Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

Industrie angelegt sind, dürfen nicht freventlich auf das Spiel gesetzt werden.
Sie verlangen Verzinsung und daher Beschäftigung. Mit diesen Kapitalien sind
nicht nur die Interessen des privaten Sparkapitals, sondern auch die von
Millionen Arbeiten: eng verknüpft; der Staat hat also recht, wenn er -- wie
der Staatssekretär erklärte --- "sich hütet, gewaltsam in die Entwicklung der
Dinge einzugreifen".

Zu den Bankinsolvenzen der letzten Zeit sind in dieser Woche zwei neue
getreten, die der beiden Kommanditgesellschaften A. Neuburger und Max Ulrich.
Eingeweihten kamen diese Vorfälle nicht überraschend; im Gegenteil, man hatte
dies Ende schon viel früher erwartet. Die beiden Insolvenzen unterscheiden sich
von den vorangegangenen erfreulicherweise dadurch, daß Depositengelder nicht
oder wenigstens nicht in erwähnenswertem Maße gefährdet werden. Die Firma
Neuburger war allerdings stark auf den Depositenfang ausgegangen. Nachdem
ihr die Gelder des kapitalkräftigen Fürsten Egon entzogen waren, versuchte sie
nach dem Grundsatz "Viele Wenig machen ein Viel" die erforderlichen Gelder
von den Bauern hereinzuschaffen und errichtete einige Dutzend Depositenkassen
in kleinen Landstädtchen von Pommern bis nach Thüringen. Der erhoffte Erfolg
trat nicht ein, weil sich die Finanzpresse in den Dienst der Allgemeinheit stellte
und einen scharfen Feldzug gegen die Firma eröffnete, mit dem Erfolg, daß die
herangelockten Spargelder wieder abstossen.

Anders lag der Fall bei der Firma Ulrich; diese hat über eigentliche
Depositengelder nie verfügt. Ihr Spezialgebiet waren sehr zweifelhafte Grün¬
dungen -- eigentlich Schiebungen -- auf dem Kuxenmarkt, die der Firma von
Anfang an ein übles Renommö in den Fachkreisen und schließlich auch in der
größeren Öffentlichkeit eintrugen.

So wäre das endgültigeVerschwinden so schwach fundierter Unternehmungen,
da das eigentliche Privatpublikum nicht sonderlich in Mitleidenschaft gezogen
wird, an sich mit Genugtuung zu begrüßen, wenn nicht dadurch die Diskussion
über eine grundsätzliche Abänderung unseres Depositenwesens aufs neue angefacht
würde. Graf Kcmitz hat ja bereits die Gelegenheit beim Schöpfe ergriffen.
Der Mann "mit den geflickten Strohdächern", der stets schwer bewehrt zu Rosse
steigt, wenn es gilt, gegen Bank und Börse anzureiten, hat nicht versäumt,
aufs neue gesetzgeberische oder Verwaltungsmaßregeln zu fordern. Erinnert
man sich freilich früherer Reden des alten Kämpen über dasselbe Thema, so
muß man gestehen, daß er diesmal ziemlich milde verfahren ist; er hat sich im
wesentlichen darauf beschränkt, dem Reichstag ein Kollegium über das Resultat
der Bankenquete zu lesen, und nur die Forderung erhoben, es solle der von der
Kommission empfohlene Bankausschuß möglichst bald in Aktion treten. Dabei
hat er seiner tiefen Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, daß die Berliner
Großbanken sich freiwillig zu einer Erweiterung des zweimonatlichen Bilanz¬
schemas verstanden haben. Ich vermute, die Berliner Bankdirektoren werden
diese Auslassungen nicht ohne ein Augurenlächeln gelesen haben. Ich will davon


Reichsspiegel

Industrie angelegt sind, dürfen nicht freventlich auf das Spiel gesetzt werden.
Sie verlangen Verzinsung und daher Beschäftigung. Mit diesen Kapitalien sind
nicht nur die Interessen des privaten Sparkapitals, sondern auch die von
Millionen Arbeiten: eng verknüpft; der Staat hat also recht, wenn er — wie
der Staatssekretär erklärte —- „sich hütet, gewaltsam in die Entwicklung der
Dinge einzugreifen".

Zu den Bankinsolvenzen der letzten Zeit sind in dieser Woche zwei neue
getreten, die der beiden Kommanditgesellschaften A. Neuburger und Max Ulrich.
Eingeweihten kamen diese Vorfälle nicht überraschend; im Gegenteil, man hatte
dies Ende schon viel früher erwartet. Die beiden Insolvenzen unterscheiden sich
von den vorangegangenen erfreulicherweise dadurch, daß Depositengelder nicht
oder wenigstens nicht in erwähnenswertem Maße gefährdet werden. Die Firma
Neuburger war allerdings stark auf den Depositenfang ausgegangen. Nachdem
ihr die Gelder des kapitalkräftigen Fürsten Egon entzogen waren, versuchte sie
nach dem Grundsatz „Viele Wenig machen ein Viel" die erforderlichen Gelder
von den Bauern hereinzuschaffen und errichtete einige Dutzend Depositenkassen
in kleinen Landstädtchen von Pommern bis nach Thüringen. Der erhoffte Erfolg
trat nicht ein, weil sich die Finanzpresse in den Dienst der Allgemeinheit stellte
und einen scharfen Feldzug gegen die Firma eröffnete, mit dem Erfolg, daß die
herangelockten Spargelder wieder abstossen.

