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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Stimmung beherrscht ohne Widerrede unsere
Tage -- trotz des Vorwurfes des Rationa¬
lismus und Materialismus wie partei¬
politischer Zentrumskämpfe --, und dennoch,
die religiöse Malerei feiert? Wo liegen die
Gründe? Man wird mir zweifelsohne ent¬
gegenhalten, daß ja das reiche Lebenswerk des
"erblichenen Meisters, dessen Name über diesen
".eilen steht, dem Malen der Heilslegcnde zu¬
gewandt gewesen sei. Und wahrlich nicht ohne
allgemein menschliche wie künstlerische Erfolge!
Trotzdem und trotz eines Gabriel Max, eines
Gebhardt, eines Sascha Schneider und Mnx
Klinger -- ein Dolmetscher des religiösen
Sehnens unserer Gegenwart erstand uns nicht!
Fritz p, Abbe versuchte dem mutig dem Alltage
ins Gesicht schauenden religiösen Sollen einen
Ausdruck zu verleihen, indem er das rationa¬
listische Denken, Beobachten und die dem Ver¬
stände unfaßbare Sehnsucht des Herzens nach
der Welt Gottes in seinen Gemälden zu ver¬
binden strebte. Das Licht der Erdensonne fällt
auf seine schlichten naturwirklichen Menschen,
und unter sie tritt ein Mensch, dessen Körper
nicht von diesen starkknochigen Erdensöhnen
6" stammen und dessen Innenleben vom Jen¬
seits der goldenen Sterne erfüllt zu sein
scheint. "Lasset die Kindlein zu mir kommen,
bettet, ihr Menschen, euer Haupt an meine
Brust, laßt den tiefen, süßen Frieden reinen
Seelenlebens in euch hinüberströmen; denn
fühlet, daß ich der Herr bin!" -- Aus warmem,
großem Künstlerherzcn schwang sich das reli¬
giöse Sehnen in unser rauhes Tagesleben,
es wollte seine scharfkantige Härte ihm nehmen
und schenken, was es brauchte: einen Blick
>n die starke, stärkende Region der Ewigkeits¬
werte, in das Reich des lebendigen Gottes,
das beherrscht wird von dem Wissen, daß
nur, aus Leben ein Leben entstehen und
Werden kann.

Aber es klafft el" ebenso tiefer Spalt
Zwischen den irdischen und himmlischen Ge¬
stalten, die Nhdes Meisterhand ins Dasein
nef, wie zwischen unserer naturwissenschaftlich¬
historischen Bildung und jener Herzens-
"berzcugung, die ohne wissenschaftliche Be¬
weise in uns lebt und leben muß -- denn
"nur aus Leben entspringt wieder Leben"!
Und wer gab dies Urleben? Solange noch

[Spaltenumbruch]

