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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst, Österreich zu regieren

der Mehrheit, die aus Slaven besteht, bei. Eine große Rolle spielt aber dabei
neben dem Einfluß, den der Klerikalismus dadurch auf die Verwaltung gewinnt,
der Autonomiewunsch der Tiroler, die infolge der geographischen Lage des
Landes und gewisser geschichtlicher Überlieferungen dem Föderalismus geneigt
sind. Die Tschechen behalten den Föderalismus zwar in ihrem Programm,
stellen ihn aber zugunsten der einträglichen Politik nationaler Eroberungen
vorläufig zurück. Im Jahre 1873 war zwar das direkte Wahlrecht zum Reichsrat
an die Stelle der Wahl durch die Landtage getreten, aber durch die starke
Vertretung des Großgrundbesitzes in einer eigenen Wahlkurie kam das ständische
Prinzip auch hier bis zu einen: gewissen Grade zur Geltung. Die Zersetzung
der einzelnen nationalen Vertretungen in einzelne Parteien zeigte sich damals
noch kaum in den Anfängen.

Trotzdem war die Mehrheit des "eisernen Ringes", auf die Taaffe sich
stützte, alles eher als homogen; sie konnte es schon um deswillen nicht sein,
weil sie kein gemeinsames Ziel hatte. Das hätte es etwa geben können, wenn das
Ministerium sich die grundsätzliche Durchführung des Föderalismus zur Aufgabe
gesetzt hätte. Aber davon war keine Rede. So stellte jede einzelne Gruppe ihre
Forderungen, die teils auf nationalem, teils auf rein politischem Gebiet lagen,
und die Befriedigung dieser Wünsche hielt die Mehrheit beisammen. Die ein¬
zelnen Gruppen waren freilich ziemlich gleichartig; bei den Polen war der Einfluß
der Schlachtn unwidersprochen, die Tschechen waren durch die Allsehenden ver¬
treten, deren Abgang voni Schauplatz dann mit einem Schlage erfolgte, der
Feudaladel war mit ihnen fast solidarisch. Die Deutsch klerikalen bildeten gleich¬
falls eine geschlossene Gruppe, die nur einige wenige Außenseiter hatte, die ihre
deutsche Gesinnung mehr betonten. Auch die Opposition, die "Vereinigte Linke",
war eine geschlossene Partei, zahlenmäßig überhaupt die stärkste des Hauses.
Als sich trotz dieser verhältnismäßig einfachen Zusammensetzung der parla¬
mentarischen Maschine die Schwierigkeiten Taaffes mehrten, warf er den
Gedanken einer Erweiterung des Wahlrechts ins Haus, in erster Linie wohl in
der Absicht, die deutsche Opposition dadurch zu schwächen. Aber er hatte damit
auch einen wunden Punkt bei den Polen berührt und stürzte über deren Gegner¬
schaft. Das Ministerium des Grafen Taaffe war das längste seit dem Erlaß
einer Verfassung gewesen; nun tritt eine neue Periode ein, die sich durch einen
ununterbrochenen Wechsel der Ministerien auszeichnet. Ein Ministerium, das es
zu einer Lebensdauer von drei Jahren bringt, mutet scholl an wie ein Methusalem.
Charakteristisch ist dabei, daß die Ministerien nicht etwa über weittragende
politische Fragen, bei großen Gesetzen und einschneidenden Gesetzesvorlagen
stürzen, sondern einfach bei der Fortführung der laufenden Geschäfte. So glaubte
das Koalitionsministerium Windischgrätz des Wohlwollens der Slowenen nicht
entbehren zu können und gestand ihnen slowenische Parallelklassen an: deutscheu
Gymnasium in Cilli zu; infolgedessen verweigern die Deutschen dem Ministerium
die Gefolgschaft und es muß abtreten. Beiläufig bemerkt war es damals das


Die Kunst, Österreich zu regieren

der Mehrheit, die aus Slaven besteht, bei. Eine große Rolle spielt aber dabei
neben dem Einfluß, den der Klerikalismus dadurch auf die Verwaltung gewinnt,
der Autonomiewunsch der Tiroler, die infolge der geographischen Lage des
Landes und gewisser geschichtlicher Überlieferungen dem Föderalismus geneigt
sind. Die Tschechen behalten den Föderalismus zwar in ihrem Programm,
stellen ihn aber zugunsten der einträglichen Politik nationaler Eroberungen
vorläufig zurück. Im Jahre 1873 war zwar das direkte Wahlrecht zum Reichsrat
an die Stelle der Wahl durch die Landtage getreten, aber durch die starke
Vertretung des Großgrundbesitzes in einer eigenen Wahlkurie kam das ständische
Prinzip auch hier bis zu einen: gewissen Grade zur Geltung. Die Zersetzung
der einzelnen nationalen Vertretungen in einzelne Parteien zeigte sich damals
noch kaum in den Anfängen.

