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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Adolf Fischhof

Brachte ich sie zu Markte, so käme ich mir wie eine felle Dirne vor. Ohne eigentlich schrift¬
stellerischen Beruf zu haben, schreibe ich immer, wenn ein Gefühl mich mächtig bewegt, und
habe daher nie einen Pfennig Honorar angenommen. Ich diene der Menschheit, aber ihr
Lohndiener bin ich nicht."

Bei solchen Grundsätzen und solcher Vermögenslage war es eigentlich ein
Glück für Fischhof, daß seine Jugendliebe nicht zur Verehelichung geführt hat; die
wohlhabenden Eltern der Geliebten verweigerten die Einwilligung zum Bunde
mit dem armen Sekundararzt. Dieser mutzte sich darauf beschränken, seine
Empfindungen in lyrischen Gedichten auszuströmen. Ein Charakter wie der
seinige überwindet natürlich solche Enttäuschungen, zumal da je länger desto
mehr die Liebe zu den Völkern Österreichs jede sinnliche Liebe aus seinem
Herzen verdrängte. Ärztliche Hilfe, die er unter besondern Umständen einem
reichen Ehepaare geleistet hatte, trug ihm ein Vermächtnis ein, das seine letzten
Lebensjahre der Nahrungssorgen überhob und ihm den von seinem Gesundheits¬
zustande geforderten alljährlichen Winteraufenthalt an der Riviera ermöglichte.
Der sechzigste und siebzigste Geburtstag brachten ihm die üblichen Huldigungen
ein, die aber von Herzen kamen. Für den siebzigsten regten die Demokraten
des Wiener Gemeinderath einen Glückwunsch der Stadt an, und da sich Wider¬
spruch erhob, rief Dr. Karl Lueger, damals noch Demokrat, der liberalen
Mehrheit zu: "Keiner von den Herren hier im Saale kann Fischhof das Wasser
reichen, und keiner lebt, der sich mit ihm an politischer Vergangenheit, an Ver¬
diensten um die Stadt Wien und an Integrität des Charakters messen kann."
Die liberale Mehrheit stimmte den Antrag nieder. Eine Lungenentzündung
warf Fischhof aufs Krankenlager, und am 23. März 1893 ist er verschieden.

Seine politische Tätigkeit bestand in der Abfassung von Zeitschriftenanfsätzen
und Flugschriften, von Denkschriften und Gesetzentwürfen, in der Jnspirierung
angesehener Blätter, deren Verleger und Redaktionen er beriet, und in den
mündlichen Unterredungen mit den Politikern, die zum "Weisen von Emmers-
dorf" pilgerten. Seine Lieblingsmethode war die Veranstaltung von Privat¬
konferenzen gemäßigter Männer aller Parteien; was die vereinbarten, das sollte
dann der Regierung und den Parteien zur Annahme vorgelegt werden. Dieses
Verfahren haben die Fürsten des Reformationszeitalters, namentlich Karl der Fünfte,
wiederholt eingeschlagen, um die entstandene Kirchenspaltung aufzuheben. Sie
wählten gemäßigte Männer beider Konfessionen aus und veranstalteten ein
Religionsgespräch. Das pflegte denn auch ganz schön zu verlaufen. Die Dis¬
putanten machten einander Zugestündnisse und stellten die Einigung in Aussicht.
Aber wenn das Ergebnis bekannt wurde, dann zeigte es sich, daß diese ver¬
söhnlich Gestimmten die Massen nicht hinter sich hatten; die wollten von Ver¬
söhnung nichts wissen. Auch Fischhofs Mühen hatten nur auf solchen Gebieten
Erfolg, wo entweder der Zwang der Notwendigkeit oder die Stimmung der
Bevölkerung die materiellen Bedingungen dafür schuf. Fischhof war ein
patriotischer Österreicher, wollte den österreichischen Staat und seine Großmacht¬
stellung erhalten wissen, und daß beides tatsächlich erhalten blieb, dafür hat ja


Adolf Fischhof

Brachte ich sie zu Markte, so käme ich mir wie eine felle Dirne vor. Ohne eigentlich schrift¬
stellerischen Beruf zu haben, schreibe ich immer, wenn ein Gefühl mich mächtig bewegt, und
habe daher nie einen Pfennig Honorar angenommen. Ich diene der Menschheit, aber ihr
Lohndiener bin ich nicht."

