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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Reichsspiegel
Innere Politik

Der preußische Kultusetat -- Die Rede des Kanzlers -- Das Positive der Kanzler¬
rede -- Kulturkampf -- Max Lenz und die Romantik -- Die preussische Gesandtschaft
beim Vatikan -- Bedauerliche Unklarheiten -- Die Stellung der Konservativen.

Nicht ohne ein gewisses Bangen haben weite Kreise des gebildeten Deutsch¬
land den Debatten über den Kultusetat des preußischen Abgeordneten¬
hauses entgegengesehen. Sollte doch der preußische Ministerpräsident darüber
Auskunft geben, welche Stellung die preußische Regierung gegenüber dem Vor¬
gehen der römischen Kurie einzunehmen gedenke. Nach der Vorrede, die der
Herr Kultusminister in der Kommission gehalten hatte, wuchs der Optimismus
und damit das Vertrauen zur Regierung, doch hielt sich die Mehrheit noch
skeptisch zurück. Noch lag allen in den Ohren, was Herr v. Bethmann vor
Weihnachten im Reichstage gesagt hatte: "Eine Politik unter Ausschaltung des
Zentrums mache ich nicht mit". Am Dienstag nun hat Herr v. Bethmann
Hollweg in langer, eindrucksvoller Rede den Standpunkt der Regierung dargelegt.

Die Rede des Kanzlers zeichnet sich durch zwei Vorzüge aus, die
Ministerredeu gewöhnlich nicht zu haben pflegen: sie erscheint sorgfältig bis in
kleinste Einzelheiten vorbereitet, und sie läßt alle Momente des preußisch-römischen
Streites ohne Rücksicht auf ihre größere oder geringere Schwere vor unserem
geistigen Auge vorüberziehen; sie ermöglicht dadurch auch dem der ganzen Frage
fernerstehenden Zeitungsleser, einen Blick auf die letzten Konsequenzen zu werfen.
Wegen dieser Vorzüge sei sie allen Deutschen zu eingehendem Studium empfohlen,-
es ist hier dem denkenden Menschen die Möglichkeit geboten, sich über eine der
wichtigsten Fragen unseres nationalen Daseins ein eigenes Urteil zu bilden,
über eine Frage, deren Lösung nicht nur äußerliche staatsrechtliche Beziehungen
endgültig regeln, sondern auch die kulturelle Entwicklung der Nation tief beein¬
flussen und deren Stellung zum neudeutschen Kaisertum festlegen würde.

Das Positive an seiner Rede ist: die Regierung hat sich entschlossen,
der ultramontanen Geschichtsauffassung den Einfluß auf unsere Jugend
zu nehmen und sie die Schönheiten der deutschen Literatur durch den Mund
innerlich freier Männer kennen lernen zu lassen. Sollte hinter den Worten anch
der feste Wille zur Tat stehen, -- schon in wenigen Wochen, beim Eintritt neuer
Lehrkräfte zu Beginn des neuen Schuljahres muß es sich ja zeigen --, sollten die
Worte nicht lediglich eine Drohung bedeuten, dann wäre die deutsche Sache siegreich
aus den letzten Kämpfen gegen Rom hervorgegangen. In solcher Auffassung
stimmen mit uns alle Politiker der Mittelparteien überein, selbst solche, die als
einen vollen Sieg nur den Abbruch aller Beziehungen zum Papst und die
Beseitigung der katholischen Fakultäten gelten lassen wollen, d. h. die den Zeit¬
punkt für einen neuen Kulturkampf gekommen wähnen.


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Der preußische Kultusetat — Die Rede des Kanzlers — Das Positive der Kanzler¬
rede — Kulturkampf — Max Lenz und die Romantik — Die preussische Gesandtschaft
beim Vatikan — Bedauerliche Unklarheiten — Die Stellung der Konservativen.

Nicht ohne ein gewisses Bangen haben weite Kreise des gebildeten Deutsch¬
land den Debatten über den Kultusetat des preußischen Abgeordneten¬
hauses entgegengesehen. Sollte doch der preußische Ministerpräsident darüber
Auskunft geben, welche Stellung die preußische Regierung gegenüber dem Vor¬
gehen der römischen Kurie einzunehmen gedenke. Nach der Vorrede, die der
Herr Kultusminister in der Kommission gehalten hatte, wuchs der Optimismus
und damit das Vertrauen zur Regierung, doch hielt sich die Mehrheit noch
skeptisch zurück. Noch lag allen in den Ohren, was Herr v. Bethmann vor
Weihnachten im Reichstage gesagt hatte: „Eine Politik unter Ausschaltung des
Zentrums mache ich nicht mit". Am Dienstag nun hat Herr v. Bethmann
Hollweg in langer, eindrucksvoller Rede den Standpunkt der Regierung dargelegt.

