissenschaftlichen Bearbeitung von Bismarcks Leben derselbe Gelehrte gewagt hat, dem wir die beste Biographie Kaiser Wilhelms des Ersten verdanken: Professor Erich Marcks"). Denn das einzigartige Verhältnis Bismarcks zu Kaiser Wilhelm dem Ersten, das wir mit den überkommenen Wendungen von dem treuen Paladin oder Vasallen nur andeutend umschreiben, erscheint immer bewundernswerter und rühmlicher für beide Teile, je mehr es in seinen Zusammenhängen bekannt wird. So viel steht fest: in dem Gesamtbild der Persönlichkeit Bismarcks ist die freiwillige Unterordnung dieses Genius unter seinen königlichen Herrn der wichtigste und schönste Zug, die Seite seines Ver¬ haltens, von der die hellsten und wärmendstcn Lichtstrahlen auf seinen Charakter fallen. Er hatte wohl selbst ein deutliches Gefühl davon. Seine Größe lag sonst nicht in der Richtung eines sittlichen Ideals; die Politik absorbierte ihn. Wenn er wiederholt den alten Ausspruch auf sich anwandte: patrias mserviericlo Lor8umor, so dachte er dabei vermutlich nicht nur an seine leibliche Gesundheit. Um so aufrichtender war dann für ihn selbst der Rückblick auf das eine, niemals getrübte Lebensverhältnis, in dessen Wandlungen sich der edle Kern seines Charakters gegen alle äußeren und inneren Anfechtungen behauptet hatte. „Ein treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten" — das war der Ruhmestitel, den kein Geringerer als er selbst für seine Grabschrift wählte. Der erste Band des Werkes behandelt Bismarcks Jugend. Er zeigt den Verfasser auf der Höhe seiner Aufgabe. In die handschriftlichen Schätze des Bismarckschen Hauses haben ihn: dessen Angehörige bereitwillig Einblick vergönnt, an ihrer Spitze noch Fürst Herbert Bismarck, dessen Andenken Marcks sein Buch in dankbarer Pietät gewidmet hat. Auf diesen urkundlichen Grundlagen läßt er mit Hilfe einer glänzenden Darstellungskunst, die oft an Dahlmann gemahnt, die Gestalt des jungen Bis¬ marck vor unseren Augen emporwachsen. Und kein nachdenklicher Leser wird sich des Staunens darüber erwehren können, wie scharf und deutlich an dem unfertigen Jüngling schon die entscheidenden Charakterzüge des Mannes hervortreten — in dem, was er war, und fast noch mehr in dem, was er nicht war. Denn es ist einmal so: mit allem, was vor ihm als deutsche Typen gelten mochte, hat dieser Bismarck verschwindend wenig gemein. Da ist keine Spur vom Dichter oder Denker; da ist weder eine technische Anlage noch ein persönliches Verhältnis zu irgendeiner Kunst oder Wissenschaft mit alleiniger Ausnahme der Geschicht¬ schreibung. Auch vom deutschen Träumer ist nichts zu entdecken, nicht im schlimmen und auch nicht im guten Sinne. Dieser Junker Bismarck ist kein blöder Tor; aber vergeblich suchen wir auch bei ihm jene liebenswürdige Be- *) Bismarck. Eine Biographie. Von Erich Marcks. Erster Band! Bismarcks Jugend. Stuttgart und Berlin. I. G. Cottasche Buchhandlung Nachf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/616>, abgerufen am 28.12.2024.