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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Adolf Lischhof

auch der Selbsterhaltungstrieb der Dynastie und der in diesem Staate zusammen¬
geketteten Völker gesorgt. Der Ausgleich mit Ungarn ist auf der Grundlage
erfolgt, die Fischhof entworfen hatte, die Selbstregierung und Selbstverwaltung
des Volkes, für die sich der Achtundvierziger zuerst begeistert hatte und die er
zeitlebens im Auge behielt, hat sich den modernen Bedürfnissen gemäß gegen
alle reaktionären Gewalten und Gelüste so weit durchgesetzt, als es im Großstaat
möglich ist. Aber das Nationalitätenproblem steht heute noch auf dem Flecke,
auf dem es Fischhof im Beginn seiner politischen Tätigkeit vorgefunden hat.
Er hat es gleich anfangs scharf ins Auge gefaßt, richtig beurteilt und ihm den
größten Teil seiner Kraft und Zeit gewidmet. In den unzähligen Variationen,
die durch den jedesmaligen Stand des Streites erfordert wurden, hat er immer
dasselbe gepredigt: Österreich ist nun einmal kein Nationalstaat, es ist und bleibt
ein Nationalitätenstaat und muß als solcher behandelt werden. Ftschhof war,
wie Charmatz es ausdrückt, der einzige nicht klerikale Föderalist. Er begrüßte
die Entscheidung von 1866 als eine Vereinfachung des Problems. Nun, da
die österreichischen Deutschen ganz auf sich selbst angewiesen seien, müßten sie
die Tatsache anerkennen, daß sie, als Minorität, nicht an eine verfassungsmäßige
Herrscherstellung denken könnten.

Als besondere Verdienste Fischhofs, der auch über die Grenzen des Kaiser¬
staats hinauszuschauen pflegte, sind noch hervorzuheben, daß er schon im August
1870 den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien als Garantie
des europäischen Friedens vorgeschlagen, daß er auf die Gefahr hingewiesen
hat, die den Deutschen Österreichs von der zu schwachen Volksvermehrung in
den deutschen Gebieten droht, daß er endlich schon 1876 die erst im letzten
Jahrzehnt mächtig gewordene Abrüstungs- und Friedensbewegung angebahnt
und internationale Konferenzen angeregt hat, die auch "eine Fülle ökonomischer
und sozialer" Fragen zu behandeln haben würden. Auf die Notwendigkeit,
ökonomische Fragen international zu behandeln, werden wir heute durch die
Fleischnot gradezu mit der Nase gestoßen.

Kein größter, aber ein großer Mann, lautet des Verfassers Endurteil über
seinen Helden. Der starke Band ist eine innere Geschichte Österreichs für die
Zeit von 1848 bis 1893 geworden, und bei der bekannten Beschaffenheit dieser
Geschichte kann man nicht gut verlangen, daß sich das Buch wie ein spannender
Roman lese. Politiker von Fach werden ja trotzdem das Werk als eine
erwünschte Ergänzung der schon vorhandenen Darstellungen dieses Abschnitts der
österreichischen Geschichte begrüßen, aber andere Leser, die nur für Fischhofs
Persönlichkeit Interesse empfinden, werden die Mühe scheuen, das Biographische
aus dem Politischen, in das es verflochten ist, herauszuklauben; gesonderte
Behandlung der beiden Stoffmassen würde zwar schwierig, aber nicht grade
unmöglich gewesen sein.




Adolf Lischhof

auch der Selbsterhaltungstrieb der Dynastie und der in diesem Staate zusammen¬
geketteten Völker gesorgt. Der Ausgleich mit Ungarn ist auf der Grundlage
erfolgt, die Fischhof entworfen hatte, die Selbstregierung und Selbstverwaltung
des Volkes, für die sich der Achtundvierziger zuerst begeistert hatte und die er
zeitlebens im Auge behielt, hat sich den modernen Bedürfnissen gemäß gegen
alle reaktionären Gewalten und Gelüste so weit durchgesetzt, als es im Großstaat
möglich ist. Aber das Nationalitätenproblem steht heute noch auf dem Flecke,
auf dem es Fischhof im Beginn seiner politischen Tätigkeit vorgefunden hat.
Er hat es gleich anfangs scharf ins Auge gefaßt, richtig beurteilt und ihm den
größten Teil seiner Kraft und Zeit gewidmet. In den unzähligen Variationen,
die durch den jedesmaligen Stand des Streites erfordert wurden, hat er immer
dasselbe gepredigt: Österreich ist nun einmal kein Nationalstaat, es ist und bleibt
ein Nationalitätenstaat und muß als solcher behandelt werden. Ftschhof war,
wie Charmatz es ausdrückt, der einzige nicht klerikale Föderalist. Er begrüßte
die Entscheidung von 1866 als eine Vereinfachung des Problems. Nun, da
die österreichischen Deutschen ganz auf sich selbst angewiesen seien, müßten sie
die Tatsache anerkennen, daß sie, als Minorität, nicht an eine verfassungsmäßige
Herrscherstellung denken könnten.