Bei solchen Grundsätzen und solcher Vermögenslage war es eigentlich ein
Glück für Fischhof, daß seine Jugendliebe nicht zur Verehelichung geführt hat; die
wohlhabenden Eltern der Geliebten verweigerten die Einwilligung zum Bunde
mit dem armen Sekundararzt. Dieser mutzte sich darauf beschränken, seine
Empfindungen in lyrischen Gedichten auszuströmen. Ein Charakter wie der
seinige überwindet natürlich solche Enttäuschungen, zumal da je länger desto
mehr die Liebe zu den Völkern Österreichs jede sinnliche Liebe aus seinem
Herzen verdrängte. Ärztliche Hilfe, die er unter besondern Umständen einem
reichen Ehepaare geleistet hatte, trug ihm ein Vermächtnis ein, das seine letzten
Lebensjahre der Nahrungssorgen überhob und ihm den von seinem Gesundheits¬
zustande geforderten alljährlichen Winteraufenthalt an der Riviera ermöglichte.
Der sechzigste und siebzigste Geburtstag brachten ihm die üblichen Huldigungen
ein, die aber von Herzen kamen. Für den siebzigsten regten die Demokraten
des Wiener Gemeinderath einen Glückwunsch der Stadt an, und da sich Wider¬
spruch erhob, rief Dr. Karl Lueger, damals noch Demokrat, der liberalen
Mehrheit zu: „Keiner von den Herren hier im Saale kann Fischhof das Wasser
reichen, und keiner lebt, der sich mit ihm an politischer Vergangenheit, an Ver¬
diensten um die Stadt Wien und an Integrität des Charakters messen kann."
Die liberale Mehrheit stimmte den Antrag nieder. Eine Lungenentzündung
warf Fischhof aufs Krankenlager, und am 23. März 1893 ist er verschieden.

Seine politische Tätigkeit bestand in der Abfassung von Zeitschriftenanfsätzen
und Flugschriften, von Denkschriften und Gesetzentwürfen, in der Jnspirierung
angesehener Blätter, deren Verleger und Redaktionen er beriet, und in den
mündlichen Unterredungen mit den Politikern, die zum „Weisen von Emmers-
dorf" pilgerten. Seine Lieblingsmethode war die Veranstaltung von Privat¬
konferenzen gemäßigter Männer aller Parteien; was die vereinbarten, das sollte
dann der Regierung und den Parteien zur Annahme vorgelegt werden. Dieses
Verfahren haben die Fürsten des Reformationszeitalters, namentlich Karl der Fünfte,
wiederholt eingeschlagen, um die entstandene Kirchenspaltung aufzuheben. Sie
wählten gemäßigte Männer beider Konfessionen aus und veranstalteten ein
Religionsgespräch. Das pflegte denn auch ganz schön zu verlaufen. Die Dis¬
putanten machten einander Zugestündnisse und stellten die Einigung in Aussicht.
Aber wenn das Ergebnis bekannt wurde, dann zeigte es sich, daß diese ver¬
söhnlich Gestimmten die Massen nicht hinter sich hatten; die wollten von Ver¬
söhnung nichts wissen. Auch Fischhofs Mühen hatten nur auf solchen Gebieten
Erfolg, wo entweder der Zwang der Notwendigkeit oder die Stimmung der
Bevölkerung die materiellen Bedingungen dafür schuf. Fischhof war ein
patriotischer Österreicher, wollte den österreichischen Staat und seine Großmacht¬
stellung erhalten wissen, und daß beides tatsächlich erhalten blieb, dafür hat ja


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/452>, abgerufen am 29.12.2024.