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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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doch kaum sechs Jahre, daß der Hiberniastreit die gesamte Industrie Rheinland-
Westfalens in geschlossener Phalanx gegen den preußischen Staat vereinigt hat.
Der Fiskus hat damals den Kürzeren gezogen; aber nachdem er sich löblich
unterworfen, haben die Gegner von ehemals ihm verziehen und ihn in Gnaden
wieder aufgenommen. Es will daher nicht viel sagen, wenn bei einer Dinerrede
die Wünsche der Industrie den Ministern so eindringlich eingeschärft werden,
daß Herr Delbrück sich veranlaßt sah, diese mit einer Disziplinaruntersuchung
zu vergleichen. Klagen über die Zurücksetzung der Industrie und insbesondere
über die sozialpolitischen Lasten gehören zum ständigen Rüstzeug des Jnteressen-
kampfes der Industriellen. Allzu ernst wird man sie nicht nehmen dürfen, solange
die Dividenden der großen Gesellschaften trotz der Belastung eine so erfreuliche
Höhe ausweisen und solange -- was manchen wichtiger sein wird -- die
Tantiemen der Direktoren -- und Aufsichtsratsmitglieder Summen repräsen¬
tieren, die die einstmals sprichwörtlichen Ministergehälter zu einer Bagatelle
stempeln. Es sind andere Sorgen, welche der Industrie eine möglichst enge
Freundschaft mit dem Staat nahelegen. Nicht umsonst hat sich Herr Schalten¬
brand, der Direktor des Stahlwerkverbandes, von dem Düsseldorfer Regierungs¬
präsidenten offiziell bescheinigen lassen, daß der Staat auf die Erneuerung
der großen Verbände besonderen Wert legt. Denn die Situation des Stahl¬
werksverbandes ist kritisch, so kritisch, daß die führenden Männer schon jetzt
erhebliche Zweifel hegen, ob eine Erneuerung desselben ohne positive Mitarbeit
des Staates gelingen wird. Nicht anders steht es mit dein Kohlensyndikat.
Auch hier wird der Fiskus in die Bresche springen müssen. Und warum auch
nicht? Läuft doch das Interesse des Staates, der selbst Industrieller im größten
Stile ist, durchaus parallel mit dem Interesse der Verbände. War dies schon
früher der Fall, so um so mehr heute, wo er auf das gesamte Kohlenvorkommen
des preußischen Staates die Hand gelegt hat. Nachdem mit dem Kaligesetz der
Rubikon überschritten und ein Präzedenzfall für die zwangsweise Syndizierung
eines großen Jndustriezweiges geschaffen worden ist, steht zu hoffen, daß, was
der Kaliindustrie recht, der Kohlen- und Eisenindustrie billig sein wird. Läßt
es sich doch nicht verkennen: die kartellfeindliche Strömung, die den Staat zu
einem gesetzgeberischen Eingreifen zugunsten der freien Konkurrenz und gegen
die Verbände drängen möchte, hat heute weniger als je auf Erfolg zu rechnen.
Beweis hierfür ist die durchaus ablehnende Haltung des Staatssekretärs in der
Frage der Monopolisierung des Jnstallationsgeschäfts durch die großen
Elektrizitätsfirmen. Die Teilnahme für eine durch diese Monopolbestrebungen
gefährdete Privatindustrie erscheint begreiflich. Es ist auch vom höheren Staats¬
interesse aus unzweifelhaft zu beklagen, wenn die Zahl der selbständigen Existenzen
durch den Gang der wirtschaftlichen Entwicklung verringert wird. Und doch
wird man zugestehen müssen, daß hier im Wege der Sondergesetzgebung nicht
zu helfen ist. Der bloße Konsumentenstandpunkt kann, wie die Dinge liegen, heute
nicht mehr allein ausschlaggebend sein. Die Milliardenkapitalien, die in unserer


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doch kaum sechs Jahre, daß der Hiberniastreit die gesamte Industrie Rheinland-
Westfalens in geschlossener Phalanx gegen den preußischen Staat vereinigt hat.
Der Fiskus hat damals den Kürzeren gezogen; aber nachdem er sich löblich
unterworfen, haben die Gegner von ehemals ihm verziehen und ihn in Gnaden
wieder aufgenommen. Es will daher nicht viel sagen, wenn bei einer Dinerrede
die Wünsche der Industrie den Ministern so eindringlich eingeschärft werden,
daß Herr Delbrück sich veranlaßt sah, diese mit einer Disziplinaruntersuchung
zu vergleichen. Klagen über die Zurücksetzung der Industrie und insbesondere
über die sozialpolitischen Lasten gehören zum ständigen Rüstzeug des Jnteressen-
kampfes der Industriellen. Allzu ernst wird man sie nicht nehmen dürfen, solange
die Dividenden der großen Gesellschaften trotz der Belastung eine so erfreuliche
Höhe ausweisen und solange — was manchen wichtiger sein wird — die
Tantiemen der Direktoren — und Aufsichtsratsmitglieder Summen repräsen¬
tieren, die die einstmals sprichwörtlichen Ministergehälter zu einer Bagatelle
stempeln. Es sind andere Sorgen, welche der Industrie eine möglichst enge
Freundschaft mit dem Staat nahelegen. Nicht umsonst hat sich Herr Schalten¬
brand, der Direktor des Stahlwerkverbandes, von dem Düsseldorfer Regierungs¬
präsidenten offiziell bescheinigen lassen, daß der Staat auf die Erneuerung
der großen Verbände besonderen Wert legt. Denn die Situation des Stahl¬
werksverbandes ist kritisch, so kritisch, daß die führenden Männer schon jetzt
erhebliche Zweifel hegen, ob eine Erneuerung desselben ohne positive Mitarbeit
des Staates gelingen wird. Nicht anders steht es mit dein Kohlensyndikat.
Auch hier wird der Fiskus in die Bresche springen müssen. Und warum auch
nicht? Läuft doch das Interesse des Staates, der selbst Industrieller im größten
Stile ist, durchaus parallel mit dem Interesse der Verbände. War dies schon
früher der Fall, so um so mehr heute, wo er auf das gesamte Kohlenvorkommen
des preußischen Staates die Hand gelegt hat. Nachdem mit dem Kaligesetz der
Rubikon überschritten und ein Präzedenzfall für die zwangsweise Syndizierung
eines großen Jndustriezweiges geschaffen worden ist, steht zu hoffen, daß, was
der Kaliindustrie recht, der Kohlen- und Eisenindustrie billig sein wird. Läßt
es sich doch nicht verkennen: die kartellfeindliche Strömung, die den Staat zu
einem gesetzgeberischen Eingreifen zugunsten der freien Konkurrenz und gegen
die Verbände drängen möchte, hat heute weniger als je auf Erfolg zu rechnen.
Beweis hierfür ist die durchaus ablehnende Haltung des Staatssekretärs in der
Frage der Monopolisierung des Jnstallationsgeschäfts durch die großen
Elektrizitätsfirmen. Die Teilnahme für eine durch diese Monopolbestrebungen
gefährdete Privatindustrie erscheint begreiflich. Es ist auch vom höheren Staats¬
interesse aus unzweifelhaft zu beklagen, wenn die Zahl der selbständigen Existenzen
durch den Gang der wirtschaftlichen Entwicklung verringert wird. Und doch
wird man zugestehen müssen, daß hier im Wege der Sondergesetzgebung nicht
zu helfen ist. Der bloße Konsumentenstandpunkt kann, wie die Dinge liegen, heute
nicht mehr allein ausschlaggebend sein. Die Milliardenkapitalien, die in unserer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/611>, abgerufen am 04.07.2024.