der Verstand dem Herzen diese Frage ent¬
gegenhalten wird, solange wird eine im
Kerne starke, in sich geschlossene religiöse
Malerei uns nicht beschieden sei". Daran
helfe" Beschwörungen alter Zeiten, wie sie
Gebhardt geboten hat, nicht. Da können so
tiefgründige Schöpfungen wie Klingers Ra¬
dierungen vom Tode und vom Leben keine
Hilfe bringen und eine Mystik wie in Sascha
Schneiders sehnsüchtig fragenden Arbeiten von
dem Wesen des Jenseits keinen Frieden spende".
Und unsere reiche, so machtvoll schaffende,
ringende Zeit muß über diese schwere Stunde
Hinwegkummen -- ehe ein Künstler ihr Sollen
in Knnstforni zu übersetzen vermag? Wird
aber dies je erreicht werden? Wonach strebe"
Wir? Kurz gesagt, das herrliche Bibelwort zu
erfüllen: Gott ist ein Geist, und die ihn an¬
schauen, müssen ihn im Geiste anschauen. Dar¬
nach strebt mit heißem Sinnen in Wahrheit
unsere Gegenwart, darin besteht unser Moder¬
nismus, aus der Fülle seiner Werke den
Schöpfer zu erfassen und ihn anzubeten in
stummer Ehrfurcht -- wie es Meister Klinger
in seinem köstlichsten Werk "An die Schönheit"
zu schildern versucht hat. Je sinnlicher, je
anthropomorpher die Borstellung von Gott
und seinem Reiche war, um so mannigfacher
War die Tätigkeit der Künstler -- je reifer,
je geistiger die Innenwelt der Menschen wurde
(seit Rembrandts Tagen), um so enger um¬
grenzt wurde das Feld der religiösen Kunst.
"Mein Reich ist nicht vo" dieser Welt, und
wer unseren Vater anbeten will, der bete z"
ihm in seinem Herzen", lehrte der Stifter
des Christentunis. Deshalb treten die mo¬
dernen Künstler so gerne in die sreie Gottes¬
natur, folgen allein Tun der Menschen, den"
das Schaffen in der Natur, die ehrliche Arbeit,
das warme Lieben der Menschen, eS spricht
ihnen von einer Welt, die über den Horizont
hinausgeht, über den die Sonne ihre Bahnen
zieht. Aus dem geahnten ewigen Leben durch'
das Leben für das Leben zu schaffen -- ob
das nicht die echteste religiöse Kunst ist? Abbe
strebte nach dieser, aber ohne vollen Erfolg,
da er sich von der Überlieferung der anthro-
pomorphen ReligionSanffassmig nicht guil,>,
befreien konnte. Prof. Or. B. Haendck

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Stimmung beherrscht ohne Widerrede unsere
Tage — trotz des Vorwurfes des Rationa¬
lismus und Materialismus wie partei¬
politischer Zentrumskämpfe —, und dennoch,
die religiöse Malerei feiert? Wo liegen die
Gründe? Man wird mir zweifelsohne ent¬
gegenhalten, daß ja das reiche Lebenswerk des
»erblichenen Meisters, dessen Name über diesen
".eilen steht, dem Malen der Heilslegcnde zu¬
gewandt gewesen sei. Und wahrlich nicht ohne
allgemein menschliche wie künstlerische Erfolge!
Trotzdem und trotz eines Gabriel Max, eines
Gebhardt, eines Sascha Schneider und Mnx
Klinger — ein Dolmetscher des religiösen
Sehnens unserer Gegenwart erstand uns nicht!
Fritz p, Abbe versuchte dem mutig dem Alltage
ins Gesicht schauenden religiösen Sollen einen
Ausdruck zu verleihen, indem er das rationa¬
listische Denken, Beobachten und die dem Ver¬
stände unfaßbare Sehnsucht des Herzens nach
der Welt Gottes in seinen Gemälden zu ver¬
binden strebte. Das Licht der Erdensonne fällt
auf seine schlichten naturwirklichen Menschen,
und unter sie tritt ein Mensch, dessen Körper
nicht von diesen starkknochigen Erdensöhnen
6» stammen und dessen Innenleben vom Jen¬
seits der goldenen Sterne erfüllt zu sein
scheint. „Lasset die Kindlein zu mir kommen,
bettet, ihr Menschen, euer Haupt an meine
Brust, laßt den tiefen, süßen Frieden reinen
Seelenlebens in euch hinüberströmen; denn
fühlet, daß ich der Herr bin!" — Aus warmem,
großem Künstlerherzcn schwang sich das reli¬
giöse Sehnen in unser rauhes Tagesleben,
es wollte seine scharfkantige Härte ihm nehmen
und schenken, was es brauchte: einen Blick
>n die starke, stärkende Region der Ewigkeits¬
werte, in das Reich des lebendigen Gottes,
das beherrscht wird von dem Wissen, daß
nur, aus Leben ein Leben entstehen und
Werden kann.

