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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Adolf Fischhof

benutzten die Frist, die andern beiden blieben. Der eine davon war Fischhof;
er sagte den Freunden, die ihn drängten, abzureisen: "Bleibe ich, dann ver¬
urteilt mich vielleicht das Kriegsgericht, fliehe ich, dann verurteilt mich die
öffentliche Meinung." Am 7. März 1849 wurde er aus dem Bette geholt und
nach Wien übergeführt. Die Anklage lautete auf Hochverrat und Mitschuld an
der Ermordung Latours. Die Untersuchungshaft war mild und anständig, und der
wackere Richter Seywald leitete die Untersuchung so, daß das Verfahren am
7. September eingestellt wurde; doch durfte er die Haft erst am 2. Dezember
verlassen, nachdem die obern Instanzen den Freispruch ad in8tantia bestätigt
hatten.

Der Freigelassene sah sich existenzlos. Ein edler Freund, Gustav Figdor,
gab ihm die Mittel, sich als Arzt in Wien niederzulassen. Rasch erwarb er
eine so bedeutende Praxis in wohlhabenden Familien -- dabei aber seine liebste
Beschäftigung, die als Armenarzt, nicht vernachlässigend --, daß er ein Vermögen
ersparte. Dieses verlor er größtenteils im Krach von 1873, und zugleich stellte
sich ein Nervenleiden ein, das ihn bis zu seinem Lebensende an ununterbrochener
intensiver Arbeit hinderte. Das war der eine der beiden Gründe, die ihn davon
abhielten, als Abgeordneter oder Staatsbeamter politisch zu wirken; der andre
war sein von unabhängiger Überzeugung geleiteter Gerechtigkeitssinn, der ihm
verbot, sich durch eine Partei oder eine Regierung binden zu lassen. Eine Frei¬
sprechung ab !n8tantia setzte den Angeklagten noch nicht in sein volles Staats¬
bürgerrecht wieder ein. Belcredi wünschte Fischhof für den Staatsdienst zu
gewinnen und bewirkte deshalb im Januar 18V7 eine Spezialamnestie für ihn,
die alle Folgen der Anklage aufhob. Das gab zu allerhand Gerüchten
Anlaß, so daß Fischhof an einen Freund schrieb: "Belcredi hätte in
seiner plumpen Umarmung beinahe meine Ehre erdrückt." Später hat ihm
Potocki ein Ministerportefeuille angeboten. Fischhof lehnte es ab, aber seine
Wohnung wurde fleißig von Ministern und Abgeordneten aufgesucht, die sich
Rat bei ihm holten, so daß er in der österreichischen Politik einigermaßen die¬
selbe Rolle spielte, wie vordem der Pater Joseph unter Richelieu in der fran¬
zösischen. Er spielte sie weiter, nachdem er sich mit dem Rest seines Vermögens
nach Emmersdorf bei Klagenfurt zurückgezogen hatte, wo er ein gepachtetes
Landhaus, den Koglhof, bewohnte. Ein Bruder, der sich als Kaufmann ein
kleines Vermögen erworben hatte, vereinigte dieses mit dem des Bruders und
diente diesem als Sekretär. Die Zinsen beider reichten nur knapp sür einen
sehr bescheidenen Haushalt hin, aber alle Geld anerbieten patriotischer Freunde
wies er zurück. Was aber seine Uneigennützigst gradezu bewunderungswürdig
erscheinen läßt und heutigen Publizisten unglaublich klingen wird: nicht einmal
für seine Beiträge an Zeitungen nahm er Honorar. Dem Herausgeber eines
Wiener Blattes, der einen Artikel angemessen honorieren wollte, schrieb er:


"Man darf sein Talent und seine Gedanken verwerten, aber nicht seine Gefühle, und
für mich ist die Sache, für welche ich einstand, eine Herzensangelegenheit, eine Gefühlssache.

Adolf Fischhof

benutzten die Frist, die andern beiden blieben. Der eine davon war Fischhof;
er sagte den Freunden, die ihn drängten, abzureisen: „Bleibe ich, dann ver¬
urteilt mich vielleicht das Kriegsgericht, fliehe ich, dann verurteilt mich die
öffentliche Meinung." Am 7. März 1849 wurde er aus dem Bette geholt und
nach Wien übergeführt. Die Anklage lautete auf Hochverrat und Mitschuld an
der Ermordung Latours. Die Untersuchungshaft war mild und anständig, und der
wackere Richter Seywald leitete die Untersuchung so, daß das Verfahren am
7. September eingestellt wurde; doch durfte er die Haft erst am 2. Dezember
verlassen, nachdem die obern Instanzen den Freispruch ad in8tantia bestätigt
hatten.

