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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der Wertherzcit

indessen wahr, null so haben wir wieder ein Exempel, das uns lehrt, an
keinem jungen Autor zu verzweifeln, und ihn wegen seiner ersten mittel¬
mäßigen Versuche anzugrinzen, 2. einen Beweis, in welchem hohen Grad ein
Schriftsteller den Ton eines andern anzunehmen im Stande ist, und wie
trüglich das Argument von der Gleichheit (auch der vollkommensten) des Stils
auf die Identität der Verfasser ist.




Boie an I. H. Voß:

Göttingell, den 20. April 1775.

Es ist mir sehr lieb, daß Goethe nicht der Verfasser des Prometheus
ist, für den ihn die ganze Welt hielt. Ich allein widersprach hier und wettete
darauf.




Hoepfner an Nicolau

Gießen, den 2. Mai 1775.

Ihre Freuden und Leiden haben Goethe deswegen geärgert, weil er
bekanntlich selbst der Held des Romans ist, das Erschießen ausgenommen,
und Lotte seine Heilige war. Und nun bedenken Sie das Schießen rin Blut¬
blasen, wo er doch wirklich der Narr in der Geschichte ist, die Krankheit der
Lotte u. a. Dinge mehr. Die konnte er natürlicher Weise nicht gut vertragen
Wagner, der Verfasser der confiscablen Erzählungen, hat sich bey Goethe als
Verfasser des Prometheus und Dentalivm angegeben. Goethe glaubt, daß
ers sei. Ich weiß nicht, was ich glauben soll, der Mensch ist, soviel ich ihn
aus seinem Umgang kenne, ein sehr schaler Kopf und nicht fähig die Schnurre
gemacht zu haben.

^Goethe hatte am 21. April in den "Frankfurter Gelehrten Anzeigen"
in einer "gelehrten Nachricht" (Frankfurt, den 9. April 1775) erklärt, daß
nicht er, sondern H. L. Wagner der Verfasser des "Prometheus Dentalivm
und seine Recensenten" sei.^




Hoepfner an Nicolau

Gießen, den 27. September 1775.

Warum Goethe auf Sie schimpft, begreifen Sie nicht. Ich gar wohl.
Er schimpft überhaupt gern und Ihre "Freuden" konnten ihm nichts anders
als mißfallen, da einen großen Theil des Romans durch er selbst Werther
und Lotte sein Mädchen, eine Demoiselle Buffin ist, da Sie sagen, Lotte sei
ein gutes braves Mädchen gewesen, die Werther schwindlig gemacht habe,
und das dann leider die Wahrheit ist. Buffin war ein simples Mädchen, die
natürlichen Verstand hatte. Goethe machte sie zur stolzen, affektierenden
Enthousiastin. ^




Aus Briefen der Wertherzcit

indessen wahr, null so haben wir wieder ein Exempel, das uns lehrt, an
keinem jungen Autor zu verzweifeln, und ihn wegen seiner ersten mittel¬
mäßigen Versuche anzugrinzen, 2. einen Beweis, in welchem hohen Grad ein
Schriftsteller den Ton eines andern anzunehmen im Stande ist, und wie
trüglich das Argument von der Gleichheit (auch der vollkommensten) des Stils
auf die Identität der Verfasser ist.




Boie an I. H. Voß:

Göttingell, den 20. April 1775.

Es ist mir sehr lieb, daß Goethe nicht der Verfasser des Prometheus
ist, für den ihn die ganze Welt hielt. Ich allein widersprach hier und wettete
darauf.




Hoepfner an Nicolau

Gießen, den 2. Mai 1775.

Ihre Freuden und Leiden haben Goethe deswegen geärgert, weil er
bekanntlich selbst der Held des Romans ist, das Erschießen ausgenommen,
und Lotte seine Heilige war. Und nun bedenken Sie das Schießen rin Blut¬
blasen, wo er doch wirklich der Narr in der Geschichte ist, die Krankheit der
Lotte u. a. Dinge mehr. Die konnte er natürlicher Weise nicht gut vertragen
Wagner, der Verfasser der confiscablen Erzählungen, hat sich bey Goethe als
Verfasser des Prometheus und Dentalivm angegeben. Goethe glaubt, daß
ers sei. Ich weiß nicht, was ich glauben soll, der Mensch ist, soviel ich ihn
aus seinem Umgang kenne, ein sehr schaler Kopf und nicht fähig die Schnurre
gemacht zu haben.