Anders lag der Fall bei der Firma Ulrich; diese hat über eigentliche
Depositengelder nie verfügt. Ihr Spezialgebiet waren sehr zweifelhafte Grün¬
dungen — eigentlich Schiebungen — auf dem Kuxenmarkt, die der Firma von
Anfang an ein übles Renommö in den Fachkreisen und schließlich auch in der
größeren Öffentlichkeit eintrugen.

So wäre das endgültigeVerschwinden so schwach fundierter Unternehmungen,
da das eigentliche Privatpublikum nicht sonderlich in Mitleidenschaft gezogen
wird, an sich mit Genugtuung zu begrüßen, wenn nicht dadurch die Diskussion
über eine grundsätzliche Abänderung unseres Depositenwesens aufs neue angefacht
würde. Graf Kcmitz hat ja bereits die Gelegenheit beim Schöpfe ergriffen.
Der Mann „mit den geflickten Strohdächern", der stets schwer bewehrt zu Rosse
steigt, wenn es gilt, gegen Bank und Börse anzureiten, hat nicht versäumt,
aufs neue gesetzgeberische oder Verwaltungsmaßregeln zu fordern. Erinnert
man sich freilich früherer Reden des alten Kämpen über dasselbe Thema, so
muß man gestehen, daß er diesmal ziemlich milde verfahren ist; er hat sich im
wesentlichen darauf beschränkt, dem Reichstag ein Kollegium über das Resultat
der Bankenquete zu lesen, und nur die Forderung erhoben, es solle der von der
Kommission empfohlene Bankausschuß möglichst bald in Aktion treten. Dabei
hat er seiner tiefen Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, daß die Berliner
Großbanken sich freiwillig zu einer Erweiterung des zweimonatlichen Bilanz¬
schemas verstanden haben. Ich vermute, die Berliner Bankdirektoren werden
diese Auslassungen nicht ohne ein Augurenlächeln gelesen haben. Ich will davon


