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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

absehen, daß Graf Kanitz selbst der Meinung Ausdruck gab: "Unter zehntausend
Menschen wäre kaum einer, der eine Bilanz zu lesen verstände".

Nichts aber kann verhängnisvoller sein, als der Wahn, durch die Veröffent¬
lichung solcher Zwischenbilanzen wirklich einen tieferen Einblick in den komplizierten
Mechanismus einer Großbank zu erlangen. Die durch das neue Bilanzschema
eingeführte Spezialisierung des Wechsel- und Effektenkontos, sowie die Trennung
der Depositenkonten nach der Verfallzeit ist gewiß nicht ohne jeden Wert. Da
aber der Schwerpunkt jeder Bankbilanz in der Qualität des Debitoren- und
Wechselkontos liegt und hierüber die Ziffern der Bilanz -- am wenigsten aber
die einer Zwischenbilanz -- keinen Aufschluß gewähren, so ist die Bedeutung
dieser Bilanzen für die Beurteilung der Sicherheit der Depositen eine sehr
geringe. Die Großbanken konnten daher leichten Herzens sich zu diesem Schritt
entschließen, wenn sie glaubten, dadurch die Gefahr einer gesetzlichen Regelung
des Depositenwesens abzuwenden, die ihren Interessen zuwiderlief. Allerdings
hat der Staatssekretär erklärt, der Regierung lägen solche Erwägungen fern.
Auch an die Einsetzung eines Bankansschusses denkt sie nicht, aus dem sehr ver¬
ständigen Grunde, weil das Bestehen einer solchen Instanz die Depositengläubiger
Ungerechtfertigtermeise in Sicherheit wiegen und den Staat mit einer Verant¬
wortung belasten würde, die er nicht tragen könnte. Es ist durchaus erfreulich,
daß sich die Negierung ein so kühles Urteil bewahrt und sich durch die beklagens¬
werten Vorfälle der jüngsten Zeit nicht zu unüberlegten Maßnahmen treiben läßt.


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absehen, daß Graf Kanitz selbst der Meinung Ausdruck gab: „Unter zehntausend
Menschen wäre kaum einer, der eine Bilanz zu lesen verstände".

Nichts aber kann verhängnisvoller sein, als der Wahn, durch die Veröffent¬
lichung solcher Zwischenbilanzen wirklich einen tieferen Einblick in den komplizierten
Mechanismus einer Großbank zu erlangen. Die durch das neue Bilanzschema
eingeführte Spezialisierung des Wechsel- und Effektenkontos, sowie die Trennung
der Depositenkonten nach der Verfallzeit ist gewiß nicht ohne jeden Wert. Da
aber der Schwerpunkt jeder Bankbilanz in der Qualität des Debitoren- und
Wechselkontos liegt und hierüber die Ziffern der Bilanz — am wenigsten aber
die einer Zwischenbilanz — keinen Aufschluß gewähren, so ist die Bedeutung
dieser Bilanzen für die Beurteilung der Sicherheit der Depositen eine sehr
geringe. Die Großbanken konnten daher leichten Herzens sich zu diesem Schritt
entschließen, wenn sie glaubten, dadurch die Gefahr einer gesetzlichen Regelung
des Depositenwesens abzuwenden, die ihren Interessen zuwiderlief. Allerdings
hat der Staatssekretär erklärt, der Regierung lägen solche Erwägungen fern.
Auch an die Einsetzung eines Bankansschusses denkt sie nicht, aus dem sehr ver¬
ständigen Grunde, weil das Bestehen einer solchen Instanz die Depositengläubiger
Ungerechtfertigtermeise in Sicherheit wiegen und den Staat mit einer Verant¬
wortung belasten würde, die er nicht tragen könnte. Es ist durchaus erfreulich,
daß sich die Negierung ein so kühles Urteil bewahrt und sich durch die beklagens¬
werten Vorfälle der jüngsten Zeit nicht zu unüberlegten Maßnahmen treiben läßt.


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[0613] Reichsspiegel absehen, daß Graf Kanitz selbst der Meinung Ausdruck gab: „Unter zehntausend Menschen wäre kaum einer, der eine Bilanz zu lesen verstände". Nichts aber kann verhängnisvoller sein, als der Wahn, durch die Veröffent¬ lichung solcher Zwischenbilanzen wirklich einen tieferen Einblick in den komplizierten Mechanismus einer Großbank zu erlangen. Die durch das neue Bilanzschema eingeführte Spezialisierung des Wechsel- und Effektenkontos, sowie die Trennung der Depositenkonten nach der Verfallzeit ist gewiß nicht ohne jeden Wert. Da aber der Schwerpunkt jeder Bankbilanz in der Qualität des Debitoren- und Wechselkontos liegt und hierüber die Ziffern der Bilanz — am wenigsten aber die einer Zwischenbilanz — keinen Aufschluß gewähren, so ist die Bedeutung dieser Bilanzen für die Beurteilung der Sicherheit der Depositen eine sehr geringe. Die Großbanken konnten daher leichten Herzens sich zu diesem Schritt entschließen, wenn sie glaubten, dadurch die Gefahr einer gesetzlichen Regelung des Depositenwesens abzuwenden, die ihren Interessen zuwiderlief. Allerdings hat der Staatssekretär erklärt, der Regierung lägen solche Erwägungen fern. Auch an die Einsetzung eines Bankansschusses denkt sie nicht, aus dem sehr ver¬ ständigen Grunde, weil das Bestehen einer solchen Instanz die Depositengläubiger Ungerechtfertigtermeise in Sicherheit wiegen und den Staat mit einer Verant¬ wortung belasten würde, die er nicht tragen könnte. Es ist durchaus erfreulich, daß sich die Negierung ein so kühles Urteil bewahrt und sich durch die beklagens¬ werten Vorfälle der jüngsten Zeit nicht zu unüberlegten Maßnahmen treiben läßt. Spectcitor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/613>, abgerufen am 28.12.2024.