Aber es klafft el» ebenso tiefer Spalt
Zwischen den irdischen und himmlischen Ge¬
stalten, die Nhdes Meisterhand ins Dasein
nef, wie zwischen unserer naturwissenschaftlich¬
historischen Bildung und jener Herzens-
"berzcugung, die ohne wissenschaftliche Be¬
weise in uns lebt und leben muß — denn
»nur aus Leben entspringt wieder Leben"!
Und wer gab dies Urleben? Solange noch

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der Verstand dem Herzen diese Frage ent¬
gegenhalten wird, solange wird eine im
Kerne starke, in sich geschlossene religiöse
Malerei uns nicht beschieden sei». Daran
helfe» Beschwörungen alter Zeiten, wie sie
Gebhardt geboten hat, nicht. Da können so
tiefgründige Schöpfungen wie Klingers Ra¬
dierungen vom Tode und vom Leben keine
Hilfe bringen und eine Mystik wie in Sascha
Schneiders sehnsüchtig fragenden Arbeiten von
dem Wesen des Jenseits keinen Frieden spende».
Und unsere reiche, so machtvoll schaffende,
ringende Zeit muß über diese schwere Stunde
Hinwegkummen — ehe ein Künstler ihr Sollen
in Knnstforni zu übersetzen vermag? Wird
aber dies je erreicht werden? Wonach strebe»
Wir? Kurz gesagt, das herrliche Bibelwort zu
erfüllen: Gott ist ein Geist, und die ihn an¬
schauen, müssen ihn im Geiste anschauen. Dar¬
nach strebt mit heißem Sinnen in Wahrheit
unsere Gegenwart, darin besteht unser Moder¬
nismus, aus der Fülle seiner Werke den
Schöpfer zu erfassen und ihn anzubeten in
stummer Ehrfurcht — wie es Meister Klinger
in seinem köstlichsten Werk „An die Schönheit"
zu schildern versucht hat. Je sinnlicher, je
anthropomorpher die Borstellung von Gott
und seinem Reiche war, um so mannigfacher
War die Tätigkeit der Künstler — je reifer,
je geistiger die Innenwelt der Menschen wurde
(seit Rembrandts Tagen), um so enger um¬
grenzt wurde das Feld der religiösen Kunst.
„Mein Reich ist nicht vo» dieser Welt, und
wer unseren Vater anbeten will, der bete z»
ihm in seinem Herzen", lehrte der Stifter
des Christentunis. Deshalb treten die mo¬
dernen Künstler so gerne in die sreie Gottes¬
natur, folgen allein Tun der Menschen, den»
das Schaffen in der Natur, die ehrliche Arbeit,
das warme Lieben der Menschen, eS spricht
ihnen von einer Welt, die über den Horizont
hinausgeht, über den die Sonne ihre Bahnen
zieht. Aus dem geahnten ewigen Leben durch'
das Leben für das Leben zu schaffen — ob
das nicht die echteste religiöse Kunst ist? Abbe
strebte nach dieser, aber ohne vollen Erfolg,
da er sich von der Überlieferung der anthro-
pomorphen ReligionSanffassmig nicht guil,>,
befreien konnte. Prof. Or. B. Haendck