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318225"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2754" prev="#ID_2753"> Industrie angelegt sind, dürfen nicht freventlich auf das Spiel gesetzt werden.<lb/>
Sie verlangen Verzinsung und daher Beschäftigung. Mit diesen Kapitalien sind<lb/>
nicht nur die Interessen des privaten Sparkapitals, sondern auch die von<lb/>
Millionen Arbeiten: eng verknüpft; der Staat hat also recht, wenn er &#x2014; wie<lb/>
der Staatssekretär erklärte &#x2014;- &#x201E;sich hütet, gewaltsam in die Entwicklung der<lb/>
Dinge einzugreifen".</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2755"> Zu den Bankinsolvenzen der letzten Zeit sind in dieser Woche zwei neue<lb/>
getreten, die der beiden Kommanditgesellschaften A. Neuburger und Max Ulrich.<lb/>
Eingeweihten kamen diese Vorfälle nicht überraschend; im Gegenteil, man hatte<lb/>
dies Ende schon viel früher erwartet. Die beiden Insolvenzen unterscheiden sich<lb/>
von den vorangegangenen erfreulicherweise dadurch, daß Depositengelder nicht<lb/>
oder wenigstens nicht in erwähnenswertem Maße gefährdet werden. Die Firma<lb/>
Neuburger war allerdings stark auf den Depositenfang ausgegangen. Nachdem<lb/>
ihr die Gelder des kapitalkräftigen Fürsten Egon entzogen waren, versuchte sie<lb/>
nach dem Grundsatz &#x201E;Viele Wenig machen ein Viel" die erforderlichen Gelder<lb/>
von den Bauern hereinzuschaffen und errichtete einige Dutzend Depositenkassen<lb/>
in kleinen Landstädtchen von Pommern bis nach Thüringen. Der erhoffte Erfolg<lb/>
trat nicht ein, weil sich die Finanzpresse in den Dienst der Allgemeinheit stellte<lb/>
und einen scharfen Feldzug gegen die Firma eröffnete, mit dem Erfolg, daß die<lb/>
herangelockten Spargelder wieder abstossen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2756"> Anders lag der Fall bei der Firma Ulrich; diese hat über eigentliche<lb/>
Depositengelder nie verfügt. Ihr Spezialgebiet waren sehr zweifelhafte Grün¬<lb/>
dungen &#x2014; eigentlich Schiebungen &#x2014; auf dem Kuxenmarkt, die der Firma von<lb/>
Anfang an ein übles Renommö in den Fachkreisen und schließlich auch in der<lb/>
größeren Öffentlichkeit eintrugen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2757" next="#ID_2758"> So wäre das endgültigeVerschwinden so schwach fundierter Unternehmungen,<lb/>
da das eigentliche Privatpublikum nicht sonderlich in Mitleidenschaft gezogen<lb/>
wird, an sich mit Genugtuung zu begrüßen, wenn nicht dadurch die Diskussion<lb/>
über eine grundsätzliche Abänderung unseres Depositenwesens aufs neue angefacht<lb/>
würde. Graf Kcmitz hat ja bereits die Gelegenheit beim Schöpfe ergriffen.<lb/>
Der Mann &#x201E;mit den geflickten Strohdächern", der stets schwer bewehrt zu Rosse<lb/>
steigt, wenn es gilt, gegen Bank und Börse anzureiten, hat nicht versäumt,<lb/>
aufs neue gesetzgeberische oder Verwaltungsmaßregeln zu fordern. Erinnert<lb/>
man sich freilich früherer Reden des alten Kämpen über dasselbe Thema, so<lb/>
muß man gestehen, daß er diesmal ziemlich milde verfahren ist; er hat sich im<lb/>
wesentlichen darauf beschränkt, dem Reichstag ein Kollegium über das Resultat<lb/>
der Bankenquete zu lesen, und nur die Forderung erhoben, es solle der von der<lb/>
Kommission empfohlene Bankausschuß möglichst bald in Aktion treten. Dabei<lb/>
hat er seiner tiefen Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, daß die Berliner<lb/>
Großbanken sich freiwillig zu einer Erweiterung des zweimonatlichen Bilanz¬<lb/>
schemas verstanden haben. Ich vermute, die Berliner Bankdirektoren werden<lb/>
diese Auslassungen nicht ohne ein Augurenlächeln gelesen haben. Ich will davon</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0612] Reichsspiegel Industrie angelegt sind, dürfen nicht freventlich auf das Spiel gesetzt werden. Sie verlangen Verzinsung und daher Beschäftigung. Mit diesen Kapitalien sind nicht nur die Interessen des privaten Sparkapitals, sondern auch die von Millionen Arbeiten: eng verknüpft; der Staat hat also recht, wenn er — wie der Staatssekretär erklärte —- „sich hütet, gewaltsam in die Entwicklung der Dinge einzugreifen". Zu den Bankinsolvenzen der letzten Zeit sind in dieser Woche zwei neue getreten, die der beiden Kommanditgesellschaften A. Neuburger und Max Ulrich. Eingeweihten kamen diese Vorfälle nicht überraschend; im Gegenteil, man hatte dies Ende schon viel früher erwartet. Die beiden Insolvenzen unterscheiden sich von den vorangegangenen erfreulicherweise dadurch, daß Depositengelder nicht oder wenigstens nicht in erwähnenswertem Maße gefährdet werden. Die Firma Neuburger war allerdings stark auf den Depositenfang ausgegangen. Nachdem ihr die Gelder des kapitalkräftigen Fürsten Egon entzogen waren, versuchte sie nach dem Grundsatz „Viele Wenig machen ein Viel" die erforderlichen Gelder von den Bauern hereinzuschaffen und errichtete einige Dutzend Depositenkassen in kleinen Landstädtchen von Pommern bis nach Thüringen. Der erhoffte Erfolg trat nicht ein, weil sich die Finanzpresse in den Dienst der Allgemeinheit stellte und einen scharfen Feldzug gegen die Firma eröffnete, mit dem Erfolg, daß die herangelockten Spargelder wieder abstossen. Anders lag der Fall bei der Firma Ulrich; diese hat über eigentliche Depositengelder nie verfügt. Ihr Spezialgebiet waren sehr zweifelhafte Grün¬ dungen — eigentlich Schiebungen — auf dem Kuxenmarkt, die der Firma von Anfang an ein übles Renommö in den Fachkreisen und schließlich auch in der größeren Öffentlichkeit eintrugen. So wäre das endgültigeVerschwinden so schwach fundierter Unternehmungen, da das eigentliche Privatpublikum nicht sonderlich in Mitleidenschaft gezogen wird, an sich mit Genugtuung zu begrüßen, wenn nicht dadurch die Diskussion über eine grundsätzliche Abänderung unseres Depositenwesens aufs neue angefacht würde. Graf Kcmitz hat ja bereits die Gelegenheit beim Schöpfe ergriffen. Der Mann „mit den geflickten Strohdächern", der stets schwer bewehrt zu Rosse steigt, wenn es gilt, gegen Bank und Börse anzureiten, hat nicht versäumt, aufs neue gesetzgeberische oder Verwaltungsmaßregeln zu fordern. Erinnert man sich freilich früherer Reden des alten Kämpen über dasselbe Thema, so muß man gestehen, daß er diesmal ziemlich milde verfahren ist; er hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, dem Reichstag ein Kollegium über das Resultat der Bankenquete zu lesen, und nur die Forderung erhoben, es solle der von der Kommission empfohlene Bankausschuß möglichst bald in Aktion treten. Dabei hat er seiner tiefen Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, daß die Berliner Großbanken sich freiwillig zu einer Erweiterung des zweimonatlichen Bilanz¬ schemas verstanden haben. Ich vermute, die Berliner Bankdirektoren werden diese Auslassungen nicht ohne ein Augurenlächeln gelesen haben. Ich will davon

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/612
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/612>, abgerufen am 04.07.2024.