Der Freigelassene sah sich existenzlos. Ein edler Freund, Gustav Figdor,
gab ihm die Mittel, sich als Arzt in Wien niederzulassen. Rasch erwarb er
eine so bedeutende Praxis in wohlhabenden Familien — dabei aber seine liebste
Beschäftigung, die als Armenarzt, nicht vernachlässigend —, daß er ein Vermögen
ersparte. Dieses verlor er größtenteils im Krach von 1873, und zugleich stellte
sich ein Nervenleiden ein, das ihn bis zu seinem Lebensende an ununterbrochener
intensiver Arbeit hinderte. Das war der eine der beiden Gründe, die ihn davon
abhielten, als Abgeordneter oder Staatsbeamter politisch zu wirken; der andre
war sein von unabhängiger Überzeugung geleiteter Gerechtigkeitssinn, der ihm
verbot, sich durch eine Partei oder eine Regierung binden zu lassen. Eine Frei¬
sprechung ab !n8tantia setzte den Angeklagten noch nicht in sein volles Staats¬
bürgerrecht wieder ein. Belcredi wünschte Fischhof für den Staatsdienst zu
gewinnen und bewirkte deshalb im Januar 18V7 eine Spezialamnestie für ihn,
die alle Folgen der Anklage aufhob. Das gab zu allerhand Gerüchten
Anlaß, so daß Fischhof an einen Freund schrieb: „Belcredi hätte in
seiner plumpen Umarmung beinahe meine Ehre erdrückt." Später hat ihm
Potocki ein Ministerportefeuille angeboten. Fischhof lehnte es ab, aber seine
Wohnung wurde fleißig von Ministern und Abgeordneten aufgesucht, die sich
Rat bei ihm holten, so daß er in der österreichischen Politik einigermaßen die¬
selbe Rolle spielte, wie vordem der Pater Joseph unter Richelieu in der fran¬
zösischen. Er spielte sie weiter, nachdem er sich mit dem Rest seines Vermögens
nach Emmersdorf bei Klagenfurt zurückgezogen hatte, wo er ein gepachtetes
Landhaus, den Koglhof, bewohnte. Ein Bruder, der sich als Kaufmann ein
kleines Vermögen erworben hatte, vereinigte dieses mit dem des Bruders und
diente diesem als Sekretär. Die Zinsen beider reichten nur knapp sür einen
sehr bescheidenen Haushalt hin, aber alle Geld anerbieten patriotischer Freunde
wies er zurück. Was aber seine Uneigennützigst gradezu bewunderungswürdig
erscheinen läßt und heutigen Publizisten unglaublich klingen wird: nicht einmal
für seine Beiträge an Zeitungen nahm er Honorar. Dem Herausgeber eines
Wiener Blattes, der einen Artikel angemessen honorieren wollte, schrieb er:


„Man darf sein Talent und seine Gedanken verwerten, aber nicht seine Gefühle, und
für mich ist die Sache, für welche ich einstand, eine Herzensangelegenheit, eine Gefühlssache.

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[0451] Adolf Fischhof benutzten die Frist, die andern beiden blieben. Der eine davon war Fischhof; er sagte den Freunden, die ihn drängten, abzureisen: „Bleibe ich, dann ver¬ urteilt mich vielleicht das Kriegsgericht, fliehe ich, dann verurteilt mich die öffentliche Meinung." Am 7. März 1849 wurde er aus dem Bette geholt und nach Wien übergeführt. Die Anklage lautete auf Hochverrat und Mitschuld an der Ermordung Latours. Die Untersuchungshaft war mild und anständig, und der wackere Richter Seywald leitete die Untersuchung so, daß das Verfahren am 7. September eingestellt wurde; doch durfte er die Haft erst am 2. Dezember verlassen, nachdem die obern Instanzen den Freispruch ad in8tantia bestätigt hatten. Der Freigelassene sah sich existenzlos. Ein edler Freund, Gustav Figdor, gab ihm die Mittel, sich als Arzt in Wien niederzulassen. Rasch erwarb er eine so bedeutende Praxis in wohlhabenden Familien — dabei aber seine liebste Beschäftigung, die als Armenarzt, nicht vernachlässigend —, daß er ein Vermögen ersparte. Dieses verlor er größtenteils im Krach von 1873, und zugleich stellte sich ein Nervenleiden ein, das ihn bis zu seinem Lebensende an ununterbrochener intensiver Arbeit hinderte. Das war der eine der beiden Gründe, die ihn davon abhielten, als Abgeordneter oder Staatsbeamter politisch zu wirken; der andre war sein von unabhängiger Überzeugung geleiteter Gerechtigkeitssinn, der ihm verbot, sich durch eine Partei oder eine Regierung binden zu lassen. Eine Frei¬ sprechung ab !n8tantia setzte den Angeklagten noch nicht in sein volles Staats¬ bürgerrecht wieder ein. Belcredi wünschte Fischhof für den Staatsdienst zu gewinnen und bewirkte deshalb im Januar 18V7 eine Spezialamnestie für ihn, die alle Folgen der Anklage aufhob. Das gab zu allerhand Gerüchten Anlaß, so daß Fischhof an einen Freund schrieb: „Belcredi hätte in seiner plumpen Umarmung beinahe meine Ehre erdrückt." Später hat ihm Potocki ein Ministerportefeuille angeboten. Fischhof lehnte es ab, aber seine Wohnung wurde fleißig von Ministern und Abgeordneten aufgesucht, die sich Rat bei ihm holten, so daß er in der österreichischen Politik einigermaßen die¬ selbe Rolle spielte, wie vordem der Pater Joseph unter Richelieu in der fran¬ zösischen. Er spielte sie weiter, nachdem er sich mit dem Rest seines Vermögens nach Emmersdorf bei Klagenfurt zurückgezogen hatte, wo er ein gepachtetes Landhaus, den Koglhof, bewohnte. Ein Bruder, der sich als Kaufmann ein kleines Vermögen erworben hatte, vereinigte dieses mit dem des Bruders und diente diesem als Sekretär. Die Zinsen beider reichten nur knapp sür einen sehr bescheidenen Haushalt hin, aber alle Geld anerbieten patriotischer Freunde wies er zurück. Was aber seine Uneigennützigst gradezu bewunderungswürdig erscheinen läßt und heutigen Publizisten unglaublich klingen wird: nicht einmal für seine Beiträge an Zeitungen nahm er Honorar. Dem Herausgeber eines Wiener Blattes, der einen Artikel angemessen honorieren wollte, schrieb er: „Man darf sein Talent und seine Gedanken verwerten, aber nicht seine Gefühle, und für mich ist die Sache, für welche ich einstand, eine Herzensangelegenheit, eine Gefühlssache.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/451>, abgerufen am 24.07.2024.