Trotzdem war die Mehrheit des „eisernen Ringes", auf die Taaffe sich
stützte, alles eher als homogen; sie konnte es schon um deswillen nicht sein,
weil sie kein gemeinsames Ziel hatte. Das hätte es etwa geben können, wenn das
Ministerium sich die grundsätzliche Durchführung des Föderalismus zur Aufgabe
gesetzt hätte. Aber davon war keine Rede. So stellte jede einzelne Gruppe ihre
Forderungen, die teils auf nationalem, teils auf rein politischem Gebiet lagen,
und die Befriedigung dieser Wünsche hielt die Mehrheit beisammen. Die ein¬
zelnen Gruppen waren freilich ziemlich gleichartig; bei den Polen war der Einfluß
der Schlachtn unwidersprochen, die Tschechen waren durch die Allsehenden ver¬
treten, deren Abgang voni Schauplatz dann mit einem Schlage erfolgte, der
Feudaladel war mit ihnen fast solidarisch. Die Deutsch klerikalen bildeten gleich¬
falls eine geschlossene Gruppe, die nur einige wenige Außenseiter hatte, die ihre
deutsche Gesinnung mehr betonten. Auch die Opposition, die „Vereinigte Linke",
war eine geschlossene Partei, zahlenmäßig überhaupt die stärkste des Hauses.
Als sich trotz dieser verhältnismäßig einfachen Zusammensetzung der parla¬
mentarischen Maschine die Schwierigkeiten Taaffes mehrten, warf er den
Gedanken einer Erweiterung des Wahlrechts ins Haus, in erster Linie wohl in
der Absicht, die deutsche Opposition dadurch zu schwächen. Aber er hatte damit
auch einen wunden Punkt bei den Polen berührt und stürzte über deren Gegner¬
schaft. Das Ministerium des Grafen Taaffe war das längste seit dem Erlaß
einer Verfassung gewesen; nun tritt eine neue Periode ein, die sich durch einen
ununterbrochenen Wechsel der Ministerien auszeichnet. Ein Ministerium, das es
zu einer Lebensdauer von drei Jahren bringt, mutet scholl an wie ein Methusalem.
Charakteristisch ist dabei, daß die Ministerien nicht etwa über weittragende
politische Fragen, bei großen Gesetzen und einschneidenden Gesetzesvorlagen
stürzen, sondern einfach bei der Fortführung der laufenden Geschäfte. So glaubte
das Koalitionsministerium Windischgrätz des Wohlwollens der Slowenen nicht
entbehren zu können und gestand ihnen slowenische Parallelklassen an: deutscheu
Gymnasium in Cilli zu; infolgedessen verweigern die Deutschen dem Ministerium
die Gefolgschaft und es muß abtreten. Beiläufig bemerkt war es damals das


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[0473] Die Kunst, Österreich zu regieren der Mehrheit, die aus Slaven besteht, bei. Eine große Rolle spielt aber dabei neben dem Einfluß, den der Klerikalismus dadurch auf die Verwaltung gewinnt, der Autonomiewunsch der Tiroler, die infolge der geographischen Lage des Landes und gewisser geschichtlicher Überlieferungen dem Föderalismus geneigt sind. Die Tschechen behalten den Föderalismus zwar in ihrem Programm, stellen ihn aber zugunsten der einträglichen Politik nationaler Eroberungen vorläufig zurück. Im Jahre 1873 war zwar das direkte Wahlrecht zum Reichsrat an die Stelle der Wahl durch die Landtage getreten, aber durch die starke Vertretung des Großgrundbesitzes in einer eigenen Wahlkurie kam das ständische Prinzip auch hier bis zu einen: gewissen Grade zur Geltung. Die Zersetzung der einzelnen nationalen Vertretungen in einzelne Parteien zeigte sich damals noch kaum in den Anfängen. Trotzdem war die Mehrheit des „eisernen Ringes", auf die Taaffe sich stützte, alles eher als homogen; sie konnte es schon um deswillen nicht sein, weil sie kein gemeinsames Ziel hatte. Das hätte es etwa geben können, wenn das Ministerium sich die grundsätzliche Durchführung des Föderalismus zur Aufgabe gesetzt hätte. Aber davon war keine Rede. So stellte jede einzelne Gruppe ihre Forderungen, die teils auf nationalem, teils auf rein politischem Gebiet lagen, und die Befriedigung dieser Wünsche hielt die Mehrheit beisammen. Die ein¬ zelnen Gruppen waren freilich ziemlich gleichartig; bei den Polen war der Einfluß der Schlachtn unwidersprochen, die Tschechen waren durch die Allsehenden ver¬ treten, deren Abgang voni Schauplatz dann mit einem Schlage erfolgte, der Feudaladel war mit ihnen fast solidarisch. Die Deutsch klerikalen bildeten gleich¬ falls eine geschlossene Gruppe, die nur einige wenige Außenseiter hatte, die ihre deutsche Gesinnung mehr betonten. Auch die Opposition, die „Vereinigte Linke", war eine geschlossene Partei, zahlenmäßig überhaupt die stärkste des Hauses. Als sich trotz dieser verhältnismäßig einfachen Zusammensetzung der parla¬ mentarischen Maschine die Schwierigkeiten Taaffes mehrten, warf er den Gedanken einer Erweiterung des Wahlrechts ins Haus, in erster Linie wohl in der Absicht, die deutsche Opposition dadurch zu schwächen. Aber er hatte damit auch einen wunden Punkt bei den Polen berührt und stürzte über deren Gegner¬ schaft. Das Ministerium des Grafen Taaffe war das längste seit dem Erlaß einer Verfassung gewesen; nun tritt eine neue Periode ein, die sich durch einen ununterbrochenen Wechsel der Ministerien auszeichnet. Ein Ministerium, das es zu einer Lebensdauer von drei Jahren bringt, mutet scholl an wie ein Methusalem. Charakteristisch ist dabei, daß die Ministerien nicht etwa über weittragende politische Fragen, bei großen Gesetzen und einschneidenden Gesetzesvorlagen stürzen, sondern einfach bei der Fortführung der laufenden Geschäfte. So glaubte das Koalitionsministerium Windischgrätz des Wohlwollens der Slowenen nicht entbehren zu können und gestand ihnen slowenische Parallelklassen an: deutscheu Gymnasium in Cilli zu; infolgedessen verweigern die Deutschen dem Ministerium die Gefolgschaft und es muß abtreten. Beiläufig bemerkt war es damals das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/473>, abgerufen am 24.07.2024.