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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Runst, (Österreich zu regieren

letztemal, daß eine nationale Frage im Budget überhaupt zum Ausdruck kam.
Graf Badeui brauchte die Hilfe der Tschechen für den ungarischen Ausgleich,
gleichfalls eine laufende parlamentarische Notwendigkeit, die sich alle zehn Jahr
erneut; und als Preis dafür zahlte er die berüchtigten Sprachenverordnungen,
die die Deutschen fast bis zum offenen Aufruhr trieben. Damit ist denn auch
die Obstruktion offiziell in die Kampfmittel der Minderheit aufgenommen, und
sie wird von da an abwechselnd von großen und kleinen bis kleinsten Parteien
des Hauses geübt. Die Regierung hat also nicht nur die Aufgabe, die Parteien
der sie unterstützenden Mehrheit zu befriedigen, sondern auch die der opponierenden
Minderheit, wenigstens so weit, daß sie auf das äußerste Mittel, die Obstruktion,
bei Bekämpfung der Regierung verzichten. Die nationalen Streitfragen durch
entsprechende Gesetze zu schlichten, die die Rechte einer Nationalität abgrenzen,
gilt von vornherein als aussichtslos, man kämpft lediglich um deu Einfluß auf
die Verwaltung. Vorübergehend ist die Bewilligung des Budgets ^- bezeichnender¬
weise meist in Form von Budgetprovisorien -- zu erreichen; der dafür bezahlte
Preis besteht in der Überlassung einzelner Ministerien an Vertrauensmänner
gewisser, gerade einflußreicher Parteien. Wie diese nun für ihre Nationalität
wirken, entzieht sich mitunter eine Zeitlang der Öffentlichkeit, so wenn z. B.
der Handelsminister im Ministerium Beck, der Tscheche Fiedler, auf telephoni¬
schen Wege Anweisungen über den Sprachgebrauch bei der Prager Postdirektion
gab, die im Widerspruch zu den Gesetzen standen. Das läßt sich aber nicht
ewig verheimlichen, entgegenstehende nationale Interessen sind verletzt, die
Zusammenarbeit der Vertreter verschiedener Nationalitäten wird unmöglich, und
das Ministerium muß zurücktreten.

Als Heilmittel gegen den nationalen Zwist wurde der Bureaukratie das
allgemeine Wahlrecht von einer kleinen aber einflußreichen Gruppe von Katheder¬
sozialisten empfohlen. Die Bureaukratie nahm den Gedanken teils mit Begeisterung,
teils mit einer gewissen Wurstigkeitsstimmuug auf. So wurde unter starken:
Druck auf widerstrebende Parteien das allgemeine Wahlrecht im Abgeordneten¬
hause durchgesetzt, in camera Lantatis mit dessen Oktroyierung gedroht. Die
Vermehrung der sozialdemokratischen Mandate wurde von der Bureaukratie
geradezu ersehnt, denn nun würde es unter dem Druck der sozialdemokratischen
Forderung nach positiver Arbeit tadellos gehen. An Erfolgen der Sozial¬
demokraten hat es nun allerdings nicht gefehlt, sie zogen in einer Stärke von
sechsundachtzig Mann in das neue Haus; die Wirkung war aber anders, als
man sie erwartet.

Die große Zahl von Sozialdemokraten hat die Bildung einer Mehrheit
sür eine Regierung neuerdings erschwert. Zwar treten die Sozialdemokraten
grundsätzlich für die Arbeitsfähigkeit des Hauses ein und bekämpfen jede
Obstruktion, wobei freilich noch zu bezweifeln ist, ob die Grundsätze unter allen
Umständen standhalten würden. Aber damit ist einer Regierung, die eine
Mehrheit sucht, noch wenig geholfen, sie wird schließlich die Unterstützung der


Die Runst, (Österreich zu regieren

letztemal, daß eine nationale Frage im Budget überhaupt zum Ausdruck kam.
Graf Badeui brauchte die Hilfe der Tschechen für den ungarischen Ausgleich,
gleichfalls eine laufende parlamentarische Notwendigkeit, die sich alle zehn Jahr
erneut; und als Preis dafür zahlte er die berüchtigten Sprachenverordnungen,
die die Deutschen fast bis zum offenen Aufruhr trieben. Damit ist denn auch
die Obstruktion offiziell in die Kampfmittel der Minderheit aufgenommen, und
sie wird von da an abwechselnd von großen und kleinen bis kleinsten Parteien
des Hauses geübt. Die Regierung hat also nicht nur die Aufgabe, die Parteien
der sie unterstützenden Mehrheit zu befriedigen, sondern auch die der opponierenden
Minderheit, wenigstens so weit, daß sie auf das äußerste Mittel, die Obstruktion,
bei Bekämpfung der Regierung verzichten. Die nationalen Streitfragen durch
entsprechende Gesetze zu schlichten, die die Rechte einer Nationalität abgrenzen,
gilt von vornherein als aussichtslos, man kämpft lediglich um deu Einfluß auf
die Verwaltung. Vorübergehend ist die Bewilligung des Budgets ^- bezeichnender¬
weise meist in Form von Budgetprovisorien — zu erreichen; der dafür bezahlte
Preis besteht in der Überlassung einzelner Ministerien an Vertrauensmänner
gewisser, gerade einflußreicher Parteien. Wie diese nun für ihre Nationalität
wirken, entzieht sich mitunter eine Zeitlang der Öffentlichkeit, so wenn z. B.
der Handelsminister im Ministerium Beck, der Tscheche Fiedler, auf telephoni¬
schen Wege Anweisungen über den Sprachgebrauch bei der Prager Postdirektion
gab, die im Widerspruch zu den Gesetzen standen. Das läßt sich aber nicht
ewig verheimlichen, entgegenstehende nationale Interessen sind verletzt, die
Zusammenarbeit der Vertreter verschiedener Nationalitäten wird unmöglich, und
das Ministerium muß zurücktreten.

Als Heilmittel gegen den nationalen Zwist wurde der Bureaukratie das
allgemeine Wahlrecht von einer kleinen aber einflußreichen Gruppe von Katheder¬
sozialisten empfohlen. Die Bureaukratie nahm den Gedanken teils mit Begeisterung,
teils mit einer gewissen Wurstigkeitsstimmuug auf. So wurde unter starken:
Druck auf widerstrebende Parteien das allgemeine Wahlrecht im Abgeordneten¬
hause durchgesetzt, in camera Lantatis mit dessen Oktroyierung gedroht. Die
Vermehrung der sozialdemokratischen Mandate wurde von der Bureaukratie
geradezu ersehnt, denn nun würde es unter dem Druck der sozialdemokratischen
Forderung nach positiver Arbeit tadellos gehen. An Erfolgen der Sozial¬
demokraten hat es nun allerdings nicht gefehlt, sie zogen in einer Stärke von
sechsundachtzig Mann in das neue Haus; die Wirkung war aber anders, als
man sie erwartet.

Die große Zahl von Sozialdemokraten hat die Bildung einer Mehrheit
sür eine Regierung neuerdings erschwert. Zwar treten die Sozialdemokraten
grundsätzlich für die Arbeitsfähigkeit des Hauses ein und bekämpfen jede
Obstruktion, wobei freilich noch zu bezweifeln ist, ob die Grundsätze unter allen
Umständen standhalten würden. Aber damit ist einer Regierung, die eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/474>, abgerufen am 29.12.2024.