Die Rede des Kanzlers zeichnet sich durch zwei Vorzüge aus, die
Ministerredeu gewöhnlich nicht zu haben pflegen: sie erscheint sorgfältig bis in
kleinste Einzelheiten vorbereitet, und sie läßt alle Momente des preußisch-römischen
Streites ohne Rücksicht auf ihre größere oder geringere Schwere vor unserem
geistigen Auge vorüberziehen; sie ermöglicht dadurch auch dem der ganzen Frage
fernerstehenden Zeitungsleser, einen Blick auf die letzten Konsequenzen zu werfen.
Wegen dieser Vorzüge sei sie allen Deutschen zu eingehendem Studium empfohlen,-
es ist hier dem denkenden Menschen die Möglichkeit geboten, sich über eine der
wichtigsten Fragen unseres nationalen Daseins ein eigenes Urteil zu bilden,
über eine Frage, deren Lösung nicht nur äußerliche staatsrechtliche Beziehungen
endgültig regeln, sondern auch die kulturelle Entwicklung der Nation tief beein¬
flussen und deren Stellung zum neudeutschen Kaisertum festlegen würde.

Das Positive an seiner Rede ist: die Regierung hat sich entschlossen,
der ultramontanen Geschichtsauffassung den Einfluß auf unsere Jugend
zu nehmen und sie die Schönheiten der deutschen Literatur durch den Mund
innerlich freier Männer kennen lernen zu lassen. Sollte hinter den Worten anch
der feste Wille zur Tat stehen, — schon in wenigen Wochen, beim Eintritt neuer
Lehrkräfte zu Beginn des neuen Schuljahres muß es sich ja zeigen —, sollten die
Worte nicht lediglich eine Drohung bedeuten, dann wäre die deutsche Sache siegreich
aus den letzten Kämpfen gegen Rom hervorgegangen. In solcher Auffassung
stimmen mit uns alle Politiker der Mittelparteien überein, selbst solche, die als
einen vollen Sieg nur den Abbruch aller Beziehungen zum Papst und die
Beseitigung der katholischen Fakultäten gelten lassen wollen, d. h. die den Zeit¬
punkt für einen neuen Kulturkampf gekommen wähnen.


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[0558] Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Der preußische Kultusetat — Die Rede des Kanzlers — Das Positive der Kanzler¬ rede — Kulturkampf — Max Lenz und die Romantik — Die preussische Gesandtschaft beim Vatikan — Bedauerliche Unklarheiten — Die Stellung der Konservativen. Nicht ohne ein gewisses Bangen haben weite Kreise des gebildeten Deutsch¬ land den Debatten über den Kultusetat des preußischen Abgeordneten¬ hauses entgegengesehen. Sollte doch der preußische Ministerpräsident darüber Auskunft geben, welche Stellung die preußische Regierung gegenüber dem Vor¬ gehen der römischen Kurie einzunehmen gedenke. Nach der Vorrede, die der Herr Kultusminister in der Kommission gehalten hatte, wuchs der Optimismus und damit das Vertrauen zur Regierung, doch hielt sich die Mehrheit noch skeptisch zurück. Noch lag allen in den Ohren, was Herr v. Bethmann vor Weihnachten im Reichstage gesagt hatte: „Eine Politik unter Ausschaltung des Zentrums mache ich nicht mit". Am Dienstag nun hat Herr v. Bethmann Hollweg in langer, eindrucksvoller Rede den Standpunkt der Regierung dargelegt. Die Rede des Kanzlers zeichnet sich durch zwei Vorzüge aus, die Ministerredeu gewöhnlich nicht zu haben pflegen: sie erscheint sorgfältig bis in kleinste Einzelheiten vorbereitet, und sie läßt alle Momente des preußisch-römischen Streites ohne Rücksicht auf ihre größere oder geringere Schwere vor unserem geistigen Auge vorüberziehen; sie ermöglicht dadurch auch dem der ganzen Frage fernerstehenden Zeitungsleser, einen Blick auf die letzten Konsequenzen zu werfen. Wegen dieser Vorzüge sei sie allen Deutschen zu eingehendem Studium empfohlen,- es ist hier dem denkenden Menschen die Möglichkeit geboten, sich über eine der wichtigsten Fragen unseres nationalen Daseins ein eigenes Urteil zu bilden, über eine Frage, deren Lösung nicht nur äußerliche staatsrechtliche Beziehungen endgültig regeln, sondern auch die kulturelle Entwicklung der Nation tief beein¬ flussen und deren Stellung zum neudeutschen Kaisertum festlegen würde. Das Positive an seiner Rede ist: die Regierung hat sich entschlossen, der ultramontanen Geschichtsauffassung den Einfluß auf unsere Jugend zu nehmen und sie die Schönheiten der deutschen Literatur durch den Mund innerlich freier Männer kennen lernen zu lassen. Sollte hinter den Worten anch der feste Wille zur Tat stehen, — schon in wenigen Wochen, beim Eintritt neuer Lehrkräfte zu Beginn des neuen Schuljahres muß es sich ja zeigen —, sollten die Worte nicht lediglich eine Drohung bedeuten, dann wäre die deutsche Sache siegreich aus den letzten Kämpfen gegen Rom hervorgegangen. In solcher Auffassung stimmen mit uns alle Politiker der Mittelparteien überein, selbst solche, die als einen vollen Sieg nur den Abbruch aller Beziehungen zum Papst und die Beseitigung der katholischen Fakultäten gelten lassen wollen, d. h. die den Zeit¬ punkt für einen neuen Kulturkampf gekommen wähnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/558>, abgerufen am 29.12.2024.