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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der Mertherzeit

Petersen an Nicolai:

Darmstadt, den 28. September 1775.

. . . Vielleicht wünschten Sie den Verfasser verschiedener kleiner Schriften-
zu kennen. Der Verfasser des Otto und des leidenden Weibs ist ein Studiosus
zu Gießen, namens Klinger aus Frankfurt a. M., ein proteZö des Herrn
v- Göthe..... daß unser Herr Kriegsrath Merck den Auszug aus dem
großen Werk des Hawkesworth von den Englischen Seereisen (Frankfurt bey
Fleischer) veranstaltet hat, wird Ihnen bekannt seyn. Eben dieser arbeitet
nun, wie ich höre, an einem Auszug aus alleu Russischen Neisebsschreibungen.

fGemeint ist mit dein letzteren wahrscheinlich zunächst nur: P. S. Pallas
Reisen durch verschiedne Provinzen des Russischen Reichs; in einem ausführ¬
lichen Auszug. 3 Teile mit vielen Kupfern. Frankfurt 1776--78.^




Darmstadt, den 20. Oktober 1775.

. . . O. Göthe ist im Gefolg des Herzogs von Weimar von Frankfurt mit
nach Weimar gereiset. Der Herzog hat ihn eingeladen, ihn dahin zu begleite",
und er hat diesen Ruf sehr gern angenommen. Wir werden nun bald hören,
was für Auftritte zwischen Wieland und Göthe vorgefallen, ob, der vorige
Kaltstnn oder Haß fortdauern oder sich in ein Schutz- und Trutzbündnis
auflösen werde.






. . . Herr Kriegsrat Merck, der mir die Nachricht von Herders Berufung
nach Göttingen gegeben, sagte mir dieser Tage, die Sache habe wieder einige
Schwierigkeiten gefunden. Es muß sich nun bald zeigen, wie es geschehen wird.




Darmstadt, den 13. Februar 1776.

. . . Seitdem der Ihnen bekannte.........an der Spitze hier steht,
ist Bahrdt weggekommen, der viele Leute nach Gießen gezogen und einen
außerordentlichen Beyfall so wohl in seinen Vorlesungen als in Predigten
gehabt; -- und gewinnt überhaupt Intoleranz und Verfolgungssucht immer
mehr Land. Vor seiner Zeit ist dergleichen nicht geschehen; sondern alles mit
weiser Mäßigung behandelt worden. Ich habe bisher hier alle pflichtmäßige,
verantwortliche Behutsamkeit angewandt, manches mit Stillschweigen auf der
Kanzel übergangen u. s. w. -- Dennoch wünschte ich, es wäre für mich in
einem andern Clima eine Hütte erbaut. Ohnehin befördert jener, der all¬
gewaltig hier herrschende Herr v. -- , nur die, welche Er aus dem Nichts
hervorgezogen, und die dann dieses allerdemütigst ^erkennen; -- welches
beides bey mir nicht Statt hat. Glückliche Brandenburger die nach ihrer
Überzeugung u. Gewissen reden und schreiben dürfen. Möcht' ich einer von
Euch seyn!


Grenzboten l 1911 71
Aus Briefen der Mertherzeit

Petersen an Nicolai:

Darmstadt, den 28. September 1775.

. . . Vielleicht wünschten Sie den Verfasser verschiedener kleiner Schriften-
zu kennen. Der Verfasser des Otto und des leidenden Weibs ist ein Studiosus
zu Gießen, namens Klinger aus Frankfurt a. M., ein proteZö des Herrn
v- Göthe..... daß unser Herr Kriegsrath Merck den Auszug aus dem
großen Werk des Hawkesworth von den Englischen Seereisen (Frankfurt bey
Fleischer) veranstaltet hat, wird Ihnen bekannt seyn. Eben dieser arbeitet
nun, wie ich höre, an einem Auszug aus alleu Russischen Neisebsschreibungen.

fGemeint ist mit dein letzteren wahrscheinlich zunächst nur: P. S. Pallas
Reisen durch verschiedne Provinzen des Russischen Reichs; in einem ausführ¬
lichen Auszug. 3 Teile mit vielen Kupfern. Frankfurt 1776—78.^




Darmstadt, den 20. Oktober 1775.

. . . O. Göthe ist im Gefolg des Herzogs von Weimar von Frankfurt mit
nach Weimar gereiset. Der Herzog hat ihn eingeladen, ihn dahin zu begleite«,
und er hat diesen Ruf sehr gern angenommen. Wir werden nun bald hören,
was für Auftritte zwischen Wieland und Göthe vorgefallen, ob, der vorige
Kaltstnn oder Haß fortdauern oder sich in ein Schutz- und Trutzbündnis
auflösen werde.






. . . Herr Kriegsrat Merck, der mir die Nachricht von Herders Berufung
nach Göttingen gegeben, sagte mir dieser Tage, die Sache habe wieder einige
Schwierigkeiten gefunden. Es muß sich nun bald zeigen, wie es geschehen wird.




Darmstadt, den 13. Februar 1776.

. . . Seitdem der Ihnen bekannte.........an der Spitze hier steht,
ist Bahrdt weggekommen, der viele Leute nach Gießen gezogen und einen
außerordentlichen Beyfall so wohl in seinen Vorlesungen als in Predigten
gehabt; — und gewinnt überhaupt Intoleranz und Verfolgungssucht immer
mehr Land. Vor seiner Zeit ist dergleichen nicht geschehen; sondern alles mit
weiser Mäßigung behandelt worden. Ich habe bisher hier alle pflichtmäßige,
verantwortliche Behutsamkeit angewandt, manches mit Stillschweigen auf der
Kanzel übergangen u. s. w. — Dennoch wünschte ich, es wäre für mich in
einem andern Clima eine Hütte erbaut. Ohnehin befördert jener, der all¬
gewaltig hier herrschende Herr v. — , nur die, welche Er aus dem Nichts
hervorgezogen, und die dann dieses allerdemütigst ^erkennen; — welches
beides bey mir nicht Statt hat. Glückliche Brandenburger die nach ihrer
Überzeugung u. Gewissen reden und schreiben dürfen. Möcht' ich einer von
Euch seyn!


Grenzboten l 1911 71
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/575>, abgerufen am 24.07.2024.