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[0557] Maßgebliches und Unmaßgebliches Stimmung beherrscht ohne Widerrede unsere Tage — trotz des Vorwurfes des Rationa¬ lismus und Materialismus wie partei¬ politischer Zentrumskämpfe —, und dennoch, die religiöse Malerei feiert? Wo liegen die Gründe? Man wird mir zweifelsohne ent¬ gegenhalten, daß ja das reiche Lebenswerk des »erblichenen Meisters, dessen Name über diesen ".eilen steht, dem Malen der Heilslegcnde zu¬ gewandt gewesen sei. Und wahrlich nicht ohne allgemein menschliche wie künstlerische Erfolge! Trotzdem und trotz eines Gabriel Max, eines Gebhardt, eines Sascha Schneider und Mnx Klinger — ein Dolmetscher des religiösen Sehnens unserer Gegenwart erstand uns nicht! Fritz p, Abbe versuchte dem mutig dem Alltage ins Gesicht schauenden religiösen Sollen einen Ausdruck zu verleihen, indem er das rationa¬ listische Denken, Beobachten und die dem Ver¬ stände unfaßbare Sehnsucht des Herzens nach der Welt Gottes in seinen Gemälden zu ver¬ binden strebte. Das Licht der Erdensonne fällt auf seine schlichten naturwirklichen Menschen, und unter sie tritt ein Mensch, dessen Körper nicht von diesen starkknochigen Erdensöhnen 6» stammen und dessen Innenleben vom Jen¬ seits der goldenen Sterne erfüllt zu sein scheint. „Lasset die Kindlein zu mir kommen, bettet, ihr Menschen, euer Haupt an meine Brust, laßt den tiefen, süßen Frieden reinen Seelenlebens in euch hinüberströmen; denn fühlet, daß ich der Herr bin!" — Aus warmem, großem Künstlerherzcn schwang sich das reli¬ giöse Sehnen in unser rauhes Tagesleben, es wollte seine scharfkantige Härte ihm nehmen und schenken, was es brauchte: einen Blick >n die starke, stärkende Region der Ewigkeits¬ werte, in das Reich des lebendigen Gottes, das beherrscht wird von dem Wissen, daß nur, aus Leben ein Leben entstehen und Werden kann. Aber es klafft el» ebenso tiefer Spalt Zwischen den irdischen und himmlischen Ge¬ stalten, die Nhdes Meisterhand ins Dasein nef, wie zwischen unserer naturwissenschaftlich¬ historischen Bildung und jener Herzens- "berzcugung, die ohne wissenschaftliche Be¬ weise in uns lebt und leben muß — denn »nur aus Leben entspringt wieder Leben"! Und wer gab dies Urleben? Solange noch der Verstand dem Herzen diese Frage ent¬ gegenhalten wird, solange wird eine im Kerne starke, in sich geschlossene religiöse Malerei uns nicht beschieden sei». Daran helfe» Beschwörungen alter Zeiten, wie sie Gebhardt geboten hat, nicht. Da können so tiefgründige Schöpfungen wie Klingers Ra¬ dierungen vom Tode und vom Leben keine Hilfe bringen und eine Mystik wie in Sascha Schneiders sehnsüchtig fragenden Arbeiten von dem Wesen des Jenseits keinen Frieden spende». Und unsere reiche, so machtvoll schaffende, ringende Zeit muß über diese schwere Stunde Hinwegkummen — ehe ein Künstler ihr Sollen in Knnstforni zu übersetzen vermag? Wird aber dies je erreicht werden? Wonach strebe» Wir? Kurz gesagt, das herrliche Bibelwort zu erfüllen: Gott ist ein Geist, und die ihn an¬ schauen, müssen ihn im Geiste anschauen. Dar¬ nach strebt mit heißem Sinnen in Wahrheit unsere Gegenwart, darin besteht unser Moder¬ nismus, aus der Fülle seiner Werke den Schöpfer zu erfassen und ihn anzubeten in stummer Ehrfurcht — wie es Meister Klinger in seinem köstlichsten Werk „An die Schönheit" zu schildern versucht hat. Je sinnlicher, je anthropomorpher die Borstellung von Gott und seinem Reiche war, um so mannigfacher War die Tätigkeit der Künstler — je reifer, je geistiger die Innenwelt der Menschen wurde (seit Rembrandts Tagen), um so enger um¬ grenzt wurde das Feld der religiösen Kunst. „Mein Reich ist nicht vo» dieser Welt, und wer unseren Vater anbeten will, der bete z» ihm in seinem Herzen", lehrte der Stifter des Christentunis. Deshalb treten die mo¬ dernen Künstler so gerne in die sreie Gottes¬ natur, folgen allein Tun der Menschen, den» das Schaffen in der Natur, die ehrliche Arbeit, das warme Lieben der Menschen, eS spricht ihnen von einer Welt, die über den Horizont hinausgeht, über den die Sonne ihre Bahnen zieht. Aus dem geahnten ewigen Leben durch' das Leben für das Leben zu schaffen — ob das nicht die echteste religiöse Kunst ist? Abbe strebte nach dieser, aber ohne vollen Erfolg, da er sich von der Überlieferung der anthro- pomorphen ReligionSanffassmig nicht guil,>, befreien konnte. Prof. Or. B. Haendck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/557>, abgerufen am 28.12.2024.