Als besondere Verdienste Fischhofs, der auch über die Grenzen des Kaiser¬
staats hinauszuschauen pflegte, sind noch hervorzuheben, daß er schon im August
1870 den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien als Garantie
des europäischen Friedens vorgeschlagen, daß er auf die Gefahr hingewiesen
hat, die den Deutschen Österreichs von der zu schwachen Volksvermehrung in
den deutschen Gebieten droht, daß er endlich schon 1876 die erst im letzten
Jahrzehnt mächtig gewordene Abrüstungs- und Friedensbewegung angebahnt
und internationale Konferenzen angeregt hat, die auch „eine Fülle ökonomischer
und sozialer" Fragen zu behandeln haben würden. Auf die Notwendigkeit,
ökonomische Fragen international zu behandeln, werden wir heute durch die
Fleischnot gradezu mit der Nase gestoßen.

Kein größter, aber ein großer Mann, lautet des Verfassers Endurteil über
seinen Helden. Der starke Band ist eine innere Geschichte Österreichs für die
Zeit von 1848 bis 1893 geworden, und bei der bekannten Beschaffenheit dieser
Geschichte kann man nicht gut verlangen, daß sich das Buch wie ein spannender
Roman lese. Politiker von Fach werden ja trotzdem das Werk als eine
erwünschte Ergänzung der schon vorhandenen Darstellungen dieses Abschnitts der
österreichischen Geschichte begrüßen, aber andere Leser, die nur für Fischhofs
Persönlichkeit Interesse empfinden, werden die Mühe scheuen, das Biographische
aus dem Politischen, in das es verflochten ist, herauszuklauben; gesonderte
Behandlung der beiden Stoffmassen würde zwar schwierig, aber nicht grade
unmöglich gewesen sein.




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[0453] Adolf Lischhof auch der Selbsterhaltungstrieb der Dynastie und der in diesem Staate zusammen¬ geketteten Völker gesorgt. Der Ausgleich mit Ungarn ist auf der Grundlage erfolgt, die Fischhof entworfen hatte, die Selbstregierung und Selbstverwaltung des Volkes, für die sich der Achtundvierziger zuerst begeistert hatte und die er zeitlebens im Auge behielt, hat sich den modernen Bedürfnissen gemäß gegen alle reaktionären Gewalten und Gelüste so weit durchgesetzt, als es im Großstaat möglich ist. Aber das Nationalitätenproblem steht heute noch auf dem Flecke, auf dem es Fischhof im Beginn seiner politischen Tätigkeit vorgefunden hat. Er hat es gleich anfangs scharf ins Auge gefaßt, richtig beurteilt und ihm den größten Teil seiner Kraft und Zeit gewidmet. In den unzähligen Variationen, die durch den jedesmaligen Stand des Streites erfordert wurden, hat er immer dasselbe gepredigt: Österreich ist nun einmal kein Nationalstaat, es ist und bleibt ein Nationalitätenstaat und muß als solcher behandelt werden. Ftschhof war, wie Charmatz es ausdrückt, der einzige nicht klerikale Föderalist. Er begrüßte die Entscheidung von 1866 als eine Vereinfachung des Problems. Nun, da die österreichischen Deutschen ganz auf sich selbst angewiesen seien, müßten sie die Tatsache anerkennen, daß sie, als Minorität, nicht an eine verfassungsmäßige Herrscherstellung denken könnten. Als besondere Verdienste Fischhofs, der auch über die Grenzen des Kaiser¬ staats hinauszuschauen pflegte, sind noch hervorzuheben, daß er schon im August 1870 den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien als Garantie des europäischen Friedens vorgeschlagen, daß er auf die Gefahr hingewiesen hat, die den Deutschen Österreichs von der zu schwachen Volksvermehrung in den deutschen Gebieten droht, daß er endlich schon 1876 die erst im letzten Jahrzehnt mächtig gewordene Abrüstungs- und Friedensbewegung angebahnt und internationale Konferenzen angeregt hat, die auch „eine Fülle ökonomischer und sozialer" Fragen zu behandeln haben würden. Auf die Notwendigkeit, ökonomische Fragen international zu behandeln, werden wir heute durch die Fleischnot gradezu mit der Nase gestoßen. Kein größter, aber ein großer Mann, lautet des Verfassers Endurteil über seinen Helden. Der starke Band ist eine innere Geschichte Österreichs für die Zeit von 1848 bis 1893 geworden, und bei der bekannten Beschaffenheit dieser Geschichte kann man nicht gut verlangen, daß sich das Buch wie ein spannender Roman lese. Politiker von Fach werden ja trotzdem das Werk als eine erwünschte Ergänzung der schon vorhandenen Darstellungen dieses Abschnitts der österreichischen Geschichte begrüßen, aber andere Leser, die nur für Fischhofs Persönlichkeit Interesse empfinden, werden die Mühe scheuen, das Biographische aus dem Politischen, in das es verflochten ist, herauszuklauben; gesonderte Behandlung der beiden Stoffmassen würde zwar schwierig, aber nicht grade unmöglich gewesen sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/453>, abgerufen am 28.12.2024.