^Goethe hatte am 21. April in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen"
in einer „gelehrten Nachricht" (Frankfurt, den 9. April 1775) erklärt, daß
nicht er, sondern H. L. Wagner der Verfasser des „Prometheus Dentalivm
und seine Recensenten" sei.^




Hoepfner an Nicolau

Gießen, den 27. September 1775.

Warum Goethe auf Sie schimpft, begreifen Sie nicht. Ich gar wohl.
Er schimpft überhaupt gern und Ihre „Freuden" konnten ihm nichts anders
als mißfallen, da einen großen Theil des Romans durch er selbst Werther
und Lotte sein Mädchen, eine Demoiselle Buffin ist, da Sie sagen, Lotte sei
ein gutes braves Mädchen gewesen, die Werther schwindlig gemacht habe,
und das dann leider die Wahrheit ist. Buffin war ein simples Mädchen, die
natürlichen Verstand hatte. Goethe machte sie zur stolzen, affektierenden
Enthousiastin. ^




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[0574] Aus Briefen der Wertherzcit indessen wahr, null so haben wir wieder ein Exempel, das uns lehrt, an keinem jungen Autor zu verzweifeln, und ihn wegen seiner ersten mittel¬ mäßigen Versuche anzugrinzen, 2. einen Beweis, in welchem hohen Grad ein Schriftsteller den Ton eines andern anzunehmen im Stande ist, und wie trüglich das Argument von der Gleichheit (auch der vollkommensten) des Stils auf die Identität der Verfasser ist. Boie an I. H. Voß: Göttingell, den 20. April 1775. Es ist mir sehr lieb, daß Goethe nicht der Verfasser des Prometheus ist, für den ihn die ganze Welt hielt. Ich allein widersprach hier und wettete darauf. Hoepfner an Nicolau Gießen, den 2. Mai 1775. Ihre Freuden und Leiden haben Goethe deswegen geärgert, weil er bekanntlich selbst der Held des Romans ist, das Erschießen ausgenommen, und Lotte seine Heilige war. Und nun bedenken Sie das Schießen rin Blut¬ blasen, wo er doch wirklich der Narr in der Geschichte ist, die Krankheit der Lotte u. a. Dinge mehr. Die konnte er natürlicher Weise nicht gut vertragen Wagner, der Verfasser der confiscablen Erzählungen, hat sich bey Goethe als Verfasser des Prometheus und Dentalivm angegeben. Goethe glaubt, daß ers sei. Ich weiß nicht, was ich glauben soll, der Mensch ist, soviel ich ihn aus seinem Umgang kenne, ein sehr schaler Kopf und nicht fähig die Schnurre gemacht zu haben. ^Goethe hatte am 21. April in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen" in einer „gelehrten Nachricht" (Frankfurt, den 9. April 1775) erklärt, daß nicht er, sondern H. L. Wagner der Verfasser des „Prometheus Dentalivm und seine Recensenten" sei.^ Hoepfner an Nicolau Gießen, den 27. September 1775. Warum Goethe auf Sie schimpft, begreifen Sie nicht. Ich gar wohl. Er schimpft überhaupt gern und Ihre „Freuden" konnten ihm nichts anders als mißfallen, da einen großen Theil des Romans durch er selbst Werther und Lotte sein Mädchen, eine Demoiselle Buffin ist, da Sie sagen, Lotte sei ein gutes braves Mädchen gewesen, die Werther schwindlig gemacht habe, und das dann leider die Wahrheit ist. Buffin war ein simples Mädchen, die natürlichen Verstand hatte. Goethe machte sie zur stolzen, affektierenden Enthousiastin. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/574>, abgerufen am 29.12.2024.